Göttlicher Gesangsunterricht

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Verwirrt sah sich Jenny um. Sie stand vor einem großen Vorhang und neben ihr einige ganz in schwarz gekleidete Regieassistenten mit kleinen Headsets und Klemmbrettern unter den Armen. Jenny hatte keine Ahnung, was vor sich ging, aber sie konnte hören, dass es auf der anderen Seite des Vorhangs sehr voll war. Wahrscheinlich war der Saal bis unter die Decke gefüllt und alle schienen darauf zu warten, dass sich der Vorhang endlich hob. „Okay Jenny, du bist dran." sagte plötzlich eine Stimme neben ihr und schob sie förmlich durch den Vorhang. Auf der anderen Seite wurde sie sofort von den grellen Scheinwerfern geblendet und spürte die Hitze, die von ihnen ausging, auf ihrer Haut. Dann hörte sie entsetzte Schreie und schallendes Gelächter, als sie merkte, dass sie die Hitze der Scheinwerfer nicht nur auf ihren Armen und ihrem Gesicht spürte, sondern überall. Sie blickte an sich herunter, und gerade als eine der Regieassistentinnen zu ihr lief, ihr ein Handtuch über den Körper warf und den Vorhang zur Seite schob, bemerkte Jenny, dass sie völlig nackt auf der riesigen Bühne des Lyceum Theatre stand.


„Warum trägst du denn kein Kostüm?", wurde sie hektisch gefragt, während sie immer noch das laute Gelächter von draußen hörte.


„Ich... ich habe mich noch nicht entschieden", antwortete sie stotternd und als die Regieassistentin Jenny daraufhin in ihrem Handtuch wieder nach draußen schob, mit der Begründung, dass sie genug Zeit dafür gehabt hätte und es jetzt keine andere Möglichkeit gäbe. Jenny wäre am liebsten weggelaufen, aber sie konnte sich nicht bewegen und es kam auch kein vernünftiger Laut aus ihrem Mund, als sie versuchte, laut zu schreien. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Stimme erstickt war und dass man ihr helfen würde, wenn man sie nur würde schreien hören, aber es kam nicht genug aus ihr heraus, um gehört zu werden. Die Menge direkt vor ihr, die sie wegen der grellen Scheinwerfer kaum sehen konnte, lachte laut oder buhte sie aus, während sie einfach nur dastand und zusah, wie sie von allen ausgelacht wurde. Das heiße Scheinwerferlicht und die Scham trieben ihr Schweiß und Tränen in die Augen und sie spürte, wie die Tropfen ihre Wangen hinunterliefen.


„Jenny!" Plötzlich saß Jenny senkrecht in ihrem Bett, schweißgebadet und schwer atmend, aber zu ihrem Glück voll bekleidet und nicht auf einer Bühne. Das Scheinwerferlicht, das sie selbst im wachen Zustand für einen Moment gesehen hatte, war die Taschenlampe von Donnas Smartphone, die Wärme rührte daher, dass Jenny versucht haben musste, sich im Schlaf unter der Decke zu verstecken, und der Schweiß und die Tränen waren zwar zum Teil echt, aber das Gefühl, dass es ihr über die Wangen lief, kam daher, dass Donna wohl als letzte Waffe ein Glas Wasser genommen und es ihrer Mitbewohnerin ins Gesicht geschüttet hatte, um sie endlich aufzuwecken.


„Du hast komische Geräusche von dir gegeben, ich dachte, du würdest ersticken oder so", sagte Donna, selbst noch etwas geschockt von dem, was sie gerade gehört hatte. Es dauerte keine zwei Minuten und Tramaine und Reece standen ebenfalls im Zimmer ihrer beiden Mitbewohner, wobei Reece sich wohl sein altes Skateboard als Schlagwaffe genommen hatte und es in der Hand hielt, als wäre er jeden Moment bereit, den Einbrecher, den er im Zimmer vermutete, niederzuknüppeln.


„Was ist passiert?", fragte Tramaine, die hinter ihrem Freund durch die Zimmertür spähte.


„Ich hatte einen Alptraum", murmelte Jenny, etwas verlegen, dass sie so einen nächtlichen Aufruhr verursacht und alle ihre Mitbewohner geweckt hatte. Natürlich konnte sie nach diesem Schreck nicht anders, als ihren Freunden von dem Traum zu erzählen, und sie war froh, dass sie das tun konnte, denn es half ihr, sich zu beruhigen. Ihre Freunde konnten ihr versichern, dass es nur ein Traum gewesen war und niemand im Lyceum Theatre sie einfach so auf die Bühne schubsen würde, wenn sie das nicht wollte, schon gar nicht nackt oder nur mit einem Handtuch bekleidet. Was sie aber nicht sagen konnte und wollte, war, was den Albtraum ausgelöst hatte. Sie vermutete, dass es das bevorstehende Duett auf der Bühne einer Fernsehproduktion war, die ein Millionenpublikum erreichen sollte, das sie eine ihrer Ängste durchleben ließ. Sie wusste, dass es eigentlich völlig irrational war, denn schließlich drohte einem auf der Bühne nicht der Tod, außer vielleicht der gesellschaftliche, wenn man wirklich völlig versagte.

When words fail, music speaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt