Breathe - Atme wenn du kannst - Teil 4

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Kapitel 4

Als es an meiner Tür klopfte, war ich gerade dabei mir meine Diamantohrringe anzulegen. Es waren die Ohrringe, die Julian mir zu unserem fünften Jahrestag geschenkt hatte. Sie waren dezent und klein, in Form eines Quadrates. Als ich den Verschluss zu hatte, lief ich schnurstracks zur Tür und öffnete sie. Julian stand in einem Smoking vor mir, der wie immer perfekt an ihm saß. Er hatte sein hellbraunes Haar wie immer ordentlich zur Seite gescheitelt. Eigentlich sah ich Julian nie, mit unordentlichen Haaren. Nichtmal morgens, wenn er wach wurde. Er lächelte mich an. »Wow, du siehst wunderschön aus, Janey.«

Ich lächelte verlegen und bedankte mich, indem ich ihm einen Kuss auf die Wange gab. Ich hatte mich für ein olivgrünes Neckholder Kleid entschieden. Es war am Brustkorb bis oben zu meinem Hals leicht gerafft und bedeckte nur die untere Hälfte meines Rückens. Dazu trug ich schwarze High Heels. Mein langes Haar hatte ich zu einem elegant verknoteten Seitenzopf gebunden. »Bist du fertig?«, fragte er mich. Ich nickte, schnappte mir meine Tasche und trat hinaus. Als wir vor dem Fahrstuhl standen, hakte ich mich bei ihm unter.

»Essen wir alleine oder ist Mom auch dabei?«

Er räusperte sich. »Wir essen alleine, deine Mutter wollte das wir den letzten Abend zusammen genießen. Sie hat sich mit Julietta verabredet.«

Ich nahm es zur Kenntnis, erwiderte jedoch nichts darauf. Als der Fahrstuhl pingte, stiegen wir ein. Julian drückte auf den untersten Stock und ich schmiegte mich an ihn. Der Fahrstuhl hielt auf dem Weg nach unten einmal an und ein Pärchen, denen ich kaum Beachtung schenkte, stieg zu uns. Erst als ich eine raue Stimme »Guten Abend«, sagen hörte, war meine Aufmerksamkeit geweckt. Der halbnackte Fremde.

Ich nahm meinen Kopf hoch und blickte in eisblaue Augen. Julian, höflich wie er war, erwiderte sein »Guten Abend«, doch ich war wie immer sprachlos. Ihn zu sehen zusammen mit Julian im Schlepptau versetzte mich in totale Panik. So als würden sich mein Freund und meine heimliche Affäre begegnen. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Er erwiderte mein Nicken, drehte uns, zusammen mit seiner Begleitung, die, wie mir jetzt auffiel, tiefrotes Haar besaß, nicht blondes, so wie die Frau nachmittags am Pool, den Rücken zu. Sodass, ich nur noch sein Hinterteil sehen konnte und selbst das sah durch, seine enge Stoffhose, die er trug, einzigartig aus. Ich schloss die Augen und betete, dass diese Fahrstuhlfahrt schnell endete. Als ich das erlösende „Ping" hörte, öffnete ich die Augen und wollte Julian am liebsten so schnell wie möglich aus dem Fahrstuhl ziehen. Doch das Paar vor uns ließ sich Zeit. Er legte ihr eine Hand auf ihren unteren Rücken und führte sie nach draußen. Und natürlich, wie sollte es auch anders sein, liefen sie ebenfalls auf das hauseigene Restaurant des Hotels zu.

Wie aus der Pistole geschossen, wandte ich mich an Julian. »Sollen wir in ein Restaurant außerhalb gehen?«

Der Gedanke daran im selben Saal wie der halbnackte Fremde zu essen würde mich verrückt machen. Ich müsste mich krampfhaft dazu zwingen, ihn nicht anzustarren.

»Wie bitte?«, fragte Julian belustigt. »Ich hab einen Tisch für hier reserviert!« Abrupt blieb ich stehen und zwang ihn ebenso stehenzubleiben. »Wir essen immer hier, das ist nichts Besonderes.« Mit überraschter Miene musterte er mich. »Nun, heute Abend schon, Liebling. Ich habe ein speziell abgestimmtes Menü für uns herrichten lassen.«

Julian schaffte es nicht oft mich sprachlos zu machen, aber in dem Fall tat er es. In Gedanken rollte ich die Augen und ergab mich wortlos. Eine Erklärung für meinen plötzlichen Sinneswandel hätte ich sowieso nicht gehabt, was hätte ich auch sagen sollen? Der Kerl aus dem Fahrstuhl stand halbnackt in meinem Zimmer und heute Nachmittag am Pool, hab ich ihn fotografiert! Nein, das konnte ich Julian wirklich nicht sagen. Wir bekamen am Fenster einen Tisch und ich versuchte mich voll und ganz auf Julian zu konzentrieren und weniger auf meine Umgebung. Der Kellner brachte uns nur wenige Sekunden nachdem wir uns gesetzt hatten eine Flasche Rotwein sowie eine Flasche Wasser. Julian, dem es nicht entging, dass er meine volle Aufmerksamkeit hatte, legte den Kopf schief und fragte: »Warum siehst du mich so an?«

Atme, wenn du kannstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt