Breathe - Atme wenn du kannst - Teil 49

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Kapitel 54 - Max

Ich zählte die Stunden bis zum Abendessen, noch nie kam mir etwas so lang vor. Noch nie war ich so nervös gewesen. Janey machte das mit mir. Sie hatte diese Wirkung auf mich. Ich stand kurz vor sieben vor ihrer Tür und klingelte. Eine kleine Frau, mit schwarzen Haaren in einen strengen Zopf gebunden, öffnete mir die Tür. Sie lächelte mir freundlich entgegen. »Guten Abend Sir.«

Ihrem Outfit nach zu urteilen, musste sie die Haushälterin sein. »Guten Abend«, sagte ich und trat ein. Das Haus, in dem Janey und ihre Mutter lebten, erinnerte mich an das Haus, in dem meine Mutter jetzt mit Gustav lebte. Es war groß, pompös und glitzerte, genau das, was Janey meiner Meinung nach erstickte.

»Wollen Sie ihr Jackett ablegen?«, fragte sie mich. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke, das behalte ich an.«

Sie lächelte wieder freundlich und gab mir dann zu verstehen, dass ich ihr folgen sollte. Als wir das Esszimmer betraten, bedeutete sie mich an einen Tisch, an dem mehr als zehn Leute Platz hatten, der aber nur für zwei Leute gedeckt war.

»Bitte Sir«, die kleine Frau, dessen Namen ich nicht wusste, zog mir einen Stuhl zurück und gab mir zu verstehen, dass ich mich hinsetzen sollte.

»Wie heißen Sie?«, fragte ich. Sie schien sich über meine Frage zu wundern. Ich vermutete, dass es daran lag, dass die meisten Leute, die herkamen, sie nicht nach ihrem Namen fragten. »Mein Name ist Loretta, Sir.«

»Freut mich, Loretta ich bin Max«, stellte ich mich vor und nahm Platz.

Nicht sehr viel später betrat Eliza den Raum. »Guten Abend Max, schön, dass Sie da sind!«

Ich erhob mich, als sie zu mir trat und gab ihr einen Handkuss. Ihre Augen, die Janeys sehr ähnelten, leuchteten. »Wie charmant Sie doch sind«, sagte sie, als ich ihre Hand wieder losließ.

»Janey wird nicht mit uns essen!«, verkündete sie.

Sie ließ sich von Loretta, den Stuhl zurückziehen. Ich stieß schwer den Atem aus und setzte mich ebenfalls wieder. Nachdem ich das Gedeck der zwei und nicht drei Teller gesehen hatte, hatte ich mir sowas in der Art schon gedacht. Es überraschte mich nicht wirklich. Ich war gekommen, um sie zurückzuholen und egal wie lange es dauern würde. Ich würde bleiben.

»Vielleicht überlegt sie es sich ja noch«, versuchte sie mir gut zuzureden.

Ich war kein Idiot, ich wusste, warum ich hier war. Und ich wusste, dass das nicht passieren würde.

»Ich müsste Janey schon holen, damit sie, mit uns isst.«

Eliza grinste. »Sie kennen meine Tochter schon sehr gut!«

Ich versuchte auf die Worte meiner Schwester zu vertrauen, die sie mir kurz bevor ich gegangen war gesagt hatte. „Lass ihr Raum. Sie muss alleine entscheiden, was sie will." Daran klammerte ich mich, um nicht wie ein Höhlenmensch nach oben zu laufen, sie über die Schulter zu werfen und sie zu zwingen, mit uns zu essen.

»Was möchten Sie trinken, Sir?«, fragte Loretta. Ich hätte gerne einen Scotch genommen, doch die Medikamente, die ich noch wegen meiner Verletzung nahm, vertrugen sich nicht damit, deswegen nahm ich nur ein Wasser. »Sehr gerne!«

Loretta schenkte Eliza und mir ein, danach ließ sie uns alleine. »Sie sind der Grund dafür, dass meine Tochter sich so verändert hat«, eröffnete Eliza das Gespräch und nahm einen Schluck ihres Wassers.

Ich antwortete ihr nicht darauf. Was sollte ich auch darauf sagen? Janey hatte sich nicht verändert. Sie war schon immer so, nur sie konnte es bisher nicht sein. Ich hatte ihr einfach nur den Anstupser gegeben.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Max, ich meine das nicht negativ.«

Sie stellte ihr Wasser wieder zurück auf den Tisch. »Meine Tochter hatte ihr Leben fest durchgeplant, Schule, Uni, die Firma, Julian, die Verlobung und dann urplötzlich aus heiterem Himmel hat sie alles weggeworfen. Wissen Sie, ich hatte schon des Öfteren den Eindruck, dass es ihr damit nicht gut ging, dennoch hat sie alles so gelassen wie es war.«

Sie wanderte mit ihren Augen abschätzig über mich, während sie sprach. »Mit Julian, ihrem Ex Verlobten, schien alles einfach zu sein, doch jetzt mit Ihnen scheint es schwerer und das macht mir als Mutter Angst. Ich möchte, dass sie glücklich ist, egal, mit wem. Ich habe selbst lange gebraucht, um das zu begreifen. Sie ist wie ihr Bruder, man kann sie zu nichts zwingen. Ich kann es nicht und Sie können es nicht. Wir müssen ihr Zeit geben!«

Zeit geben! Zeit war eines der Dinge, die ich nicht hatte, wenn ich etwas so sehr wollte. Ich war, außer was meinen Job betraf, nicht unbedingt das, was man geduldig nannte. Ich mochte jegliche Art von Streit, Diskussion oder gar Ignoranz nicht. Deshalb war es immer meine Art gewesen, jemanden regelrecht so lange zu nerven, bis er mir verzieh. Ich war mir ehrlich gesagt auch nicht sicher, was genau ich tun würde. Bisher hatte ich nur darüber nachgedacht, nach ihr zu suchen und sie mir zurückzuholen. Ich lehnte mich nach hinten und nahm mir die Zeit, Elizas Worte zu überdenken.

»Sie scheinen ein netter Mann zu sein und ich denke, Janey liebt Sie. So sauer wie sie heute war, habe ich sie zuletzt als kleines Kind erlebt. Ich denke, dass Sie, sie glücklich machen können. Irgendwann ... aber nicht jetzt!«

Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, hatte Eliza recht. Ich hatte Janey, selbst oft genug gesagt, dass sie ihr Leben überdenken sollte. Das Leben, in dem sie so sehr ausbrechen wollte, es aber nicht gewagt hatte. Bis zudem Tag an dem wir uns über den Weg gelaufen waren und selbst da hatte sie die meiste Zeit Anweisungen von mir bekommen. Es schmerzte mit einem Mal zu wissen, dass auch ich sie eine Zeit in ihrem Leben geleitet hatte. Ich wollte ihr so sehr geben, was sie brauchte, doch was würde passieren, wenn ich es tat? Der Gedanke daran, zu gehen, schmerzte. Der Gedanke, sie womöglich nie wiederzusehen, raubte mir den Verstand. Sie nie wieder lachen hören zu dürfen, nahm mir die Luft zu atmen. Doch ich wusste besser als jeder andere, dass ich ihr Raum geben musste. Ihr die Luft lassen, die ich ihr gegeben hatte, nach dem ich sie von ihrer Mutter befreit hatte. Jetzt musste ich mich von ihr befreien.

Atme, wenn du kannstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt