Kapitel 13: Du bedeutest Ärger

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Der Rote schlenderte nach einem Job in Reddingsplus durch das Industriegelände, kletterte wie selbstverständlich auf die Stadtmauer, die hier, hinter dem Regierungsviertel, noch sehr gut erhalten ist. Sie schließt mehr oder weniger den äußeren Teil von Reddingplus ab und dahinter beginnt bereits der gesicherte Bereich der Regierung. Allerdings lag dort nichts von Bedeutung für Robert oder andere Straßenkinder. Dort hausten aber einige Obdachlose, sowie Drogensüchtige und Aussteiger. Robert kletterte höher auf die ehemaligen Schießscharten. Sicher ist das nicht gern gesehen, aber kontrolliert wird es hier auch nicht. Man konnte das Industriegelände überblicken. Robert trat die Tür zum alten Wachturm auf, die bereits beschädigt war. Darin war keine Leiter oder Treppe mehr, aber Robert war geschickt genug, sich mit einem Brett Abhilfe zu schaffen und auf die zweite Etage im Inneren des Turmes zu kommen. Hier gab es, ganz nach oben, eine nahezu unbeschadete Leiter. Der Ausblick war wie erwartet toll. Hinter dem Roten lag das Regierungsviertel, vor ihm Reddingplus. Weiter links ging es über in Crossed. Auf der rechten Seite konnte man unterhalb der Stadtmauer liegend bereits Whiteground erkennen. Die oberen Gebiete waren von dieser Seite aus noch nicht zu vergleichen mit dem berüchtigten "Whiteout". Hier waren eher Produktion und Industrie ansässig. Robert rauchte eine Zigarre, die er von Silverstin bekommen hatte. Sie schmeckte schlechter als erwartet, nicht zu vergleichen mit Sumpfkraut, das einen speziellen süßlichen Geschmack hatte. "Aus der Neuen Welt, mein Arsch", sagte der Rote zu sich selbst und spuckte vom Turm herunter. Ein paar Züge und er warf die Zigarre hinterher. Er kletterte herunter und machte sich auf den Weg, links Richtung Whiteground. Sehnsucht nach dem Gestank von Branntwein und Sumpfkraut und dem Gesang der Leute, die bis auf ihren Rausch wenig hatten. Er stellte sich an eine Haltestelle für die Bahn nach Whiteground. Hatte er noch nie getan. Die Strecke fuhr herum, vom Hafengelände durch Cornerblue, Crossed, Reddingsplus, Whiteground und kam schließlich wieder dort an. Dementsprechend wurde sie "The Circle" genannt. Robert war verwundert, dass er sogar kontrolliert wurde, und bezahlte die Fahrt. Straßenkinder sprangen sonst maximal bei der Fahrt auf und ab, wenn es jemand merkt oder abkassieren möchte. Robert stieg an der Hauptstaße aus und lief in die ihm wohlbekannten Gassen. Er schaute durch die Fenster zur Backstube. Vorne war noch Betrieb. Er sah aufgrund seiner Beschäftigung vorher zwar etwas schmutzig aus, aber nicht so wie ein typisches Straßenkind. Ob er deswegen weniger auffiel oder sogar mehr, als er bei der Bäckerei "Bayers" rumlungerte, war nicht zu beantworten. Als die Luft rein war, machte sich Robert mit einem üblichen Klopfsignal bemerkbar. Mai erwartete sicher ein Straßenkind, das Hunger hatte. Sie öffnete einen Spalt und flüsterte: "Wir haben gerade nichts, frühesten..." "Mai", flüsterte der Rothaarige. Der Spalt ging weiter auf: "Robert", flüsterte Mai so laut, dass es kaum mehr Flüstern war, "alles in Ordnung?" "Klar, ich wollte dich besuchen." "Mich?", fragte Mai. "Nur dich", sagte Robert, "ich bin undercover." Mai kicherte. Die beiden verabredeten sich für einen späteren, sicheren Zeit- und Treffpunkt. "Wissen die Leute von Fayez nicht, dass du in Whiteground bist?" "Ne" "Wie geht es deinem Arm?" "Bestens, kann klettern und alles." "Bis dann, mach keinen Scheiß", verabschiedete sich Mai. "Niemals", sagte Robert und flitzte davon. In der Nähe der "Alten Seemöwe" hingen ein paar von Fayez Leuten herum. Robert mied diese und kletterte von den Garagen an der Rückseite des Gasthauses hoch zu Bens Wohnung. Dieser war nicht da. Beim Herunterkommen spürte der Rote, dass er bemerkt wurde. Scheinbar hatte man nach den Aktionen der Whitesharkgang die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. "Hey Leute", rief Robert den beiden zu, "ich wollte zu Benjamin." Die beiden schienen Robert nicht als "den Roten" identifizieren können und hielten ihn vielleicht für einen anderen Freund oder einfach ein weiteres Straßenkind. "Dachte ich mir, lass sein, man. Wir wollen nicht, dass jemand hier rumklettert." Robert stieg nicht in die Diskussion um die Gangs ein, sondern fragte einfach: "Darf ich in der Möwe die Schneckenbox benutzen?" "Man", sagte der andere. Er schien schimpfen zu wollen, aber der andere beschwichtigte: "Frag halt nach, aber dann hau ab." Robert ging rein und fragte nach. Mit ein paar eingefangenen Widerworten ging er in die Schneckenbox. Yasopp war nicht zu Hause, aber Lou war zu erreichen. Er willigte ein, später ins Whiteout zu kommen und Robert das neue Versteck zu zeigen. Gegen Abend kamen Lou und Robert dort an. "Roter!", rief Yasopp, "das war ja ne Überraschung! Schau, wir haben das Boot seetüchtig. Kennste dich vielleicht mit Antrieben aus? Schau mal..." Robert hörte gar nicht wirklich zu, sondern lachte darüber, wie Lou abfällige Gesten machte, die nahelegten, diese Erläuterungen in letzter Zeit etwas zu oft gehört zu haben. "... und dass hier ist Lous fette Mutter." Auf einmal hörten beide wieder voll zu. "Was ist denn mit dir, ich hab ja zugehört!", fauchte Lou. "Brauchst du gar nicht", feigste Yasopp, "du bist zu dämlich, es zu verstehen." "Eben", sagte Lou. Wenig später ging die Tür auf und Ben kam herein. Er begrüßte Robert freundlich, aber sagte dann ernst: "Was soll das? Eigentlich sollst du nicht herkommen und vor allem nicht an der Möwe rumturnen." "Die Sehnsucht trieb mich", sagte Robert verführerisch. "Ist echt nicht so witzig man, wir kriegen eh Ärger von Fayez dafür." "Geschenkt", winkte der Rote ab. "Wie auch immer man, was macht dein Arm?" "Bestens", erwiderte Robert. Ben nickte. 

Das Boot war bereits fahrtüchtig, sodass die Jungs sich zum Angeln verabredeten. "Drecksregen", fluchte Lou, dem beim Wind die Kippe in eine Pfütze gefallen war. "An Bord ihr Landratten", krächzte Yasopp. Ben und Robert kamen angeschlendert. Das Versteck war eigentlich nur ein kleiner Schuppen an einem Dock in Whiteout, direkt am Ufer. Nicht wo die Leute sich tümmelten, sondern näher zum Hafenviertel, wo eher Seefahrerquatiere waren und Fischer ihre Boote unterstellten. Vom Verschlag aus konnte man das Boot ohne großen Aufwand zu Wasser lassen. Die Jungs saßen auf dem Boot, das noch im Verschlag stand, und warteten, dass der Regen aufhörte. Ben war etwas zerknirscht. Er und vor allem der Rothaarige hatten eine Ansage von Fayez bekommen. Robert lachte diese wie üblich weg. Ben nahm es etwas schwerer und musste sich von den Jungs aufheitern lassen. Wie es in Grand Storm so oft vorkam, klarte sich der Himmel nahezu in Sekunden auf und das Boot wurde zu Wasser gelassen. Lou stemmte eine Kiste Bier mit an Bord, Yasopp  Angelzeug. Die Jungs fingen natürlich so gut wie nichts, aber die Freunde hatten eine wunderbare Zeit zusammen auf Meer. Jedenfalls nannte Robert es so, eigentlich waren sie nicht weit vom Ufer weg und hatten die Docks kaum verlassen. Die Stimmung war ausgelassen. Als der Wind stärker wurde und sich der allübliche Sturm in Grand Storm auftürmte, sicherten die Jungs das Boot. Beim Aussteigen trat Lou neben das Boot und seine Füße inklusive Schuhe waren nass. "Zum Kotzen", motzte er. Die Jungs amüsierten sich. Yasopp und Lou nahmen eine Bahn und Robert und Ben latschten durch Whiteground. "Wie vorher, siehst?!", sagte Robert. Ben schnaufte nur. Die beiden gingen von der Promenade zum Strand runter. Dort hatten die Leute Feuer gemacht. Die beiden grillten gefangene Fische. Der eine schmeckte besonders furchtbar, so gaben sie den Rest einem nahezu zahnlosen, betrunkenen Mann.

Wenige Tage später fischten Yasopp und Robert mit ihrer Konstruktion erneut an den Klippen. Ben kam später dazu. An einem Lagerfeuer unter Klippen legten sie sich hin. Ben wurde von Schreien geweckt und jemand schüttelte ihn an der Schulter. "Die Sharks!" "Verdammt!", rief Ben und schaute sich um. Er war sofort hellwach. "Wo ist der Rote?" Robert war noch sichtlich betrunken. Er kletterte die Felsen hinauf und verhöhnte die Sharks, die wohl nur zufällig vorbei gekommen waren. Es war durchaus üblich, im Whiteout einfach bei Feiern, meist üppigen Umtrunken, dazu zu stoßen. "Dieser Vollidiot", sagte Ben zu sich selbst. Zwei der Sharks folgten Robert. Der eine hatte Probleme, die teilweise scharfkantigen Klippen empor zu klettern oder darauf zu laufen. "Roter, du bist zu besoffen für den Scheiß", rief Ben, wusste aber nicht ob Robert ihn verstand, geschweige denn auf ihn hören würde. Auf einem kleinen Vorsprung holte das Gangmitglied den Roten ein. Unten waren weitere der Whitesharks eingetroffen, sowie auch einige Schaulustige. "Du spielst dich als Held auf!", brüllte der Whiteshark auf dem Felsen, "Verteilst Zeug an die Armen? Springst in die Klinge für deine Dealerfreunde?" Er nahm einen dicken Treibholzstock und schlug nach Robert. Dieser wich aus und lachte. "Du nimmst wirklich überhaupt nichts ernst!", brüllte Benjamin von unten. Robert griff sich einen kleinen Stock und parierte den Whiteshark wie bei einem Schwertkampf. "Lasst gut sein", rief er nun. "Hol ihn dir, Boomer!", rief nun einer der Sharks. "Kommt da runter, bevor einer runterfliegt!", rief ein Mann. "Kloppt euch!", rief ein junger Mann. "Party! Party!", schrie eine abgemagerte, völlig zugedröhnte Frau, die im flachen Wasser unter den Klippen tanzte. "Ich bin eine Hure und stolz darauf", rief eine andere Frau, die nicht wirklich mitzubekommen schien, was dort vor sich ging.

Robert schlug dem Whiteshark den Stock aus der Hand und schubste ihn um: "Ey, lassen wir das! Wir sind alle nur Kinder von Whiteout!", rief er den Leuten zu und meinte natürlich die Sharks. "Er will schlichten", dachte Ben, "so eine dämliche Solonummer..." "Der Fluch, die Armut, das sind die Probleme. Wir sollten uns nicht untereinander hassen!", rief Robert. Ben schaute seinen Freund an. Es war diese Seite an Robert, die man ihm, wenn man ihn kaum kannte, nie zutrauen würde. Der Whiteshark hinter Robert stand auf, nahm den Knüppel erneut und griff den Roten an. Dieser warf sich zur Seite. Er hatte wohl den Angriff unterschätzt oder zu spät kommen gesehen, aber der Junge verlor den Halt. Er fiel und schlug unten gegen die Felsen. Es waren nur einige Meter, aber das genügte und er klatschte ins Wasser.

"Das wollte ich nicht...", dachte Robert. "Das wollte ich nicht", sagte er. "Das wollte ich nicht!", schrie Robert nun. Er sprang so schnell er konnte die Klippen herunter, schnitt sich dabei den Fuß auf. Ben und weitere Männer rannten ins Wasser. Zwei hatten den Körper erreicht und zogen ihn ans Land. Robert war unten angekommen und rannte auf die Gruppe zu. "Nein!", rief er. Er sah sehr entsetzt aus. "Boomer!", schrie einer der Whitesharks, ein andere weinte bitterlich, er war sicher noch einige Jahre jünger als Robert und Ben. Ben hielt Robert davon ab, hinzulaufen. "Schluss jetzt", schrie er Robert aus nächster Nähe an, "lass es gut sein." "Das wollte ich nicht, Benj", rief Robert und schubste seinen Freund zur Seite. Ben zimmerte ihm darauf hin eine. "Es reicht, Roter! Er ist tot! Du bist gerade einmal einige Tage wieder zurück, du bedeutest nur Ärger!"


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