Kapitel 36

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TW: Körperverletzung, Homophobie

So wie es aussieht, hat der Streit zwischen Han und Minho den älteren ziemlich getroffen. Beziehungsweise war nicht die Auseinandersetzung das Problem, sondern der Fakt, dass Jisung Minhos Geheimnis verraten hat. Jedenfalls hat Minho all unsere Trainingsstunden abgesagt. Und nicht nur das, seit dem tat er so, als würde ich gar nicht existieren. So verrückt es auch klang aber mir wäre es lieber, wenn er mich wenigstens hassen würde, so wie am Anfang. Ignoriert zu werden tat mehr weh. Möglicherweise hat er auch das Gefühl, allein damit zu sein weil ich mich noch nicht geutet hab. Könnte ich ihm helfen wenn ich es auch tun würde? Zwar war ich absolut nicht bereit, doch ich hielt diese Distanz zu ihm nicht mehr aus.

Ich betrat das Wohnzimmer, wo meine Eltern gerade fern sahen. Mein Herz schlug bis zum Hals und drohte, zu explodieren. Die letzte Stunde hatte ich damit verbracht, darüber nachzudenken, wie ich es ihnen am besten sagen könnte. Naja, ich wusste, auf welche Reaktion ich mich einstellen musste, aber vielleicht könnte ich das schlimmste verhindern, wenn ich es ihnen schonend beibrachte. "Mum, Dad? Ich muss mit euch reden." Meine Stimme klang längst nicht so selbstbewusst wie ich gehofft hatte.

Genervt stöhnten diese auf und drehten die Köpfe zu mir. Ihre Blick durchbohrten mich mit solch einer Langeweile, dass ich ernsthaft daran zweifelte, ob das alles überhaupt nötig war. Aber hier war ich nun. Ich hatte große Angst, doch ich wollte es durchziehen. Minho, das ist für dich.

"Weil ich weiß, dass ihr mir nicht lange zuhören werdet, sag ich es jetzt einfach. Ich bin schwul. Ja, ich stehe auf Jungs. Ehrlich gesagt... Minho und ich daten uns" (glaube ich. Zählt das als daten?). "Wir haben uns mehrmals geküsst und empfinden was füreinander" (ich jedenfalls für ihn. Nein, jetzt ist keine Zeit für Zweifel!) "Was ihr beim Essen abgezogen habt, war absolut daneben. Selbst wenn niemand von uns gay wäre, geht so eine Aussage überhaupt nicht. Es interessiert mich nicht wirklich, was ihr jetzt von mir denkt, ihr mochtet mich ja noch nie aber ich stehe hinter Minho und halte zu ihm. Ihr könnt uns gar nichts." Okayy vielleicht hab ich doch zu viel provoziert, da war nichts mit schonend dabei gewesen. Aber es musste einfach alles endlich mal raus.

Ich sprach wie ein Wasserfall, damit meine Eltern mich nicht unterbrechen konnten. Denn hätten sie das ein Mal geschafft, hätten sie mir den Wind aus den Segel genommen. Ich wünschte, meine Worte wären wahr, doch leider war es mir nicht egal, was sie von mir dachten. Sie starrten mich an, als hätten sie einen Serienmörder vor sich. Sobald mein Vater sich von dem Schock erholte, stand er auf und kam auf mich zu. Ich wich automatisch ein paar Schritte zurück, als ich seinen Gesichtsausdruck sah. Es grenzte beinahe an Wahnsinn.

Meine Handflächen fingen an zu schwitzen und mein Puls beschleunigte sich erneut. "Hab ich das gerade richtig verstanden? Wir haben eine Schwuchtel groß gezogen?" Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich wusste was mir drohte, doch ich konnte mich nicht bewegen. Meine Beine weigerten sich zu fliehen. "Das ist krank. Du bist krank, ich wusste, dass mit dir was nicht stimmt." Hörte ich meine Mutter im Hintergrund murmeln. "Und was deinen möchtegern Freund angeht, seine Eltern haben vollkommen Recht. Er ist ein Freak und wie's aussieht bist du auch einer. Du Bastard! Weißt du eigentlich welche Schande du über unsere Familie bringst? Also behalte das schön für dich, kapiert?!"
"Ich bin das Problem in dieser Familie? Was für Eltern schlagen, bedrohen und beschimpfen ihre Kinder?" Mein Vater packte mich am Kragen und zog mich zu sich. Ich hatte Schwierigkeiten, die Balance zu halten, da ich nur noch auf den Zehenspitzen stand.

"Wir behalten dich wie wir wollen, kapiert? Ich dachte wir hätten dich besser erzogen und dir diesen kranken Scheiß ausgetrieben aber du hast dich trotzdem infiziert. Du dummes Stück! Du und dieser Minho, ihr könnt zusammen sterben wenn du unbedingt alles mit dem machen willst. Wir hätten dich wirklich abtreiben sollen! Hoffentlich steckt ihr euch gegenseitig an einer Geschlechtskrankheit an! Wäre lustig, wenn du dran verreckst, oder?" Mit einem starken Schubs stieß er mich von sich, sodass ich das Gleichgewicht verlor und auf dem Rücken landete.

Ehe ich mich aufrichten konnte, traf ein heftiger Kick in meinen Bauch. Ein schmerz erfülltes Keuchen drang aus meiner Kehle während mein Vater ungehemmt weiter auf mich ein trat. Nach einer Zeit, die sich wie Stunden anfühlte, ließ mein Vater endlich von mir ab und verschwand mit meiner Mutter nach oben. Mühsam stand ich auf und hielt meine Rippe. Verdammt, mein ganzer Bauch tat weh. Tränen liefen mir über die Wange, als ich aus dem Haus stolperte und mich auf den Weg zu der einzigen Person machte, die ich jetzt sehen wollte.

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Das Kapitel war schwierig zu schreiben - ich will gar nicht wissen, wie schlimm sich sowas anfühlen muss. Es gibt bestimmt unzählige Fälle, bei denen das Outing in so einer Richtung ablief :(

Scars (Stray Kids ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt