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Adrians Sicht

"Adrian", Vivi platzt in mein Zimmer.
"Adrian ich mach mir sorgen um Liv"

Ich halte mir den Kopf.
Nach der Aktion gestern mit Liv bin ich nicht nur total aufgebracht, auch für meinen physischen Zustand war das zu viel.

"Schlechtes Thema", murre ich.

Ich dachte ich könnte sie endlich haben.
Dass sie endlich bereit für mich wäre. Vielleicht für ein uns.

"Adrian, wirklich", fleht sie.

"Es geht ihr bestimmt super. Bestimmt ist sie bei ihrem Freund", verächtlich spucken ich die Worte.

"Ok ich kann das nicht", platzt es aus ihr.
Ich sehe sie an.

"Ich hab versprochen nichts zu sagen, aber es geht nicht. Nathan hat Liv nur erpresst mit Fotos von Julie. Deswegen waren sie zusammen. Eigentlich ist sie ein bisschen oder ein bisschen mehr in dich verknallt wenn dus genau wissen willst, aber das ist ja auch egal jetzt.
Aufjedenfall war es auch Nathan der ihr wehgetan hat. Und ich befürchte, das war nicht das einzige mal, sie war gestern total durch den Wind als sie hier war. Sie war bestimmt davor oder danach noch bei ihm.
Auf jedenfall war sie gestern schon völlig fertig und emotional labil und jetzt kam vorhin dieser Text", sie redet viel zu schnell und streckt mir einfach ihr Handy entgegen.

Avy, ich kann das alles nicht mehr. Julie ist weg und alle anderen auch.
Es tut mir leid. Ich muss einfach weg von hier.
Sag auch Adrian, dass es mir leid tut.

Ich springe auf und ignoriere das Stechen an meiner Wunde.
"Vivi das klingt", ich stocke.
"Das klingt wie ein viel zu langer Abschied", vollendet Avery.

"Wo kann sie sein?", frage ich, während ich schon auf dem Weg die Treppe runter bin.

"Ich weiß nicht. Überall. Zuhause wahrscheinlich nicht", verzweifelt rennt mir Avery hinterher, während ich schon Schuhe anziehen.

"Weg von hier", murmelt Avery.
"Hm?", frage ich.

"Zum See", sagt sie plötzlich.
Ich greife nach den Schlüsseln und eile zum Auto.

Avery steigt dazu ein und ich halte sie auch nicht auf.

Mit viel zu hoher Geschwindigkeit rase ich zu besagtem See am Stadtrand.

"Bleib bitte im Auto", bitte ich Avery, die nach kurzem Zögern nickt.

Ich atme tief durch und steige aus.
Dann folge ich einem kleinen Pattweg durch die Böschung, der mich fast direkt zu dem Steg, der in den See ragt führt.

Als ich zwei Schuhe an dessen Kante stehen sehe, überbrücke ich die Distanz mit wenigen Schritten.

Eindeutig Livs Schuhe. In dem linken Schuh ihre Kreuzkette, das letzte, was sie von ihrer Mutter bekommen hatte, bevor sie bei einem Autounfall ums Leben kam.

Das hat sie mir bei einem Training erzählt.

Aber so richtig bleibt mein Herz erst stehen, als ich eine unbemannte Jacke im Wasser treiben sehe.

Meine Jacke.
Aber Liv hatte sie an.

Ich falle auf meine Knie.
Ich greife nach der Kette und meine Finger spielen instinktiv mit ihr.
Ich kann nur abwechselnd das marode Holz des Stegs und das trübe Wasser anstarren.

Ich beuge mich vor, um die letzte Stufe des Stegs genauer zu betrachten.

"Sorry", steht dort reingeritzt.

Ich betrachte die Kette genauer.
Am unteren Ende des Kreuzes sind einige Kratzer, dabei hat Liv sie fast so sehr gehütet wie sie es mit Julie tat.

Ich atme fassungslos aus und lasse mich nach hinten fallen.
Ich spüre irgendwann Averys Hand beruhigend auf meiner Schulter.

Aber ich drehe mich nicht zu ihr um.
Sie soll mich so nicht sehen.

Denn sowohl meine Tränen, als auch das Blut aus meiner aufgerissenen Stivhwunde fließen hemmungslos.

Ich habe sie verloren.
Aber eigentlich hatte ich sie nie.

Aber sie hatte mich.
Sie wusste es nur nicht.

Im Grunde haben wir uns also beide verloren und wurden nicht gefunden.
Und werden nie gefunden.

Verlorene Seelen, die sich einsam verirren.

BABEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt