23. Mutterliebe - Aiko

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Wir standen vor einer großen Flügeltür, welche sich gerade von selbst öffnete und den Blick auf einen relativ kleinen Speisesaal freigab. Auch hier war beinahe alles in Goldtönen gehalten.

Am Esstisch saß Sayuri mit einer anderen Frau. Ihre langen blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten und ihre silbernen Hörner bildeten einen wunderbaren Kontrast zu ihren Haaren.
Sie unterhielt sich mit Sayuri, doch als die Tür sich öffnete richteten sich ihre orangen Augen auf mich. Sie lächelte.
„Hallo Aiko. Ich freue mich, dass wir uns endlich kennen lernen."
„Die Freude ist ganz meinerseits", antwortete ich.
„Ich bin Mei, die zweitjüngste Schwester und der Engel des Schicksals."

Sie zeigte auf einen Platz und nickte mir auffordernd zu. Ich setzte mich auf den Platz und kurz darauf erschien Essen auf dem Tisch. Die drei Engel fingen an zu essen und auch ich griff zu.

Nach einer Weile fragte Sayuri: „Wie lief das Training?"
„Einwandfrei", erwiderte Shuka lächelnd.
„Ist sie bereit?", meldete sich Mei zu Wort.
Shuka nickte.
„Bereit wofür?", fragte ich.
„Für dein Training mit Magie", erklärte Sayuri.

Ich schluckte. War ich wirklich bereit?

Nach dem Essen führte Sayuri mich zu dem schwarzen Turm.

„Hier wohnte deine Mutter", erklärte sie und öffnete die Tür.

Ich erblickte ein wunderschönes Wohnzimmer mit Möbeln aus schwarzem Holz. Links von mir war eine Tür. An der Wand hing ein großes Gemälde, auf dem meine drei Tanten und meine Mutter zu sehen waren. Sie sahen so glücklich aus. Ich ging zum Gemälde und berührte den dunklen Rahmen.

„Du kannst hier leben solange du möchtest, beziehungsweise bis du bereit bist."
Ich nickte.
„Ich muss dann jetzt los. Schau dich gerne um. Fühl dich wie zuhause."

Nachdem sie den Raum verlassen hatte, öffnete ich die andere Tür und erblickte eine Treppe, die nach oben führte.
Ich stieg die Treppe hinauf und fand eine weitere Treppe, sowie eine Tür. Hinter der Tür befand sich ein Büro. Die Farben waren in denselben dunklen Tönen gehalten wie das Wohnzimmer.
Ich ging zu dem Schreibtisch, der so vor dem Fenster stand, dass man raus schauen konnte, wenn man daran saß.

Ich strich über den dunklen Tisch.
Mir fiel eine Schublade auf, die nicht ganz geschlossen war, und öffnete sie. Darin lagen ein Buch und einige offene Briefe.
Die Briefe waren alle an meine Mutter adressiert.

Ich nahm einen aus der Schublade und nahm das Papier aus dem Umschlag.
Ich faltete ihn auseinander und las.

Meine liebe Tochter,
ich weiß, ich habe schreckliches getan, aber bitte verstehe, dass ich das für uns tat. Dein Vater und ich wollten nie, dass andere Lebewesen die Erde bevölkern. Wir wollten einzig und allein ein Zuhause für unsere Familie schaffen. Damals war Sayuri gerade geboren und wir wollten einen festen Ort, an dem wir euch erziehen können. Als die Göttinnen und später die Götter entstanden und neue Lebensformen in die Welt setzten, wollten wir dem Einhalt gebieten. Leider konnten wir nicht früher agieren, weshalb wir es jetzt tun müssen. Wir werden die Erde für unsere Familie zurückerobern. Es wird nicht lange dauern bis die Göttinnen zurückschlagen. Ich liebe dich. Pass auf dich auf, Ayame.
Deine liebende Mutter, Yang

Ich faltete den Zettel zusammen und setzte mich auf den Stuhl am Schreibtisch.
Meine Gedanken rasten. Was? Yang war eine liebende Mutter? Mein Leben lang wurde mir beigebracht, Yin und Yang seien böse gewesen und nun das.

Ich legte den Brief zurück in die Schublade und suchte darin nach einem Brief, der danach geschrieben wurde.

Ich brauchte nicht lange, um einen zu finden, der ein späteres Datum hatte.
Schnell faltete ich ihn auseinander und begann zu lesen.

Liebe Ayame,
die Göttinnen haben tatsächlich zurückgeschlagen. Dein Vater ist schwer verletzt und ich kann nicht sagen, was passieren wird. Doch wir werden weiterkämpfen. Wir werden siegen. Für unsere Familie. Wir kommen bald siegreich nach Hause. Ich liebe dich.
Deine liebende Mutter, Yang

Ich legte diesen ebenfalls zurück und musste erstmal nachdenken. Yang war optimistisch gewesen und hatte gedacht, sie würde siegreich zurückkehren. Doch sie war nie zurückgekehrt. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. War sie nun böse oder nicht?

Ich schaute erneut in die Schublade und fand einen Brief ohne Datum.
Ich faltete ihn auseinander.

Wir lieben euch!

Mehr stand nicht auf dem Papier.
Die Schrift war krakelig, als sei Yang in Eile gewesen. Ich konnte mir denken warum. Das war der Tag an dem sie und ihr Mann mit Kaguya verschwunden waren.

Diesen Brief legte ich auf den Schreibtisch und griff nach dem Buch.
Ich öffnete es.

Auf der ersten Seite war das Bild, welches auch im Wohnzimmer hing und auf der nächsten ein Bild von den vier Engeln als Kinder. Hinter ihnen standen eine Frau mit schwarzen Haaren und weißen Augen und ein Mann mit weißen Haaren und schwarzen Augen.
„Yin und Yang...", murmelte ich.

Ich blätterte um und schaute mir das nächste Bild an. Es waren meine Eltern, doch mein Vater sah jünger aus. Er küsste meine Mutter auf die Wange. Sie lachte herzlich. Ich lächelte traurig. Dieses Lachen hätte ich gerne gehört. Das nächste Bild überraschte mich. Auf diesem waren ebenfalls meine Eltern zu sehen. Meine Mutter hielt ein Baby im Arm und beide schienen überglücklich. Ich vermutete, dass dieses Baby ich war. Hatte sie diesem Album auch noch Bilder hinzugefügt, als sie schon im Zauberwald wohnte? 

Erneut blätterte ich um, doch die nächste Seite war leer. Die folgenden Seiten ebenfalls.
„Vier Bilder? Das war's?"

Seufzend klappte ich das Buch zu und legte es auf den Tisch. Anschließend schloss ich die Schublade und stand auf. Ich verließ den Raum und ging weiter nach oben.

Im nächsten Stockwerk befand sich eine Art Labor. In einem Schrank standen verschiedene Gefäße. Sie waren beschriftet und in ihnen waren die verschiedensten Zaubertränke.

Über dem Labor fand ich ein Badezimmer und ganz oben war das Schlafzimmer.
Die Wand war in einem dunklen Graulila gefärbt, auf dem Boden lag ein schwarzer Teppich, an der Wand stand ein dunkler Schrank und das große Bett war mit schwarzer Bettwäsche bezogen, nur das Kissen war lila.

Ich ging zu dem Schrank und öffnete ihn. Zu meiner Überraschung befanden sich tatsächlich Klamotten darin.

Ein kurzer Blick auf die Uhr, die an der Wand hing, sagte mir, dass es bereits 22:56 Uhr war.
Also nahm ich mir ein schlichtes, dunkelgraues Nachthemd aus dem Schrank und ging hinunter ins Bad.

Eine halbe Stunde später, ließ ich mich auf das Bett fallen. Mann, war ich erschöpft.

Ich fragte mich, ob Hayato mir bereits verzeiht hätte. Scheiße! Hayato! Er machte sich bestimmt Sorgen um mich. Mein Handy hatte ich während der Versammlung nicht dabei, also konnte ich weder ihm noch meinem Vater sagen, dass es mir gut ging. Oh nein! Mein Vater!

Ich stöhnte. Ich hatte die ganze Zeit nicht daran gedacht, dass sie sich wahrscheinlich sorgen würden.

Ich lag deswegen noch lange wach, doch irgendwann übermannte mich die Müdigkeit und mir fielen die Augen zu.

„Aiko! Mäuslein, ich bin so stolz auf dich!"

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Hallöle 🫶🏻
Wie geht's euch so?

Was denkt ihr über Yang? War sie böse?

Danke fürs lesen 🥰
Tschüssi 🩵

Die falsche WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt