Louis - Gin Tonic?

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"Erklär's mir bitte nochmal", sagte Zayn, der mir in den Flur folgte, während ich meine Schuhe anzog. Ich war bereits seit gestern hier, da ich die Stille meiner Wohnung nicht länger ausgehalten hatte. Seit einem Tag versuchte ich ihm zu erklären, wieso ich auf das heute stattfindende Konzert gehen würde und weshalb ich es nicht mit ihm tat. „Wer ist das nochmal?"
Leise lachend sah ich zu ihm. „Niall war mit Harry und mir in der Klasse. Nach dem Abschluss haben wir den Kontakt verloren, in der Bar letzte Woche haben wir uns wiedergesehen. Er war mit Harry dort", erklärte ich ihm (nun schon zum fünften Mal) und nahm meine Jeansjacke vom Haken. Im Spiegel musterte ich mich einen Moment. Das weiße Shirt strahlte mir entgegen unter der Jeansjacke und zupfte meine Haare zurecht, ehe ich wieder Zayn ansah. „Kann ich so gehen, was sagst du?" fragte ich ihn.
"Ist es ein Date?" fragte er mich skeptisch.
Ich musste sofort lachen, ehemir kurz darauf die Gesichtszüge entglitten. Erschrocken sah ich Zayn an. „Ist es eins?!" rief ich aus.

Zayn schmunzelte. "Weiß ich doch nicht! Ist er schwul? Stehst du auf ihn?"
"Zayn", maulte ich und schüttelte den Kopf. „Erstens. Keine Ahnung, ob er schwul ist. Ich glaube nicht, denn neben ihm saß ein Mädchen letzte Woche. Und zweitens, absolut nicht. Wenn dem so wäre, wäre mein Leben vermutlich jedoch einfacher", antwortete ich und umarmte Zayn fest.„Danke, dass ich bei dir schlafen darf."
Er lachte. „Du bist so bescheuert. Als ob du dich dafür bedanken müsstest", bemerkte er. Grinsend küsste ich seine Wange, ehe ich die Wohnung verließ und mich auf den Weg zum Konzert machte. In den letzten fünf Tagen hatte ich mich erneut in meiner Wohnung vergraben. Außer Vorlesungen und dem ständigen Lernen für die Prüfungen hatte ich nichts getan. Der Liebeskummer hatte also etwas Gutes: Ich würde meine Prüfungen nicht versemmeln, denn ich war bereits jetzt bestens vorbereitet.

Das Konzert würde im Regent's Park OpenAir Theater stattfinden. Meine Onlinerecherche hatte ergeben, dass es ein kleines Theater war, in dem meist eher Schauspiel stattfand. Ich mochte solche kleinen Konzerte, es fühlte sich familiärer an und man konnte auch viel mehr von den Künstlern sehen und erfahren. Da mein allererstes Konzert das größte Festival Englands war, wusste ich, was mir besser gefiel. Beim Gedanken an Leeds mit Harry vor so vielen Jahren, musste ich ganz automatisch wieder lächeln. Noch immer war dieser Ausflug für mich eine der schönsten Erinnerungen meiner Jugend. Auch wenn wir unglaublich viel Ärger bekommen hatten, so war das Wochenende so schön und aufregend, dass ich den Ärger widerstandslos akzeptiert hatte. Ich zog mein Handy hervor, als es vibrierte, und las mir Niall's neuste Nachricht durch (eine von sicherlich fünfzig, die er mir in der letzten Woche geschickt hatte, kaum eine davon hatte ich großartig beantwortet.

N: Wir treffen uns drin. Am Stand, wo es den Trüffelburger gibt ;)

Ich schmunzelte. Trüffelburger, das klang teuer und vor allem absolut widerlich. Ich wusste bereits jetzt, was ich auf keinen Fall essen würde. Lächelnd antwortete ich ihm und stimmte dem Plan zu, ehe ich die restliche Fahrt die Musik der Band in meinen Ohren laufen ließ, damit ich überhaupt ein bisschen wusste, was heute Abend vor sich ging. Einige der Songs waren tatsächlich so gut, dass ich sie in meine Lieblingssongs-Playlist mit aufnahm, daher versprach ich mir mehr Spaß als zunächst gedacht. Ein wenig nervös war ich jetzt bereits und als ich aus der U-Bahn ausstieg, wurde das Gefühl nur noch schlimmer. Die Sache war für mich riskant, denn ich wusste überhaupt nicht, ob Niall und ich uns gut verstehen würden. Es war so lange her, dass wir uns gesehen hatten, es bestand also durchaus die Chance, dass er und ich mittlerweile völlig inkompatibel waren.Damals waren wir noch halbe Kinder gewesen. Die Zeiten waren anders.

Das Anstehen am Eingang dauerte beinahe eine halbe Stunde und als ich endlich drin war, atmete ich erleichtert aus und ließ das Amphitheater einen Moment auf mich wirken. Es fügte sich herrlich in die Natur des Parks ein, umgeben von hohen Bäumen, mit Sitzreihen aus Holz, die wie Treppen in einem Halbkreis um das Gelände aufgebaut waren. Die ebenso aus Holz bestehende, schlichte Bühne war bereits vollgepackt mit Instrumenten und Mikrofonen, bereit, heute von The Mentalists erobert zuwerden. Auf der Leinwand dahinter leuchtete bereits das Logo der Band. Meine Vorfreude stieg beim Anblick der gedimmten Beleuchtung und als ich in den umliegenden Bäumen Lichterketten entdeckte, wurde mir warm und ich fing an zu lächeln. Es sah aus wie Glühwürmchen, die die Baumkronen bedeckten und mit leuchtenden Augen ließ ich den Eindruck auf mich wirken, ehe ich mich auf die Suche nach dem Trüffelburger und Niall machte. Es gab einige Getränke- und Essenstände und es war gar nicht so einfach. Als ich den Stand endlich fand, war von Niall keine Spur. Er war offensichtlich zu spät und ich seufzte leise und sah auf die Uhr. Manche Dinge änderten sich eindeutig nie, er war schon damals immer zu spät gewesen. Zwanzig Minuten hatte er noch und einen guten Platz wollte ich auch haben. Ich rief ihn an, doch es meldete sich nur die Mailbox.

"Louis?"
Eine Stimme erklang an meinem Ohr, die ich überall und immer wieder erkennen würde. Ich fuhr langsam herum und blickte direkt in diese verdammten, grünen Augen. Er war hier. Harry stand hier vor mir und blickte mich überrascht an, sah dabei so unverschämt gut aus, dass mir fast übel wurde. „Was machst du denn hier?" fragte ich ihn ebenso überrascht. „Ähm...naja, mir das Konzert ansehen?" sagte er und lachte leicht.„Ich bin mit Niall verabredet, er hatte Karten und hat mich gefragt, ob ich mit ihm gehen will", fügte er hinzu.

Das Blut wich mir aus dem Gesicht und ich starrte ihn fassungslos an, schüttelte leicht den Kopf. Das konnte nicht wahr sein. „Ist das dein Ernst?" hakte ich nach. Harry's Gesicht verzog sich zu einer irritierten Miene und er legte den Kopf schief, musterte mich skeptisch. „Was denn? Darf ich nicht auf Rock stehen und mit meinem besten Freund auf ein Konzert gehen?" fragte er mich. Ich schluckte leicht, den Stich im Herzen versuchte ich zu ignorieren, auch wenn mir das schwerfiel. Ich atmete einen Moment durch, sammelte mich, ehe ich ihm wieder in die Augen sehen konnte. „Niall hat auch mich eingeladen", antwortete ich ihm leise.
Seine Augen weiteten sich und er sah mich sprachlos an. „Wir gehen also zu dritt?" fragte er verwirrt. Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf. „Sein Handy ist aus. Ich schätze, das hier ist eher eine andere Situation."
„Hä?" fragte mein Gegenüber.
Ich verdrehte die Augen und überprüfte kurz mein Handy. Keine Nachricht von Niall. „Er hat uns verarscht, Harry. Er wird nicht kommen! Er hat uns beiden jeweils eine Karte gegeben, damit wir hier zusammen hingehen!"

Zwischen uns herrschte einen Moment Stille, ehe ich erneut seufzte. „Ich verschwinde", sagte ich und setzte mich in Bewegung. „Moment!" sagte Harry und schnitt mir den Weg ab, sah mich mit den großen, grünen Augen bittend an.
"Lass uns doch...keine Ahnung, Niall wird sich dabei doch etwas gedacht haben. Wollen wir nicht einfach den Abend gemeinsam verbringen?" fragte er mich und ich lachte bitter auf. „Ist das dein Ernst? Wieso denn? Wir sind keine Freunde mehr, Harry. Das hast du deutlich gemacht, als du dich nach dem Abschlussball einfach verpisst hast!" fauchte ich ihn an. Meine Emotionen kochten bereits wieder hoch. Ich konnte einfach nicht in seiner Nähe sein, ohne dass mein Herz schmerzte. Ich würde Niall definitiv erwürgen, wenn er mir noch einmal unter die Augen treten würde.
„Ich weiß und ich bin dir eine Erklärung schuldig. Aber Lou, es wäre Geldverschwendung, wenn wir..." setzte er an. „Nenn mich nicht Lou!" unterbrach ich ihn zänkisch und funkelte ihn aufgebracht an. „Hast du das mit ihm geplant? Habt ihr euch das schön zusammen ausgedacht, um mich zu quälen?" fragte ich ihn direkt.

Harry schüttelte den Kopf und sah mich erschrocken an. „Louis, nein. Glaub mir, ich habe damit nichts zu tun!" sagte er eindringlich. „Aber jetzt sind wir schon einmal hier und ich mag die Band, du vielleicht auch, nehme ich an, sonst wärst du nicht hier! Also, wollen wir nicht einfach zusammen das Konzert sehen? Und danach können wir vielleicht reden. Ich kann dir erklären, was los war." Er sah mich wieder so bittend an und ich spürte, wie meine Fassade bröckelte. Er sah einfach immer so gut aus und wenn er diesen flehenden Blick aufsetzte, war es jedes Mal um mich geschehen. Ich seufzte leise und musterte ihn, ließ mir Zeit mit meiner Antwort. Ich wollte den Abend nicht mit ihm verbringen. Es tat weh und ich wollte mich nicht schon wieder in den Schlaf weinen. Allerdings würde ich das nun wohl so oder so tun, außerdem wollte ich Antworten. Ich wollte wissen, wieso er mir das angetan hatte. Mit einem leisen Seufzer sah ich mich nach den Getränkeständen um.
„Dafür brauche ich Alkohol", sagte ich resigniert und nickte Harry zu.
„Gin Tonic?"
Er nickte, ein vorsichtiges Lächeln zierte sein Gesicht. „Gin Tonic."

All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt