Louis - The Bear Inn

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Ich saß eine viel zu lange Zeit im Flur an der Wand gelehnt, starrte vor mich hin und versuchte zu verstehen, wieso genau ich erneut in die Falle namens Harry Styles gelaufen war. Wieso ich erneut das Opfer wurde, dass am Ende sowieso weinend auf dem Boden sitzt. Unter all dem Herzschmerz kroch ebenso Wut in mir auf. Auf mich selbst, auf ihn, auf die beschissene Blondine, die bald in einem beschissenen, weißen Brautkleid neben ihm stehen würde und ihren beschissen Brautstrauß ihren dämlichen Collegefreundinnen zuwerfen würde.
"Fuck!" rief ich und presste die Kiefer aufeinander, wischte mir die heißen Tränen grob aus dem Gesicht und stand auf. 

Mein Handy klingelte unaufhörlich, doch ich ignorierte es. Ein Blick durch die Schlafzimmertür ließ mich schnauben, ich ging hinein und zerrte die Decken herunter, riss das Laken von der Matratze und schmiss es in die Ecke. Wütend zog ich auch die Decken und Kissen ab, schmiss alles auf einen Haufen und fluchte vor mich hin. Meine Wut nahm neue Ausmaße an, als ich alles, was ich in die Hand bekam, durch die Gegend warf und mir die Haare raufte. Binnen einer halben Stunde sahen Schlafzimmer und Wohnzimmer aus wie ein einziges Schlachtfeld, bis ich erschöpft auf die Knie fiel und gequält aufschluchzte. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und weinte erneut los. 

"Bruderherz! Ich bin zuhause, seid ihr angezogen?!" 
Lottie's Stimme und ihr helles Lachen durchdrang meine Gedanken und ich erschauderte, ließ die Hände erschöpft sinken. Ich hörte die Schritte, dann ein erschrockenes Jauchzen. 
"Lou?! Oh mein Gott, Lou ist alles okay?!" rief sie und rannte zu mir, ging vor mir auf die Knie und sah mich mit großen Augen an. Ich sah ihr in die Augen und konnte nichts sagen, stattdessen lehnte ich mich einfach gegen sie und schluchzte erneut auf. Es fiel mir schwer Worte zu finden, daher blieb ich stumm und weinte einfach nur.
Sie schloss die Arme um mich und zog mich an sich heran, streichelte mir über den Rücken. "Was ist passiert, Lou?" flüsterte sie. 
Ich schniefte und schüttelte den Kopf. "Er wird heiraten", hauchte ich.
Meine Schwester seufzte leise. "Verdammte Scheiße", murmelte sie bedrückt und küsste meine Schläfe. "Das tut mir leid, Lou. Ehrlich..." 

"Ich komme mir so dumm vor", flüsterte ich und weinte erneut, klammerte mich an ihr fest. "Okay, Bruderherz, na komm. Leg dich ins Bett. Ich mache dir einen schönen, heißen Tee und wir reden darüber", bot sie mir an und ich seufzte tief. "Ich habe das Schlafzimmer auseinandergenommen", murmelte ich. 
Sie nickte. "Dann geh auf die Couch. Bitte, Lou." 
Mit brennenden Augen sah ich sie einen Moment an, ehe ich langsam aufstand. Sie half mir auf die Couch und ich legte mich hin, dann deckte sie mich zu und strich mir über den Kopf. "Tee? Oder willst du dich ausruhen?" fragte sie sanft.
"Ich möchte gar nichts", antwortete ich ihr leise und schloss die Augen. Sehnte mich danach, einzuschlafen und mich in meine Traumwelt zurückzuziehen. 

Als ich am späten Nachmittag wieder aufwachte, hörte ich aus der Küche gedämpfte Stimmen. Für einen Augenblick hoffte ich, er war zurückgekommen. Ich stand zittrig auf und lief in den Raum, ließ die Schultern sinken als ich Lottie sah, die am Tisch saß und anscheinend telefonierte. Als sie mich bemerkte, machte sie den Lautsprecher aus und beendete ihr Gespräch, sah mich besorgt an. "Wie fühlst du dich?" fragte sie. 
"Beschissen", antwortete ich schlicht. 
Sie nickte verständnisvoll und schob eine dampfende Teetasse über den Tisch. Leicht lächelte ich und setzte mich ihr gegenüber, legte die Hände um die warme Tasse. "Ich habe dein Schlafzimmer aufgeräumt und das Bett neu bezogen. Es ist alles wieder frisch", sagte sie. Dankbar sah ich zu ihr. "Lots, das wäre nicht nötig gewesen", erwiderte ich. Sie winkte ab und nickte. "Nicht nötig, aber ich habe es gern getan." 

Mit einem Nicken lehnte ich mich zurück und atmete tief durch. "Ich fasse es nicht, dass ich wieder auf ihn hereingefallen bin", sagte ich düster und starrte auf den Tee. Es war lieb von ihr, dass sie ihn aufgesetzt hatte, doch irgendwie bekam ich das Gefühl, dass er mit einem Schuss Vodka besser schmecken würde. Genau deshalb griff ich auf das Regal neben dem Tisch, nahm die Flasche und füllte einen kräftigen Schuss hinein. 
"Lou, ich halte das für keine gute Idee." 
Ich nickte. "Ich auch nicht", bestätigte ich ihr, trank dennoch die Tasse in einem Zug aus und ließ sie auf den Tisch fallen. Emotionslos sah ich sie an. "Er ist das Letzte. Ernsthaft, er hat mich das ganze Wochenende nur benutzt!" 

Sie seufzte auf. "Ich verstehe das nicht. Ich habe euch doch gestern gesehen, ihr wart so glücklich. Er hat dich so liebevoll angesehen. Was hat er sich dabei gedacht?" fragte sie und wirkte absolut ratlos, tippte mit den Fingern nachdenklich auf der Tischplatte herum.
Ich schnaufte, schüttelte den Kopf. "Das kann ich dir ganz genau sagen. Er wollte vor seiner Hochzeit nochmal wissen, wie es ist, mit einem Kerl zu ficken", sagte ich verbittert. 

Lottie sah mich bestürzt an, ehe sie die Knie heranzog und den Kopf schief legte. "Lou, hast du Zayn angerufen?" fragte sie mich. 
"Nein", sagte ich kopfschüttelnd. "Er hat mir vorhin eine Nachricht geschickt, die ich unbeantwortet gelassen habe. Wenn ich ihn jetzt anrufe, dann wird er mir nur sagen, dass er es gewusst hat." 
Sie runzelte die Stirn. "Das würde Zayn nie tun, das weißt du, oder?" 
Ich schnaubte, sah sie an und zog die Augenbrauen zusammen. "Ich will ihm nicht die Ohren volljammern. Ich tue das so oft, es reicht langsam. Ich belaste ihn nicht länger damit", sagte ich und dann atmete ich tief durch. "Ich werde mich bei niemandem mehr über ihn beklagen. Das ist jetzt vorbei. Er hat mir wieder das Herz herausgerissen, er hat wieder egoistisch gehandelt. Egal was ihm passiert ist, das ist keine Entschuldigung mehr." 
"Lou, diese Camps...die traumatisieren wirklich sehr stark", sagte sie vorsichtig. 

"Das weiß ich selbst", sagte ich düster. 
Meine Schwester sah mich sanft an. "Bevor du ihn für immer verteufelst, denke einen Moment nach. Harry hat sich vielleicht jahrelang selbst belügen müssen. Und wer weiß schon, was sein Vater gegen ihn in der Hand hat, mit was er ihn unter Druck setzt. Dieses Camp wird ihn vermutlich gebrochen haben, ich mag mir gar nicht vorstellen, was er dort erlebt hat. Denkst du nicht, du solltest versuchen, noch einmal mit ihm zu reden?" 

Fassungslos sah ich sie an. "Du verteidigst ihn?!" fragte ich sie aufgebracht, woraufhin sie die Hände hob und mich entschuldigend ansah. "Nein, ich verteidige es nicht, dass er dir die Verlobung verschwiegen hat. Ich appelliere nur an deinen Verstand. Du bist es so gewohnt, dass er dich fallen lässt, dass du vielleicht nicht siehst, dass das diesmal genauso ist", antwortete sie ruhig, doch ich schnaubte und schüttelte den Kopf. 
"Ich glaube es nicht, dass du ernsthaft solche Dinge sagst", hauchte ich und sah sie frustriert an. "Was soll ich tun? Eine heimliche Affäre mit ihm anfangen, damit er sich besser fühlen kann? Darauf warten, dass er vielleicht doch irgendwann diese scheiß Schlampe verlässt und mit mir durchbrennt?" rief ich und stand auf, griff nach meinem Handy und ging in den Flur, wo ich mir die Jeansjacke anzog. 
"Wo willst du hin?" fragte sie mich alarmiert. 
"Weg!" fauchte ich, zog mir die Schuhe an und verließ die Wohnung eilig. 

Ziellos wanderte ich durch die Straßen und wischte mir erneut Tränen aus den Augen, nahm mein Handy in die Hand und drückte auf den Kontakt von Zayn. Ich blieb stehen, mein Daumen schwebte über dem Anrufsymbol, doch ich konnte mich nicht dazu durchringen. Ich wusste, was er mir sagen würde, und ich konnte es gerade einfach nicht ertragen. Ich wollte auf keinen Fall, dass er mich so behandelte, wie ich mich gerade fühlte. Wie ein Opfer. 

Als ich das Handy wieder in die Jackentasche geschoben hatte, sah ich auf und mein Blick fiel auf das Schild des The Bear Inn. Es war angeblich der älteste Pub in Oxford. Viele Studenten trafen sich hier wegen der elitären Atmosphäre. Es würden sich dort also nur spießige Idioten befinden, was im Umkehrschluss bedeutete, dass ich mir gepflegt und in Ruhe die Kante geben konnte. Ich seufzte leise auf und ging durch die Tür. Innen war es stickig, nicht viele Menschen waren anwesend und zufrieden setzte ich mich an den Tresen. Der Barkeeper nickte mir zu und sah mich aufmerksam an. "Was kann ich dir geben?" 
"Gin Tonic, am besten gleich zwei", antwortete ich und stützte den Kopf in meiner Handfläche ab, starrte auf die mahagonifarbene Fläche des Tresens. Zwei Gläser schoben sich in mein Sichtfeld und ich nickte dankend, trank den ersten Gin Tonic auf Ex aus. 

"Louis? Was machst du denn hier?" 
Ich blickte nach oben, direkt in waldgrüne Augen, die mich irritiert ansahen. Ein blonder Haarschopf, ein markantes Gesicht, dass mir äußerst bekannt vorkam. Vor mir stand mein Ex. Ungläubig blinzelte ich und richtete mich ein wenig auf. "Alex?!" 


All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt