Nah genug dran

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"Lou!" rief Zayn, als ich den Zug verließ und mit einem strahlenden Lächeln lief er auf mich zu. Lächelnd schloss ich ihn in die Arme und ließ die Wärme auf mich wirken, die sich sofort um mein Herz hüllte. Ich hatte ihn vermisst und ich freute mich, ihn zu sehen. Zayn ließ einen immer gut fühlen, als würde er gute Energien an einen abgeben. Und genau das brauchte ich jetzt. "Zaynie, hi", sagte ich leise und wir lösten uns, er sah mich mit einem Lächeln an, dass kurz darauf einem besorgten Stirnrunzeln wich.
"Du siehst grün aus. Wieso siehst du grün aus?" 

Mein Lächeln verrutschte leicht  , ehe ich abwinkte. "Mir ist schlecht von der Zugfahrt, alles gut!" antwortete ich einen Hauch zu schnell und er musterte mich prüfend, nickte dann und legte den Arm um mich.
Gemeinsam liefen wir los und Zayn zog mich wie automatisch in ein belangloses Gespräch über seine Kommilitonen. Er studierte in London Kunst und Kunstgeschichte. Seine Erzählungen über die Menschen in seinen Kursen und diverse Gerüchte, ließen mich besser fühlen und für einen Augenblick vergaß ich die Mail, die mir vor wenigen Minuten alte Wunden aufgerissen hatte. Er berichtete von seiner Freundin Lydia, die ich bis jetzt noch nicht kannte, auf die ich jedoch sehr gespannt war. Sie waren erst drei Monate zusammen und er schien glücklich.
"Kommt Lydia auch mit?" fragte ich ihn schließlich. Er lächelte zufrieden und nickte. "Sie kommt heute Abend nach, ja. Also nur, wenn das für dich in Ordnung ist?!" Er sah mich fragend an. Lächelnd lehnte ich mich gegen ihn und nickte. "Natürlich Zaynie. Was für eine Frage!" 

Wir erreichten seine Wohnung nach zwanzig Minuten Laufweg durch die Londoner Innenstadt und ich stellte die Tasche im Flur ab, streckte mich ausgiebig und atmete tief durch. "Endlich mal eine hübsche Aussicht!" sagte ich scherzhaft, als ich durch das vor mir liegende Fenster auf die gläserne Oberfläche des nebenliegenden Hochhauses blickte. Der Schwarzhaarige lacht auf und stieß mir spielerisch in die Seite.
"Also, gibt's was Neues bei dir?" fragte er ganz ohne Umschweife und sah mich aufmerksam an. Ich schüttelte den Kopf. "Rein gar nichts zu berichten. Ich studiere wie ein Blöder und tue sonst nichts!"
Zayn musterte mich erneut kritisch. "Wir kennen uns jetzt acht Jahre, Louis." 
Stur sah ich ihn an, während er den Kopf schief legte und mich sanft anlächelte. Ich schnaubte leise und seufzte schließlich. "Alles gut, Zayn. Bei mir hat die Vergangenheit angeklopft, aber es ist alles okay", antwortete ich ihm.
Er nickte wissend. "Harry."
Ich spannte mich augenblicklich an. "Ich will nicht darüber reden." 
Zayn nickte sofort und strich mir über den Arm. "Dann sollten wir uns jetzt fertig machen und ab in die Bar", schlug er vor und ich sah ihm dankbar in die Augen, lächelte leicht. "Lass uns das machen." 

Nur eine Stunde später saßen wir in einem Pub nicht weit von Zayn's Wohnung und tranken das zweite Bier. Entgegen meiner Vorfreude kam ich nur schlecht in Stimmung, viel gegessen hatte ich auch nicht und aus diesem Grund war ich nun bereits angetrunken und lehnte mich gegen Zayn, der mir lächelnd über den Kopf tätschelte. "Hab fast vergessen, dass du kuschelst, wenn du angetrunken bist", sagte er lachend.
Ich seufzte nur. "Denkst du, ich finde je so etwas wieder?" 
Er sah mich fragend an. "Was meinst du?" 
"Na Harry", wiederholte ich seine Aussage von vorhin. Zayn verzog leicht das Gesicht und zuckte mit den Schultern. "Jeder Topf hat seinen Deckel. Er war nicht dein Deckel, Lou. Er war nicht bereit." 
Kopfschüttend löste ich mich von ihm und stützte mich auf dem vor uns befindlichen Tisch ab.
"Er hat es nicht gewusst", flüsterte ich. Das war die Wahrheit, denn das hatte er nicht. Als ich es ihm endlich sagen wollte, war es bereits zu spät und er war weg gewesen. Trotzig trank ich mein Bierglas vollständig leer und sah Zayn an. "Lass uns tanzen gehen!" 
Er lächelte mich nachdenklich an, nickte dann jedoch sofort. 

Wir zahlten unsere Drinks und Zayn brachte uns zu einem Club, ebenfalls unweit von ihm entfernt. Im Zentrum zu wohnen hatte definitiv seine Vorteile, das war nicht zu leugnen. Innen im Club war es stickig, das Schwarzlicht ließ mein weißes Shirt erleuchten und ich fing sofort an mich zum Beat zu bewegen.
Die Ablenkung kam gelegen und Zayn und ich fingen an zu tanzen, noch bevor wir die ersten Drinks bestellt hatten. Die Wärme die uns umgab war kaum auszuhalten, schon nach wenigen Minuten standen mir die Schweißperlen unter dem dichten Haar über meiner Stirn. Doch es fühlte sich gut an, alles wegzutanzen. Zayn und ich johlten die Songs mit und ich drehte mich immer wieder um ihn herum, wir wurden ausgelassener und ich sah mich mit alkoholverschleiertem Blick um. 

Grüne Augen traten in mein Sichtfeld, gepaart mit braunem, kurzgeschnittenem Haar. Der breite Körper bewegte sich im Takt und die Augen trafen meine, ein amüsiertes Blitzen tauchte darin auf. Ich ließ den Blick über den Körper gleiten, unter dem Shirt waren die Muskeln ansatzweise zu erkennen. "Nah genug dran", murmelte ich, ehe ich dem Fremden ein Lächeln schenkte, dass er sofort erwiderte.
Zayn's Hand legte sich auf meine Schulter und ich sah zu ihm, bemerkte das Kopfschütteln, doch ich ignorierte es, bewegte mich weiter und sah dem Fremden dabei in die Augen. Auch er löste den Blick nicht und wir bewegten uns wie zwei Magnete immer näher aufeinander zu, bis wir nah aneinanderstanden.
"Hey, ich bin Jade", sagte er, doch ich winkte ab. "Wie auch immer", murmelte ich, griff in seinen Nacken und zog ihn an mich. Fest legte ich die Lippen auf seine und wie erwartet erwiderte er und zog mich am Shirt an sich.
Der Kuss war leidenschaftslos, eher drängender Natur und wir tanzten gleichzeitig zu dem treibenden Beat, der durch die Boxen dröhnte. Seinen Namen hatte ich schon wieder vergessen, konzentrierte mich nur auf das Gefühl des Kusses, grüne Augen, braunes Haar. Wilde Locken, die um ein markantes Gesicht herumschwirrten. Sein Gesicht tauchte vor meinem inneren Auge auf und ich zuckte zurück, sah den Fremden vor mir prüfend an. Er war es nicht. Er war es nie. 

"Willst du was trinken?" rief er mir über die Musik hinweg zu und ich schüttelte den Kopf, tanzte ihn erneut an und drehte ihm den Rücken zu. Seine Hände legten sich auf meine Hüften und wir bewegten uns gegeneinander. Ich spürte seine Erektion, lehnte meinen Hinterkopf gegen seine Schulter und genoss die Halsküsse, die er immer wieder auf meiner Haut platzierte. Es war okay, aber nie gut genug. Gleichermaßen wertlos wie eben auch wertvoll, auch wenn ich nicht wusste, wieso ich es so empfand.
Ich öffnete die Augen, sah mich nach Zayn um, der mit einer blonden Frau redete. Sie hatte die Hand auf seiner Brust abgelegt, direkt über dem Herzen. Das musste Lydia sein. Und plötzlich wurde mir bewusst, was ich für einen ersten Eindruck machte, als die Beiden zu mir herübersahen und ihr Blick mich traf. Darin, so bildete ich mir ein, lag Verachtung und mir wurde übel, ich löste mich von dem jungen Mann und ließ ihn wortlos stehen, bahnte mir den Weg zu den Beiden zurück.
"Hi! Du musst Lydia sein!" sagte ich mit einem freundlichen Lächeln, dass sie verhalten erwiderte. "Genau die! Und du bist Louis", stellte sie fest, weshalb ich nur nicken konnte. Unsicher sah ich zwischen ihr und Zayn her, der die Hand auf meine Schulter legte und mich anlächelte. 
"Wer war der Kerl?" 

Ich wollte mit den Schultern zucken, doch Lydia musterte mich kritisch, weshalb ich froh war, dass mir sein Name wieder einfiel. "Jade heisst er. Wir wollen uns eventuell wiedersehen", log ich und sein Ausdruck wurde überrascht, während Lydia's Lächeln sichtlich entspannter und freundlicher wurde. Sie hatte mich ganz offensichtlich für eine Schlampe gehalten. "Wiedersehen? Du?" fragte Zayn ungläubig und zerschlug damit meine Hoffnung, Lydia von mir überzeugt zu haben. Sie lachte leicht und sah in meine Augen.
"Du bist frisch Single, oder?" 
Natürlich stimmte ich ihr zu, immerhin war es ja so. Doch ich kam nicht umhin zu denken, dass mein erster Eindruck definitiv nicht der Beste gewesen war.
"Jedenfalls schön, dich endlich kennenzulernen! Zayn erzählt ständig von dir, es ist so süß!" Ein eindeutiger Versuch, die Begegnung positiv zu verändern.
Auf ihrem Gesicht wurde das Lächeln breit und richtig verliebt, sie sah sanft zu Zayn und nickte, sah mich wieder an. "Ich hör auch viel von dir. Zayn liebt dich, wusstest du das?" Sie lachte und ich stimme darin ein, nickte sofort und umarmte Zayn grinsend.
"Ich liebe dich auch, Zaynie!" sagte ich euphorisch und wir lachten gemeinsam, ehe wir uns an der Bar Shots holten.

Eine halbe später hatte ich Lydia für mich gewonnen und sie schien deutlich aufgeschlossener gegenüber mir zu sein. Wir redeten und tanzten, immer wieder warf ich dem Grünäugigen Blicke zu, die er erwiderte, auch wenn er unsicher wirkte.
"Du musst damit aufhören", sagte Zayn und ich blickte zu ihm.
"Mit was denn?"
Er verdrehte die Augen und zeigte auf den fremden Kerl, sah mich dann ernst an. "In jedem Kerl ihn zu suchen. Bei Alex war es auch so. Du musst dich endlich lösen!"
Ich sah ihn aufgebracht an und zog die Augenbrauen fest zusammen, schüttelte vehement den Kopf. "Ich bin verdammt nochmal von ihm gelöst!" fuhr ich ihn an, exte den Vodkashot, der vor mir stand und ließ das Glas auf den Tisch knallen.
"Genau", kommentierte Zayn zynisch und ich schluckte leicht, richtete meine Haare und ging erneut auf den jungen Mann zu, in dessen Gesicht ein süffisantes Grinsen erkennbar war. Ich wusste, er war nicht Harry. Ich war über ihn hinweg. 

Ich wiederholte diese Worte in meinem Kopf immer und immer wieder, während ich dem Mann erneut die Zunge in den Hals steckte und ihn fester an mich heranzog, nur um ein wenig zu vergessen und gleichermaßen ein wenig zu erinnern. 

All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt