Harry - Manche Dinge ändern sich nie

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Es war schon spät abends und der Regen hatte zugenommen, doch ich musste jetzt dringend mit meinem Freund reden. Ich nahm die U-Bahn, fuhr den Weg nach Greenwich und betrat den Pub, in dem er mit seiner Freundin saß und den Abend ausklingen ließ. Mit schnellen Schritten ging ich zu ihm und ließ mich ihm gegenüber aufdie Sitzbank fallen, sah ihn an. „Hey Niall", sprach ich gehetzt. 

Der Mann vor mir schmunzelte und sah mich neugierig an. Seine blauen Augen blitzten amüsiert auf. Niall kannte ich tatsächlich bereits seit der Schule, er war in meiner Klasse gewesen. Im Studium hatten wir uns dann vor zwei Jahren wiedergetroffen,als er an meine Uni gewechselt hatte. Wir hatten uns enger angefreundet und ich verbrachte mittlerweile einen Großteil meiner Freizeit mit dem Iren, der mit seinen Eltern bereits als Kind Mullingar verlassen hatte und nach England gezogen war. Vor einem Jahr hatte er dann seine Freundin Amelia kennengelernt,die als Barista in einem hippen Café in der Innenstadt arbeitete, während sie versuchte, Schauspielerin zu werden. Und nun saßen sie hier und sahen mich beide abwartend an. 
"Was ist passiert?" fragte er. "Hast du Lilly endlich den Laufpass gegeben?" 

Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah ihn irritiert an. „Wieso genau sollte ich denn mit Lilly Schluss machen?" hakte ich nach. Der Ire seufzte und verdrehte die Augen.„Weil ich sie nicht leiden kann, es hätte ja sein können, ich bin sie endlich los.", antwortete er und fing sich dafür einen Schlag auf den Oberarm von Amelia ein, die ihn warnend ansah. 
Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. „Du bist ein Idiot. Und darum geht's jetzt auch gar nicht!" maulte ich ihn an und er lachte, hob entschuldigend die Hände. „Schieß los. Wo brennt's?"
Ich atmete tief durch und lehnte mich zurück. "Ich habe Louis getroffen." 
Niall's Augen weiteten sich und es sah beinahe so aus, als würden sie ihm gleich aus dem Kopf fallen. Sein Mund klappte auf und er starrte mich völlig fassungslos an. Mit nur vier Worten hatte ich etwas erreicht, dass ich bis lang noch nie erlebt hatte: Niall James Horan war sprachlos. 

"Ja, so habe ich auch reagiert", sagte ich resigniert.
"Du hast ihn angestarrt?" hakte er nach und ich nickte. „Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte! Er war...meine Güte, wir haben uns ewig nicht gesehen!"antwortete ich und raufte mir die Haare, atmete tief durch. 
"Du musst glaube ich ein wenig ausholen. Ich brauche Kontext, Harold!" forderte Niall. 
"Ich heiße nicht Harold", fauchte ich zurück, ehe ich ergeben nickte und den Beiden von dem zufälligen Treffen berichtete. Außerdem erzählte ich von der Mail und dem Geständnis, dass ich darin gefunden hatte. Überfordert sah ihn Niall an. „Was soll ich denn nun tun?" fragte ich ihn hilflos. Auf Niall's Gesicht war ein Strahlen erschienen, er sah mich voller Begeisterung an und klatschte in die Hände. „Ich habe es doch gewusst! Ich wusste es doch immer!" rief er aus. 
Amelia sah ihn überrascht an und auch ich legte den Kopf schief. „Was hast du immer gewusst?" fragte ich ihn leise. 
"Dass der Junge völlig verknallt in dich war! Und du in ihn, im Übrigen!" 

"Das ist doch völliger Quatsch!" protestierte ich, ohne zu zögern. Empört sah ich ihn an, doch er winkte nur ab und sah Amelia an. „Louis war Harry's allerbester Freund, seit dem Kindergarten. Sie haben wirklich alles zusammen gemacht und waren praktisch unzertrennlich. So unzertrennlich, dass sie in der Schule Larry genannt wurden, weil es kürzer war und man hat sie sowieso nicht alleine angetroffen", erklärte er ihr und sah zu mir. „Und Louis war auf jeden Fall richtig doll verliebt in Harry, wirklich. Sehnsüchtige Blicke inklusive, hach, es hat wirklich jeder gewusst!" fügte er noch hinzu und Amelia kicherte und sah mich neugierig an. „Und was ist passiert? Du hast gesagt ihr habt euch ewig nicht gesehen. Wieso, wenn ihr doch so unzertrennlich wart?" fragte sie mich neugierig. 

Ich seufzte. Das war eine gute Frage. Etwas, dass mir seit acht Jahren im Kopf herumspukte, denn ich wusste, dass ich Louis sehr wehgetan hatte.
"Ich habe die falschenPrioritäten gesetzt. Ich habe Louis immer wieder vernachlässigt, weil ich im Footballteam aufgenommen wurde und ein dummer Idiot war. Und dann...", Ich seufzte, als es hinter uns knallte. Wir alle drei sahen uns erschrocken um. Die Eingangstür war aufgegangen und gegen die dahinterliegende Wand geknallt, vermutlich durch den Wind, der draußen immer weiter zunahm. Das Wetter wandelte sich gerade und wurde ziemlich eklig. 
"Was und dann?" fragte sie erneut nach.
Ich hörte ihr gar nicht richtig zu, mein Blick blieb an dem Neuankömmling hängen, der sich gerade einen Weg zur Bar bahnte. Es war der schwarzhaarige junge Mann, in dessen Begleitung Louis sich im Restaurant befunden hatte. 
"Wie groß ist London nochmal?" fragte ich abwesend.
"London hat eine Fläche von eintausendfünfhundert Quadratkilometern bei circa neun Millionen Einwohnern!" antwortete Niall wie aus der Pistole geschossen.
"Erstens, du bist echt ein Lexikon", sagte ich und lachte leicht. „Und zweitens, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit in dieser Riesenstadt jemanden zweimal an einem Abend zu treffen?" fügte ich hinzu und blickte wieder zu dem Schwarzhaarigen, der mittlerweile ein Bier in der Hand hielt und gerade bezahlte. 

"Wen hast du entdeckt? Louis?!" fragte Niall begeistert und setzte sich aufrechter hin.Ich schüttelte den Kopf. „Seinen besten Freund", antwortete ich ein wenig steif, denn das auszusprechen fiel mir ungewöhnlich schwer, das musste ich zugeben. Es hinterließ einen sauren Beigeschmack und ich erwischte mich dabei, wie ich den Mann nach Fehlern absuchte. Es gab keine, er sah makellos aus.Etwas daran frustrierte mich und ich konnte förmlich fühlen, wie meine Miene sich verdunkelte, während ich ihn gedankenversunken beobachtete.
Zu meinem Unglück schien er meinen Blick zu bemerken und eine Sekunde später begegnete er meinem Blick. An seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er wusste, wer ich war.

„Das ist sein bester Freund? Der der auf uns zukommt? Heilige..." murmelte Emilia und fing sich von Niall und mir gleichermaßen einen bösen Blick ein, was sie jedoch einfach nur mit einem Lachen abtat. Ich blickte erneut zu dem Schwarzhaarigen, der mich noch immer musterte, ehe er sich in Bewegung setzte und in Richtung der anderen Seite des Pubs davonlief. Ich folgte ihm mit meinem Blick und dann sah ich den braunen Wuschelkopf in der Ecke sitzen. „Verdammt", murmelte ich. 

Ich sah  ihm sofort an, dass es ihm nicht gut ging. Es war nicht zu übersehen. Die Augen wirkten müde, die Mundwinkel waren nach unten geneigt, unter seinen Augen tiefe Schatten. Er wirkte getrübt und ich schluckte. Wie automatisch war mir, als ob keine Zeit vergangen war. Als ob Louis immer noch der Junge war, der mit seinerTräumerei immer angeeckt war, und ich der Junge, der ihn auf dem Schulhof stets beschützt hatte. Wenn er traurig gewesen war, kroch in mir der Drang hoch, ihn aufzumuntern. Wie ich jetzt feststellen musste, hatte sich das nicht geändert. 

Wie automatisiert stand ich auf. „Harry? Was wird das?" fragte Niall, doch ich antwortete ihm nicht, ging stattdessen auf Louis und seine Begleitung zu.
Louis fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und blickte danach auf. Als er mich erkannte, erstarrte er und riss die Augen auf. Sie waren rot gerändert, das konnte ich auch in der schummrigen Pubbeleuchtung bestens erkennen. Ich atmete tief durch und blieb vor dem Tisch der Beiden stehen. „H-Hey", sagte ich und räusperte mich, da meine Stimme brach. 
Louis nickte leicht, sah mich an. „Hi, Harry", antwortete er leise und sah sich im Pub um. Er schien nach etwas zu suchen, blickte wieder zu mir, als er es augenscheinlich nicht fand. „Wieder ein witziger Zufall, hm?" fragte er mit einem gespielten Lachen und wirkte fürchterlich unsicher. Ich nickte leicht, sah seine Begleitung an. „Hey, ich bin Harry", stellte ich mich vor und reichte ihm die Hand.„Zayn, Hallo", antwortete er, schüttelte meine Hand. An seinem Gesicht erkannte ich, dass er alles wusste und ganz eindeutig nicht begeistert von mir war.  

Mein Blick ging wieder zu Louis. „Hast du Lust, eine rauchen zu gehen? Du rauchst doch noch, oder?" fragte ich ihn, denn mir fiel einfach nichts Besseres ein. Louis seufzte und sah auf die Tischplatte. „Schon, ja", murmelte er und sah unsicher zu Zayn. Dieser schenkte ihm ein liebevolles Lächeln, was mir genauso sauer aufstieß wie die Tatsache, dass er sein bester Freund war. Er passte offensichtlich auf Louis auf. Das sollte mich freuen, wieso ärgerte es mich so? Ich konzentrierte mich wieder auf Louis und sah ihn abwartend an.
"Um der alten Zeiten willen?" hakte ich schließlich nach, weil er noch immer auf die Tischplatte starrte und auf seiner Lippe kaute. Als ich erneut etwas sagte, blickte er auf zu mir und direkt in meine Augen. Ich erschauderte einen Moment,denn sie waren nicht so warm wie sonst. Im Gegenteil, sie waren erstaunlich kühl. „Wieso nicht", sagte er schließlich und stand auf, kramte aus der Jacke eine Schachtel und zog eine heraus, hielt sie mir hin. „Ich nehme an, du schnorrst dich noch immer durch, hm?"

Ich lachte leise, weil ich gar nicht anders konnte, nickte ihm zu und wir gingen gemeinsam nach draußen, nachdem Louis sich kurz mit Zayn abstimmte, dessen argwöhnischerBlick uns folgte. „Manche Dinge ändern sich eben nie", sagte ich schließlich als Antwort auf die vermutlich längst vergessene Frage. Wir beide standen eng an die Hauswand gedrückt unter der Markise, ein kläglicher Versuch, dem Regen zu entkommen. Louis nickte jedoch trotzdem, zündete draußen die Zigarette an und drehte sich zu mir, sah mir direkt in die Augen.
"Anderes ändert sich dafür umso mehr." 

All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt