Louis - Henry heißt eigentlich Harry

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Weiche Lippen an meiner Wange verpassten mir eine Gänsehaut. Für eine Sekunde neigte ich den Kopf in seine Richtung und genoss die Berührung, dann fiel mir auf, dass es nicht Harry war, der mir diese Zärtlichkeit schenkte. Ich öffnete die Augen und sah Alex an, der mich mit seinem niedlichen Lächeln anfunkelte. "Ist ja fast wie Schicksal, dass wir uns heute treffen", sagte er und ich runzelte die Stirn und sah ihn fragend an.
"Schicksal? Warum?" 
Er zuckte mit den Schultern. "Ich habe heute morgen Lottie gesehen. Und das habe ich seit unserer Trennung nicht", erklärte er. Für mich war das überhaupt keine Erklärung. Doch es war mir eh egal, weshalb ich ihn einfach nur ansah. 
"Was hältst du von Sex?" 

Sein Lächeln verschwand und er sah mich nun nachdenklich an. "Mit dir?" 
Ich lachte humorlos auf. "Nein, mit dem Weihnachtsmann", antwortete ich zickiger als geplant und exte den nächsten Gin Tonic in einer Geschwindigkeit, die mir zu denken geben sollte, wenn mich momentan irgendetwas interessieren sollte. Tat es aber nicht. 
"Natürlich mit mir", setzte ich daher nach und blickte auf das leere Glas in meiner Hand. Alex seufzte leise. "Keine gute Idee, würde ich sagen. Du siehst aus, als würde es dir schlecht gehen", antwortete er ruhig.
Wieder lachte ich nur leise auf. "Mein Gott, du redest wie ein scheiß Therapeut. Wenn das so ist, kannst du dich auch wieder umdrehen und gehen!" maulte ich ihn an und vergrub das Gesicht in meinen Händen, kniff die Augen fest zusammen und atmete zittrig aus. 

"Lou, was ist los?" fragte er mich mit ruhiger Stimme. Ich schüttelte jedoch nur den Kopf und blieb stumm. Ich wollte nicht mit ihm reden.
"Noch einen?" fragte der Barkeeper und ich sah zu ihm. "Noch zwei", antwortete ich. In meiner Hosentasche vibrierte das Handy und ich zog es hervor und legte es auf den Tresen. Zayn rief mich erneut an und ich starrte auf die Buchstaben und das Foto von uns.  
"Habt ihr Streit?" 

Ich sah zu Alex, dessen Miene ich auch in meinem Zustand noch als besorgt erkannte. Leicht schüttelte ich den Kopf. "Ich will nur nicht, dass er mir sagt, dass er es die ganze Zeit gewusst hat", antwortete ich seufzend.
"Was gewusst?" 
"Dass er mir wehtun wird", murmelte ich betrübt. 
Alex seufzte hörbar. "Du bist also nach wie vor nicht über diesen Kerl hinweg, hm?" fragte er und ich sah überrascht zu ihm. Ich hatte ihm nie von ihm erzählt, da war ich mir sicher. Woher wusste er das? Genau das fragte ich ihn, woraufhin er mit den Schultern zuckte. 
"Ich kenne all deine Geschichten, Louis. Du hast sie mir doch alle gezeigt. Und ich bin nicht dumm, mir war sehr wohl bewusst, dass Henry keine Fiktion ist", erwiderte er. Ich nickte leicht und starrte das Glas an, dass soeben vor mir seinen Platz gefunden hatte. "Henry heißt eigentlich Harry", sagte ich leise. 

Wieder klingelte mein Handy und ich ließ den Kopf auf den Tressen fallen und seufzte verzweifelt auf. "Henry heißt Harry und er wird mich niemals lieben", sagte ich düster und schniefte leise auf. 
"Das hier ist nicht der richtige Ort, Lou. Soll ich dich nach Hause bringen?" fragte Alex mich und ich schüttelte den Kopf. "Ich bleibe wo ich bin!" antwortete ich harsch. 
"Aber du bist total voll und siehst aus als würdest du gleich anfangen zu heulen, ich denke nicht...", setzte er an, doch ich setzte mich auf und unterbrach ihn, indem ich mit der flachen Hand gegen seine Brust stieß. Er taumelte leicht zurück und sah mich erschrocken an. "Ich sage doch, ich bleibe wo ich bin!" sagte ich erneut mit Nachdruck und funkelte ihn wütend an. Er nickte leicht und musterte mich. "Bitte, Lou." 

Für einen Moment überlegte ich, ob ich ihm einen Faustschlag verpassen sollte. Ich erhob mich von dem Barhocker, doch taumelte und verlor den Halt. Seine schnelle Reaktion und der Griff unter meine Arme waren das einzige, was mich davon abhielt, der Länge nach auf die Nase zu fallen. 
"Sieht aus, als wär der Abend beendet", hörte ich den Barkeeper sagen. Alex legte den Arm um mich und stützte mich. "Sieht so aus. Ich übernehme die Rechnung", antwortete er. Ein Moment verging, dann setzte er sich in Bewegung und zog mich sanft mit sich. Es war mir völlig egal, ich lehnte mich gegen ihn und seufzte auf. "Hast du dich endlich geoutet?" fragte ich ihn mit deutlichem Lallen in der Stimme. 
"Nein", antwortete er schlicht. "Aber ich wollte es für dich tun. Jetzt wo wir getrennt sind, sehe ich keinen Sinn mehr darin." 

Ich lachte auf und krallte mich in sein Shirt, während wir weiterliefen. 
"Lachst du mich aus?" fragte er und ich schüttelte den Kopf sofort. "Nein, Alex. Aber du hast immer gesagt, dass du das nicht tun kannst. Und jetzt so? Klingt nach Bullshit", antwortete ich und zuckte mit den Schultern.
Er antwortete nicht und als wir vor dem Apartmentblock ankamen, in dem sich meine Wohnung befand, blieben wir stehen. Ich kramte den Schlüssel hervor, dann sah ich ihn an. "Von hier schaff ich's", murmelte ich und blickte auf seine Lippen, dann zurück in seine Augen. Alex schüttelte sofort den Kopf. "Denk nicht mal dran", sagte er leise. 
Ich legte den Kopf schief, sah ihn prüfend an. "An was denn?" fragte ich unschuldig. Er lachte schüchtern und ich zog ihn einfach an mich und küsste ihn. Er erwiderte sofort und umarmte mich, ich zog ihn näher an mich. Doch das Gefühl, dass ich suchte, blieb aus. 

Frustriert löste ich meine Lippen und seufzte leise auf. "Es ist nicht das Gleiche", flüsterte ich und schüttelte den Kopf. 
Er sah mich an. "Ich bin eben nicht Henry", erwiderte er schlicht. 
Fest presste ich die Lippen aufeinander und nickte leicht. "Ich wünschte, es wäre einfacher", antwortete ich und schloss die Haustür auf. Ohne ein weiteres Wort schleppte ich mich hoch in meine Wohnung und fiel beinahe in den Flur, stolperte und hielt mich an der Garderobenstange fest, die ich mit mir zu Boden riss. Stöhnend blieb ich einen Moment liegen, dann rappelte ich mich wieder auf und setzte mich hin, atmete tief durch. 

Auf meinem Handy zeigte es mir wieder Zayn's Anruf an und diesmal nahm ich ihn an. "Ja?" sagte ich rau und starrte auf den Teppich, der den Flur entlang lag. 
"Lou? Mein Gott, endlich! Wie geht es dir? Was ist passiert?!" rief er aufgebracht und ich schluckte. "Ich habe Alex geküsst", antwortete ich. 
"Alex? Deinen Ex?" 
"Ja." 
"Okay", sagte er und war einen Moment still. "Und was ist mit Harry?" hakte er nach. Seufzend lehnte ich mich an der Wand an. "Du wirst mir sowieso sagen, dass du es wusstest und dass ich ein Idiot bin. Ich will es dir nicht sagen", antwortete ich trotzig. 
"Hat er dir wehgetan?" fragte er mich ruhig. 
Stumm nickte ich. "Nickst du gerade?" fragte er mich und ich nickte wieder. "Ja", sagte ich leise dazu, denn auch das zweite Nicken konnte er ja nicht sehen, wie mir in diesem Moment einfiel. 

Zayn seufzte leise. "Ich werde nichts sagen, versprochen. Nur eine Sache", sagte er. Ich seufzte leise. "Kommst du klar?" 

Überrascht hielt ich inne, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Vor Zayn's Reaktion hatte ich solch eine Angst gehabt, dass ich nicht einmal seinen Anruf annehmen konnte, geschweige denn ihn anrufen konnte, als es passiert war. Auch wenn ich ihn jetzt am Dringendsten bei mir wollte, denn er war nicht umsonst ein so guter Freund. Zayn war immer da gewesen und wusste, wie er mich beruhigen konnte. Bei Mom's Tod war er mir keinen Moment von der Seite gewichen. Nur er hatte mich all das ertragen lassen.
"Nein", sagte ich deshalb ganz leise. Ihn anzulügen war mehr als albern, er kannte mich. Sicherlich hatte er in dem Moment, in dem er meine Stimme gehört hatte, genau gewusst, was los war. Lügen ergab keinen Sinn.  

"Soll ich zu dir kommen? Wir packen deine letzten Sachen gemeinsam, gehen eine fette Pizza essen und dann fahren wir zurück nach London und du lässt die Scheiße hinter dir", schlug er sanft vor. 
Ich nickte und setzte mich auf, taumelte ins Schlafzimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. "Ich liebe dich, Zaynie", murmelte ich und schloss die Augen. "Tu ich echt. Ich wünschte, ich könnte ihn weniger lieben und dich dafür mehr..." lallte ich und atmete tief durch, während mich die Müdigkeit mehr und mehr umhüllte. Er antwortete etwas, doch das bekam ich schon gar nicht mehr mit. Das Handy rutschte an meiner Wange nach unten und ich schlief nach wenigen Sekunden in einen festen Schlaf. 

All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt