Louis - Gefahr gebannt

274 55 28
                                    

Wir standen an der Bar, während die ersten Klänge von der Bühne ertönten und ich seufzte und schüttelte leicht den Kopf. Ich würde das halbe Konzert verpassen, wenn der Barkeeper weiter so langsam war, so viel war sicher. Genervt lief ich einen Schritt vor, spürte Harry's Präsenz hinter mir überdeutlich und verkrampfte mich leicht, als sein Ellenbogen meinen Rücken berührte. Schnell fuhr ich zu ihm herum. „Kannst du Abstand lassen?" fuhr ich ihn an. Harry hob entschuldigend die Hände und ging einen Schritt zurück, sah mich mit einem Blick voller Unsicherheit an. Ich schluckte und drehte mich wieder von ihm weg. Ich musste mich wirklich zwingen, nicht sofort zu gehen. Um mich abzulenken, nahm ich mein Handy und öffnete Zayn's Chat, tippte eine Nachricht ein, die ich jedoch wieder löschte. Es war kindisch, ihn zu fragen, ob er mich abholen könnte. Ich sollte Harry vielleicht wenigstens eine Chance geben.

Als wir endlich an der Reihe waren, bestellte ich zwei Gin Tonic, die ich auch bezahlte, und hielt dem Lockenkopf einen der Becher hin. Er nahm es in die Hand und nickte. „Vielen Dank", sagte er leise. „Die nächste Runde machst du", entgegnete ich kühl, stieß meinen Becher gegen seinen und leerte den Becher beinahe in einem Zug, ehe ich ihn auf die Bar stellte und direkt Nummer 2 bestellte. Harry atmete tief durch, zahlte meinen Gin Tonic und wir liefen gemeinsam in Richtung Bühne.
„Louis?"
Ich sah fragend zu Harry, der solch eine Unsicherheit ausstrahlte, dass es mir fast schon leidtat. Fast. „Was ist denn?" fragte ich ihn. „Du hast mir gefehlt."

In meinem Herzen zog es heftig und ich blickte ihm in die Augen, schluckte schwer. Der Lockenkopf klammerte sich an seinen Becher, während er mich ansah, die Schultern ließ er hängen und die Augen wirkten betrübt. Ich hielt seinem Blick nicht stand, blickte stattdessen auf die Bühne vor uns, auf der die Band mittlerweile angefangen hatte. Ich bekam davon nichts mit, mein ganzes Nervensystem, alle meine Sinne, alles war auf ihn ausgerichtet.
„Davon habe ich all die Jahre wenig mitbekommen", sprach ich.
Harry nickte, senkte den Blick betreten. Ich winkte ab. „Lass uns die Musik versuchen zu genießen", sprach ich und setzte den Becher an meine Lippen, ließ die klare Flüssigkeit meine Kehle hinunterfließen und wischte mir anschließend mit dem Daumen über die feuchten Lippen. „Ich hole noch einen", sagte ich knapp und ging eilig zur Bar.

Zwei Sachen wusste ich bereits jetzt schon: Ich würde gleich völlig betrunken sein und von dem Konzert bekam ich überhaupt nichts mit. Ich nahm mein Handy noch einmal, schrieb Niall, dass ich ihn ab sofort abgrundtief verachten würde für die Aktion, ehe ich die bestellten zwei Drinks bezahlte und mir einen Weg zurück zu Harry bahnte. Dieser stand am Rand wie bestellt und nicht abgeholt, sein Blick lag nachdenklich auf der Band und ich genehmigte mir einen Moment des Stillstandes, in dem ich ihn ganz kurz beobachtete.
Er wirkte bedrückt, hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und kaute auf seiner Lippe. Das tat er immer, wenn er über etwas angestrengt nachdachte. Ich ertappte mich dabei, wie ich lächeln musste. Seine markante Kieferpartie mit dem unruhigen Bartschatten, die perfekt geformte Nase und diese wundervollen, perfekt geschwungenen und vollen Lippen. Wenn er damals als Jugendlicher schon gut aussah, so war er jetzt für mich die reinste Perfektion. Es gab für mich einfach keinen schöneren Mann.

Irgendwann drehte er sich zu mir, bemerkte mich und lächelte leicht. „Das ist mein Lieblingssong von denen", sagte er und zeigte mit dem Daumen nach oben. Meine Mundwinkel zogen sich ganz automatisch nach oben. Der Alkohol in meinem Blut ließ mich lasch werden, unvorsichtig. Die Musik war gut, der Song klang toll und ich bekam Lust mich zu bewegen. Ich ging auf Harry zu und gab ihm seinen Becher, stellte mich neben ihn.
„Wie heißt er?"
Er sah zu mir. „You and me", antwortete er und ich sah in seine Augen, er in meine. Ein Lächeln entstand und ich merkte, wie meine Wangen warm wurden, sah schnell weg und nickte leicht. „Den mag ich auch!" antwortete ich bemüht locker. Nur wenig später fing ich an mich zu bewegen, ließ mich anstecken von den Menschen um uns herum, die ausgelassen tanzten und die Lieder mitsangen.

Ich vergaß für den Moment, dass Harry und ich eigentlich nicht mehr miteinander sprachen, denn nach den Mengen Gin Tonic war das gar nicht mehr wichtig. Wir beide sprangen auf und ab, lachten und bei den Texten, die ich kannte, sang ich laut mit, während Harry jeden einzelnen Song kannte. Offenbar war er ein echter Fan, denn er sang ausnahmslos mit. Sofort kam mir eine Idee.
„Lass uns backstage gehen!" sagte ich zu ihm und er sah mich verwirrt an. „Das geht nicht ohne Backstagepass!" antwortete er mir.
Ich lachte leise. „Scheiß drauf! Erinnerst du dich, wir sind früher oft irgendwo rein, wo wir nicht durften und es war im Übrigen immer deine Idee!" sagte ich. „Bist du langweilig geworden Harry Styles?" fügte ich deutlich lallend hinzu und grinste frech in seine Richtung.

Er grinste ebenso und schüttelte den Kopf. „Was ist nur aus dir geworden? Früher hast du dir schon ins Hemd gemacht, wenn wir eine Packung Kaugummis im Kiosk geklaut haben!" scherzte er.
Ich kicherte. „Bin erwachsen geworden", antwortete ich.

Er lachte, die Grübchen stachen hervor und mir wurde heiß. Ich griff nach seiner Hand und zog ihn mit mir mit. „Los, wir machen das jetzt!" sagte ich und er ging bereitwillig mit mir mit, unsere Finger verschränkten sich wie automatisiert und ich spürte mein Herz bis zum Hals klopfen. Der Alkohol ließ mich relaxed werden und doch war es mit einem Mal wieder wie früher, als Harry und ich eines unserer Abenteuer erlebten.
Wie die zwei Teenager von damals schlichen wir durch die Menge zu den Bauzäunen, die den Backstagebereich umrandeten und vor Eindringlingen wie uns schützten. Ich biss mir aufgeregt auf die Lippe und Harry drückte meine Hand, weswegen ich zu ihm sah. Er grinste ebenso, seine Augen funkelten vor Aufregung und ich nickte ihm zu, ehe ich den Zaun nach einer Lücke absuchte, durch die wir schlüpfen konnten.

Als wir eine fanden, sah ich zu Harry nach oben und strahlte ihn an. „Bist du bereit?"
Er sah mich an und nickte. „Mehr als bereit."
Ich nickte zufrieden, schlüpfte durch die Lücke zwischen zwei Zaunelementen und hielt mich im Schatten versteckt, drehte mich zu Harry. Er folgte mir und als er durch den Zaun stieg, stolperte er und fiel mir direkt in die Arme. Ich hielt ihn fest, lachte leise und sah ihn an, seine Hände lagen auf meiner Brust, doch er zog sie schnell wieder weg. „Sorry, ich habe den Halt verloren", sagte er und ich kicherte nur und winkte ab, sah mich um. „Also, wo willst du jetzt hin? Der Band Hallo sagen?" fragte ich ihn neugierig.
Er riss die Augen auf. „Hallo sagen? Sag mal, bist du bescheuert?" fragte er mich.
„Hast du Angst?" Ich sah ihn prüfend an und er schnaubte. „Nein, aber wir haben keinen Pass und ich möchte keinen schlechten Eindruck machen", verteidigte er sich sofort und sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen missmutig an.

Ich beugte mich ein wenig nach vorn zu ihn und grinste ihn an. „Was ist nur aus dir geworden? Wo ist mein aufmüpfiger, abenteuerlustiger Harry hin?" fragte ich ihn einfach so, denn ich hatte auch über meine Worte offensichtlich keinerlei Kontrolle mehr.
Er sah mich an und legte den Kopf schief. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Sehnsucht, den ich nicht verstand. „Und was ist aus dem schüchternen, verträumten Louis geworden?" stellte er ruhig die Gegenfrage.
Ich dachte darüber nach, zuckte mit den Schultern. „Der ist noch da. Er sitzt da und träumt sich weg in Welten, in denen er haben kann, was er sich so sehr wünscht", antwortete ich ihm leise und biss mir auf die Zunge sofort. Das wollte ich gar nicht sagen.

Harry musterte mich und nickte leicht, wollte etwas sagen, doch ein Geräusch hinter uns kam zu meinem Glück dazwischen. Schwere Schritte, die in unsere Richtung kamen. "Ist da jemand?" rief eine dunkle Stimme und ich machte mich in unserem Versteck ein wenig kleiner, sah zu Harry und legte den Finger auf meinen Mund, um ihm zu bedeuten, still zu sein. Im gleichen Moment zog ich ihn näher in die Ecke, mehr in meine Richtung.
Harry ließ es zu und sah mich an. "Keine Angst, ich beschütze dich", flüsterte er.

Ich sah zu ihm mit großen Augen. Erinnerungen kamen in mir hoch und ich konnte den Blick nicht lösen. Das hatte er immer getan. Harry hatte mich immer beschützt, war für mich da gewesen. Zwischen uns war immer diese Dynamik gewesen, er war immer der Stärkere gewesen.
Die Schritte kamen näher und ich hielt die Luft an, verfluchte mich und meinen Alkoholpegel für die Schnapsidee, in den Backstagebereich zu schleichen. Ich war so nicht, ich verstand mich selbst gar nicht mehr. Als die Schritte sich wieder entfernten, sah Harry zu mir und lächelte. "Gefahr gebannt", flüsterte er und zwinkerte mir zu.

"Wer kam nur auf diese bescheuerte Idee?" flüsterte ich ebenso leise und er lachte und sah mir in die Augen. Wieder wurde mir warm und ich fixierte ihn, blieb in seinen Augen hängen und schluckte leicht. Die Wut auf ihn war verraucht. Für einen Augenblick sah ich auf seine Lippen, dann wieder in seine Augen, die sich leicht geweitet hatten. Mein alkoholverseuchtes Hirn sendete Signale durch meinen Körper, mein Herz raste mit einem Mal und ich verlor mich in meinem Traum, meiner Sehnsucht. Ohne weiter darüber nachzudenken, legte ich meine Lippen auf seine und küsste ihn.

All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt