14. Juni 2016

288 60 30
                                    

"Loueeh!" schrie Harry mir ins Ohr und schlang die Arme um mich, küsste meine Wange. "Wo bist du nur die ganze Zeit?" lallte er. "Du bist ja betrunken. Wo hast du denn Alkohol her?" fragte ich ihn.
"Flachmann", antwortete er kichernd. Ich sah ihn erschrocken an. "Du hast einen Flachmann auf den Abschlussball geschmuggelt?!"

Der Lockenkopf kicherte erneut und nickte, auf seinem Gesicht ein breites, betrunkenes Grinsen. Innerlich seufzte ich. Der Abschlussball war sowieso ein riesiger Reinfall bis jetzt gewesen und ich hatte überhaupt keinen Spaß gehabt. Nachdem Harry mir vor zwei Wochen eröffnet hatte, dass er mit Julia Richards hingehen würde, hatte ich beschlossen, nicht teilzunehmen. Durch diese Rechnung hatte mir jedoch meine Mutter einen Strich gemacht, indem sie mich schlichtweg dazu gezwungen hatte, hier heute Abend hinzugehen. "Diese Erfahrung gehört zum Erwachsenwerden dazu, Louis", hatte sie gesagt. Irgendwann hatte ich nachgegeben und so war ich hier gelandet, allein, in einem teuren schwarzen Anzug.

"Wo ist Julia?"
Harry seufzte. Harry seufzte. "Die habe ich weggeschickt. Sie hat gesagt du wärst ein seltsamer Mensch."
Ich sah ihn an. "Warum?" fragte ich leise.
Er zuckte mit den Schultern. "So redet man nicht über dich. Selbst wenn du ein bisschen seltsam bist, weil du immer träumst..." Er sah mich an mit diesen traumhaften, grünen Augen. "Das darf niemand sagen. Niemand außer ich."
Ich nickte. "Ach ist das so?"
Harry nickte fest. "Nur ich, weil du mein seltsamer Mensch bist", flüsterte er und lehnte sich mehr an mich.
Wieder ein kleiner Sprung in meiner Brust, ein Kribbeln, kaum spürbar, aber dennoch da. "Du bist betrunken und das ist ein sehr fragwürdiges Kompliment, wenn es eines sein sollte", sagte ich leise.

Harry sah mich weiter an. "Komm mit mir. Ich muss dir was erzählen", bat er mich. Misstrauisch sah ich ihn an, schüttelte den Kopf. "Haz, Liam und die anderen warten sicher auf dich..." sagte ich. "Was sollen sie denn denken, wenn du hier so mit mir abhängst?" fügte ich kaum hörbar hinzu und sah mich nach den Footballern um. Ich erkannte Liam, der uns beobachtete, schon von Weitem. Innerlich verdrehte ich die Augen. Er hatte mir Harry weggenommen. Sie hatten ihn so in Beschlag genommen, für mich hatte er kaum mehr Zeit. Und dann war da ja noch Julia.
Harry durchbrach meine Gedanken, strich mit seinen Fingerspitzen über meinen Wangenknochen. Erschrocken sah ich ihn an. "Was soll das?" fragte ich unsicher.
"Kommst du jetzt mit, Boo?" fragte er noch einmal und setzte einen Hundeblick auf.

Mein Kryptonit.

"Okay", sagte ich deshalb seufzend und er grinste sofort, nahm meine Hand und zog mich mit sich in die Nebenräume der für den Ball umgebauten Turnhalle. So wie die Tür sich hinter uns schloss, wurde die zuvor dröhnende Musik kaum noch hörbar und es war ganz ruhig, nur unsere Schritte waren noch zu hören. Die Deckenlichter waren nur halb an, vermutlich Sparmaßnahmen, um die ausschweifende Abschlussfeier halbwegs rentabel zu machen. Harry ging einen Schritt, ehe er stehen blieb und ich drehte mich zu ihm, sah ihn an.
"Also, was ist los?" fragte ich ihn, bemüht um ein lockeres Auftreten.
Er kam mir näher und sah mich an. "Ich vermisse dich, Boo. Die anderen wollen immer so viel, sie erwarten so viel. Du nicht. Und ich will doch eigentlich nur bei dir sein."

Ich sah ihn mit großen Augen an, während er das Gesicht verzog und den Kopf schüttelte, ehe sein Blick wieder meinen traf. Grün traf Blau und ich erschauderte. "Ich weiß nicht, was mit mir los ist", flüsterte er. Es war kaum hörbar, doch ich verstand ihn dennoch. Ich schluckte leicht, dann zuckte ich mit den Schultern. "Was denkst du denn, was mit dir los ist?" fragte ich vorsichtig.
Er seufzte schwer, legte seine Hand an die Seite meines Halses und strich mit dem Daumen über die Haut. Sofort bildete sich eine Gänsehaut und ich neigte ganz automatisch den Kopf und genossdie Berührung, ohne dass ich es wollte. "Du bist so schön", sagte er beinahe gequält und ich sah in seine grünen, leuchtenden Augen und mein Herz drohte zu explodieren, so schnell schlug es.
"Sag mir nichts, was du nüchtern wieder bereust", bat ich ihn leise. "Bitte, Haz. Ich bitte dich nur um diese eine Sache."

All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt