Harry- Dämliche Aufgabe

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Um uns herum wurde es ungemütlicher durch den starken Wind, ich konnte den Regen in meinem Nacken spüren und zog die Jacke enger um mich. Zwischen uns wurde es ebenso ungemütlich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und Louis sah mich nicht einmal an, während er an seiner Zigarette zog. „Wie lange bist du noch in London?" fragte ich ihn schließlich irgendwann, um die Stille zwischen uns zu brechen.
Er blickte zu mir. „Morgen früh fahre ich wieder", antwortete er mir. Ich nickte. „Wie ist Oxford? So, wie wir es uns immer vorgestellt haben?"
Louis lachte leise, doch es war kein glückliches Lachen. „Oxford ist...es ist sehr schön dort. Wo studierst du?"fragte er mich, sah mich zum ersten Mal richtig an. „Ich bin seit zwei Wochen Grundschullehrer", antwortete ich ihm und der junge Mann vor mir fing zu meiner Überraschung an zu lachen. 

"Du? Ein Lehrer?!" fragte er und sah mich mit gerunzelter Stirn an, grinste jedoch noch immer ein wenig dabei. „Bringst du den Kindern bei wie man schwänzt?"
Ich lachte leise. „Auch wenn es dich vielleicht überrascht, ich bin durchaus mittlerweile fähig mich zivilisiert zu verhalten", konterte ich scherzhaft. Nun lachten wir beide leise und Louis stieß den Rauch der Zigarette aus, ließ den Blick über die Straße schweifen.Vor uns hetzten Menschen über die Straße, hielten ihre Taschen über ihre Köpfeoder versuchten, den Regenschirm gegen den Wind zu stemmen. Plötzlich blitzte es, gleich darauf ertönte ein lautes Donnern und Louis zuckte neben mir heftig zusammen.
"Hast du noch immer Angst vor Gewitter?" fragte ich ihn. 
Er nickte, sah mit sorgenvollem Blickin den Himmel. „Ich glaube, ich gehe wieder rein. Das Wetter ist mir nichts",sagte er leise und trat die Zigarette auf dem Boden aus. Er drehte sich um und setzte sich in Bewegung, doch ich umgriff sein Handgelenk, um ihn zu stoppen.
"Warte, Lou", bat ich ihn. 

"Harry, komm schon", murmelte er und starrte auf meine Finger, die sein Handgelenk fest umschlangen. Ich erkannte, wie sich sein Kehlkopf bewegte, ehe er mir in die Augen sah. Ich schluckte ebenso, denn sein Ausdruck war so anders als damals. „Bitte?" fragte ich erneut hoffnungsvoll. Louis seufzte und sah zum Himmel, schüttelte dann den Kopf. „Ich kann Zayn nicht stehen lassen, das gehört sich nicht. Ich werde mit ihm noch etwas trinken, falls das Wetter dann besser ist, können wir ein Stück gehen?"
Ich nickte sofort und ließ seine Hand los. „Das klingt gut, danke Lou", sagte ich und lächelte leicht. Er erwiderte es nicht, stattdessen ging er in den Pub zurück und ließ mich stehen. Ich seufzte leise. Meine Enttäuschung über mich selbst wurde immer größer. 

Mit einem unwohlen Gefühl ging ich schließlich ebenso wieder in den Pub, steuerte direkt auf Niall und Amelia zu und setzte mich. Sie beide sahen mich neugierig an. „Wie hat er reagiert?"fragte Niall mich. Ich zuckte mit den Schultern und starrte auf das Bier, das vor mir stand. Niall hatte mir anscheinend eins bestellt. 
"Unterkühlt, würde ich sagen. Was verständlich ist", antwortete ich und blickte durch die Menge zu Louis, der sich auf Zayn zu konzentrieren schien und in ein Gespräch verwickelt war. Frustriert schüttelte ich den Kopf, sah Niall an. 
"Wie kommst du darauf, dass ich was von Louis wollte?" fragte ich ihn direkt. Die Frage stellte ich mir schon die ganze Zeit und ich wollte wissen, was er damit meinte. Der Ire schmunzelte und zuckte mit den Schultern. „Weil ihr euch immer so angesehen habt, als wäre der jeweils andere eure ganze Welt. Es gab nichts über, unter oder neben euch. Willst du mir ernsthaft erzählen, dass da nie etwas gelaufen ist?" Ich sah missmutig zu Niall und dann auf meine Hände. „Es gab mal einen Kuss", gab ich leise zu, sofort dachte ich an den Moment im Kinderzimmer, an den Kuss, der so schnell intensiv wurde. „Aber ich habe blöd reagiert. Er...es war nicht...ich stehe doch nicht auf Männer", fügte ich verteidigend hinzu. Niall seufzte. „Aber wenn du erwidert hast, war er dir ja schließlich nicht egal", sagte er schulterzuckend. 
Ich seufzte auf und schüttelte den Kopf. „Ich vermisse ihn", gab ich leise zu. „Das tue ich seit acht Jahren..."

Die Beiden sahen mich überrascht an. Amelia schien mit den ganzen Informationen völlig überfordert zu sein. „Aber du hast doch den Kontakt...", setzte sie an, doch stoppte im Satz und blickte hinter mich. Ich drehte den Kopf und sah Louis an, der hinter mir stand. Louis' blaue Augen durchbohrten meine, ehe er blinzelte und zu Niall sah. „Niall Horan?" fragte er sofort überrascht.
Niall lachte auf und nickte, ehe er aufstand und die Beiden umarmten sich. „Genau der! Schön dich zu sehen, Louis!" sagte er und Louis nickte mit breitem Lächeln sofort zustimmend. „Ebenso! Ihr seid jetzt also befreundet?" fragte er und sah zwischen uns Beiden hin und her. Niall und ich nickten zustimmend und ich beobachtete Louis, während sie einen kurzen Smalltalk abhielten über die vergangenen Jahre. Und dann sah Louis wieder mich an. 
"Von mir aus können wir los", sagte er.
Ich nickte. "Wo hast du Zayn gelassen?" fragte ich ihn neugierig. „Ist nach Hause, hat mir einen Schlüssel gegeben." 
Ich stand auf und umarmte Niall und Amelia lächelnd, ehe ich mich von ihnen verabschiedete und mit Louis nach draußen ging. 

Es regnete noch immer, ein Spaziergang war also ausgeschlossen. Wir beide sahen gleichermaßen genervt in den Himmel, ehe ich Louis ansah. „Ich bringe dich einfach nach Hause. Ist es weit?" fragte ich ihn. Er nickte leicht. „Vierzig Minuten, wenn wir die U-Bahn nehmen", antwortete er mir. „Alles klar. Dann machen wir das."
Er sah mich einen Moment nur an, dann nickte er und wir setzten uns in Bewegung. Bis zur Station sagten wir nichts, erst als wir unser Ticket lösten und uns am Bahnsteig auf eine der Bänke setzten, sah ich Louis wieder an.
"Wie geht es dir, Lou? Wie ist es dir ergangen?" fragte ich ihn leise. 

Louis atmete tief durch und blickte mir in die Augen. „Wieso bist du einfach gegangen? Wieso hast du mich einfach so sitzen lassen? Ich dachte mein halbes Leben lang wir wären beste Freunde, Harry. All diese Zeit lang dachte ich, es würde immer so weitergehen", sprach er. Seine Stimme klang verletzlich, brach zum Ende hin und er räusperte sich leicht, sah mich weiter an mit diesen traurigen Augen. 
Ich hielt dem Blick nicht stand. Angespannt blickte ich auf meine Finger, die nervös miteinander spielten. „So einfach ist das nicht, Lou", antwortete ich. Er schnaubte leise und schüttelte den Kopf. „So einfach ist das nicht? Erklär es mir doch einfach!" fuhr er mich an. Sofort sah ich zu ihm. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, sah mich nun eher frustriert als traurig an und seine Augen glänzten gefährlich. Ich kannte Louis. Ich wusste, dass er sich gerade zusammenriss.
„Das...ich habe...es war niemals meine Absicht, einfach zu gehen. Ich hatte keinen Einfluss darauf. Und wir haben vorher schon nicht mehr miteinander gesprochen, ich..." erklärte ich. „Ach, und wessen Schuld ist das?!" unterbrach er mich sofort.  

Ich nickte nur. Natürlich hatte er recht. Ich hatte Louis vernachlässigt, hatte mit Liam und den anderen abgehangen, anstatt meine Zeit wie gewohnt mit ihm zu verbringen. „Du hattest doch auch andere Freunde", sagte ich. 
Er lachte auf. „Wen denn bitte? Harry, du warst mein bester Freund. Du warst der Mensch, mit dem ich all meineZeit verbringen wollte! Aber du hattest mehr Spaß an Partys und an..." Er stockte kurz. „...an Frauen", fügte er hinzu und starrte auf den Boden vor sich. Ich schluckte und dachte wieder an die Mail von ihm. An sein Geständnis. 

"Lou, ich habe die Mail gelesen", sagte ich und konnte ihm förmlich ansehen, wie er sich sofort anspannte und für einen Moment die Luft anzuhalten schien. Seine Augen weiteten sich leicht, der Blick blieb auf den Boden gerichtet. Er schluckte, ehe er leicht nickte. „Dämliche Aufgabe, oder?" sagte er mit einem gestellten Lachen. Ich runzelte die Stirn und sah ihn an. „Wie meinst du das?" 
Louis sah zu mir, als das Einfahren der U-Bahn angekündigt wurde. Er stand auf, drehte sich zu mir. „Mach dir keine Gedanken, Harry. Ich habe da nur einen meiner Texte hingeschrieben!" sagte er. Ich stand ebenfalls auf, völlig verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Das war...du hast dir alles ausgedacht?" fragte ich irritiert. 
Louis nickte und die U-Bahn fuhr ein, er drückte mehrmals hintereinander energisch auf den Türknopf. „Ehrlich, alles nur ein Spaß! Ich dachte, wir sind noch befreundet und lachen heute herzlich darüber!" erklärte er und stieg in die U-Bahn. Ich wollte ihm folgen, doch er hob die Hand abwehrend,  weshalb ich in meinen Bewegungen inne hielt. „Ist doch gut so, oder Harry? Ich wünsche dir...es war nett, dich gesehen zu haben! Man sieht sich!" rief er mir noch entgegen. 

Mit großen Augen beobachtete ich, wie der Zug langsam anfuhr und Louis sich auf einen der Sitze fallen ließ und mich hier an der Station einfach so sitzen ließ. Verwirrt und völlig ratlos blieb ich stehen und versuchte zu verstehen, was er mir gerade gesagt hatte.War diese E-Mail wirklich ein Scherz gewesen, von langer Hand geplant von einem13-Jährigen? 

All This Time | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt