Kapitel 11: Die Güterwagen der Verdammnis

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Der Zug kam mit einem heftigen Ruck zum Stillstand. Lara und Anna wurden nach vorne geschleudert, und Lara musste sich an einer der Stangen festhalten, um nicht zu stürzen. Anna hielt sich ängstlich an Lara fest, ihre Augen weit aufgerissen vor Furcht. Ein lautes Quietschen erfüllte die Luft, als die Bremsen des Zuges auf den Schienen kreischten, und dann trat eine unheimliche Stille ein.

„Was ist passiert?", fragte Anna zitternd, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Lara sah aus dem Fenster und spähte in die Dunkelheit. Vor ihnen lag ein anderer Zug, der die Schienen blockierte. Es war ein alter Güterzug, dessen Wagen verrostet und von der Zeit gezeichnet waren. Ein unheimliches Wimmern und leises Klagen drang aus den Wagen, als ob sie von verlorenen Seelen erfüllt wären. Lara spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. Der Zug schien aus einer anderen Zeit zu stammen, einem grausamen Kapitel der Menschheitsgeschichte, das noch immer seine Schatten auf die Gegenwart warf. Sie konnte förmlich die Schrecken spüren, die dieser Zug miterlebt hatte.

Eine plötzliche Übelkeit überkam sie, und Lara musste sich gegen die Wand des Waggons lehnen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Geräusche aus den Güterwagen waren unerträglich, ein Klagelied voller Schmerz und Verzweiflung. Die Luft war erfüllt von einem schweren, süßlichen Gestank, der Lara würgen ließ. Sie konnte es nicht mehr zurückhalten und übergab sich hastig, ihr Körper zitterte vor Abscheu und Angst.

„Was... was ist das für ein Zug?", keuchte Lara, als sie wieder zu Atem kam. Ihr Kopf drehte sich, und sie musste sich anstrengen, um klar zu denken. „Warum sind diese Seelen hier?"

Eine tiefe, bedrohliche Stimme ertönte in der Ferne, und Lara erkannte sie sofort: Es war der Dämon, der zuvor ihre Sachen verschlungen hatte. „Der Weg zum Frieden und zum Licht führt ebenfalls durch die Dunkelheit", grollte er, seine Stimme klang wie das Rauschen eines tiefen Abgrunds.

Plötzlich trat der Mann, der Lara die Kleidung gegeben hatte, an sie heran. Seine Augen waren ernst und wachsam, seine Miene angespannt. „Wir müssen hier schleunigst weg", sagte er drängend und sah über seine Schulter auf den Güterzug. „Dieser Zug... er kommt aus der Dunklen Zeit. Er ist ein Relikt aus einer Epoche des Grauens und des Schreckens. Wir können hier nicht stehen bleiben."

„Aber wir können den Zug doch nicht einfach stehen lassen!", rief Lara entsetzt. „Was passiert mit den Seelen darin?"

„Wir haben keine Wahl", antwortete der Mann scharf. „Unser Zug kann nicht weiterfahren, solange dieser hier im Weg steht. Aber wir können ihn wegschieben. Es gibt für uns nur eine Richtung, und die führt nach vorne. Wenn wir den Güterzug wegschieben, können wir unsere Reise fortsetzen. Es ist unsere einzige Chance, weiterzukommen."

„Wegschieben?", wiederholte Lara fassungslos. „Wie sollen wir das machen?"

Der Mann nickte ernst. „Kommt mit. Wir müssen die Lokomotive unseres Zuges benutzen, um den Güterzug vor uns herzuschieben. Es ist die einzige Möglichkeit, um den Weg freizumachen und aus dieser Dunkelheit zu entkommen."

Lara zögerte nur einen Moment, bevor sie Annas Hand nahm und dem Mann folgte. Die kalte Nachtluft schlug ihnen entgegen, als sie den Waggon verließen, und der süßliche Gestank des Güterzugs wurde stärker. Lara hielt eine Hand vor ihre Nase und kämpfte gegen den Würgereiz an, während sie hinter dem Mann hergingen.

Sie erreichten die Spitze ihres eigenen Zuges, wo die Lokomotive stand. „Ihr beide bleibt hier", sagte der Mann und kletterte auf die Lokomotive. „Ich werde die Maschine starten. Wenn sie erst läuft, kann ich den Güterzug vor uns herschieben."

Lara nickte und hielt Anna eng an sich. Sie beobachteten, wie der Mann in die Lokomotive stieg und die Kontrollen betätigte. Die Maschine ruckte und stieß eine Wolke aus schwarzem Rauch aus, als der Motor zu brummen begann. Das Dröhnen der Lokomotive wurde lauter, und die Räder begannen sich langsam zu drehen.

Langsam, aber sicher, setzte sich der Personenzug in Bewegung. Die Lokomotive arbeitete schwer, und das Quietschen der Räder auf den Schienen wurde lauter. Mit aller Kraft schob der Zug gegen die schweren, verrosteten Güterwagen. Lara konnte spüren, wie die Spannung in der Luft wuchs, als die beiden Züge aufeinander trafen.

„Wir schaffen das!", rief der Mann triumphierend. „Der Güterzug bewegt sich!"

Lara sah, wie sich der alte Güterzug langsam vorwärts bewegte, von der Kraft ihres Zuges geschoben. Die schweren Wagen knarrten und ächzten, als sie über die Schienen rutschten, aber sie bewegten sich. Die verlorenen Seelen im Inneren der Güterwagen klagten und schrien, doch ihr Zug schob weiter.

„Wir müssen weitermachen", sagte der Mann. „Wir dürfen nicht anhalten, sonst werden wir alle in dieser Dunkelheit gefangen bleiben."

Lara hielt Anna fest und sah zu, wie der Güterzug vor ihnen wegschob, die Schienen freimachte und den Weg öffnete. Die Schreie und das Wimmern der Seelen wurden leiser, als der Zug langsam vorwärts rollte. Lara konnte spüren, wie die Dunkelheit um sie herum nachließ, als ob ein schwerer Schleier angehoben wurde.

„Da vorne!", rief Lara, als sie ein schwaches Licht in der Ferne bemerkte. „Ich glaube, wir haben es geschafft!"

Der Mann nickte, seine Augen waren auf das schwache Licht gerichtet, das am Ende des Tunnels schimmerte. „Haltet euch fest", sagte er, als er den Hebel weiter nach vorne schob, um mehr Geschwindigkeit aufzunehmen. „Wir müssen durchhalten."

Der Personenzug ratterte weiter durch die Nacht, die Räder knirschten auf den Schienen, aber Lara wusste, dass sie es schaffen würden. Zusammen mit Anna und dem Mann an ihrer Seite würden sie diesen Albtraum überstehen und einen Weg zurück ins Licht finden. Die Dunkle Zeit lag hinter ihnen, und sie hofften, dass sie nie wieder dorthin zurückkehren müssten.

Der Geisterzug „Schattenreise"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt