Kapitel 9: Die Seelen der Verdammten

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Der Zug kam ruckartig zum Stillstand, als wäre er gegen eine unsichtbare Barriere geprallt. Lara stolperte und hielt sich instinktiv an einer der Metallstangen fest, um das Gleichgewicht zu bewahren. Ein unangenehmes Knirschen erfüllte die Luft, und es fühlte sich an, als ob die Zeit selbst angehalten hatte. Anna klammerte sich zitternd an Lara, ihre Augen waren weit aufgerissen vor Angst und Verwirrung.

Draußen war die Dunkelheit noch dichter als zuvor. Kein Licht drang durch die Fenster des Zuges, nur eine endlose Schwärze, die alles zu verschlingen schien. Doch als Lara genauer hinsah, bemerkte sie, dass die Dunkelheit nicht leer war. Überall draußen, so weit das Auge reichte, waren tiefe, kreisrunde Löcher, die aussahen, als ob sie bis ins Nichts hinabreichen würden. Ihre Kanten waren scharf und unnatürlich, als wären sie gewaltsam in die Erde gerissen worden.

Eine schwere Stille lag über dem Zug, als ob die Schattenwelt selbst den Atem angehalten hätte. Dann, ohne Vorwarnung, schwang die Waggontür auf, und eine kalte Brise strömte herein. Lara spürte, wie die Temperatur rapide sank, und ein Schauer lief ihr über den Rücken.

In der offenen Tür stand eine unheimliche Gestalt. Ein Dämon, groß und bedrohlich, seine Haut schwarz wie Kohle, seine Augen glühten in einem tiefen, unheilvollen Rot. Seine Hörner waren lang und gewunden, und aus seinem Mund ragten scharfe Zähne hervor. Er trug einen langen, zerrissenen Mantel, der wie aus Schatten gewebt zu sein schien, und in seinen Händen hielt er eine Peitsche aus Ketten, die bei jeder Bewegung leise klirrte.

Die Passagiere im Waggon starrten den Dämon an, einige vor Furcht wie gelähmt, andere versuchten sich in den Sitzen zu verbergen. Der Dämon trat einen Schritt vor, und seine Stimme dröhnte durch den Waggon wie ein Donnerhall.

„Alle, die ihre Seelen an den Satan verkauft haben, stehen jetzt auf und steigen aus", befahl er mit einer tiefen, hallenden Stimme. „Euer Schicksal erwartet euch."

Für einen Moment regte sich niemand. Doch dann, einer nach dem anderen, erhoben sich einige der Passagiere zögernd. Ihre Gesichter waren blass und voller Angst, ihre Augen leer und hoffnungslos. Lara erkannte einige von ihnen als die reglosen Gestalten, die zuvor in den Sitzen geschlafen hatten, als ob sie in einem ewigen, unruhigen Traum gefangen wären.

Anna drückte sich ängstlich an Lara, ihre kleine Hand klammerte sich fest an Laras Arm. „Was passiert mit ihnen?", flüsterte sie, ihre Stimme war kaum mehr als ein ängstliches Wispern.

„Ich weiß es nicht", antwortete Lara leise, ihre Augen fest auf die Szene gerichtet. „Aber es ist nichts Gutes."

Die Passagiere, die aufgestanden waren, begannen, sich langsam zum Ausgang zu bewegen. Einige zögerten, andere weinten leise, aber keiner von ihnen versuchte zu fliehen oder sich zu widersetzen. Es war, als ob sie wüssten, dass es keinen Sinn hatte, zu kämpfen. Ihre Schicksale waren bereits besiegelt.

Als die Verdammten den Zug verließen, tauchten plötzlich aus den Schatten schwarze Engel auf. Ihre Flügel waren wie die der Krähen, schwarz und schimmernd, ihre Gesichter verbargen sich hinter tiefen Kapuzen, und ihre Hände waren knochig und blass wie der Tod. Sie packten die verdammten Seelen mit grausamer Effizienz und führten sie zu den Rändern der tiefen Löcher.

Die Verzweiflung in den Gesichtern der Verdammten war herzzerreißend. Einige flehten um Gnade, andere riefen um Hilfe, aber die schwarzen Engel blieben ungerührt. Ohne Zögern und ohne Erbarmen stießen sie die Seelen in die unendlich tiefen Löcher.

Laras Herz raste. Sie konnte die Schreie hören, die endlosen Schreie derer, die in die Dunkelheit fielen, als ob sie nie wieder aufhören würden zu fallen. Es war ein grauenhafter Anblick, und sie konnte kaum glauben, was sie sah.

„Warum?", flüsterte Anna, ihre Augen waren voller Tränen. „Warum tun sie das?"

Lara wusste keine Antwort. Sie wusste nur, dass die Schattenwelt ein Ort war, an dem die Gesetze der Realität und der Menschlichkeit nicht galten. Hier gab es keine Gnade, keinen Trost, nur endlose Qualen und Verzweiflung.

Der Dämon beobachtete die Szenerie mit einem kalten, zufriedenen Grinsen auf seinem Gesicht. Als die letzten der verdammten Seelen aus dem Zug gestiegen waren, drehte er sich zu den verbleibenden Passagieren um. Seine Augen glühten vor Bedrohung und Macht.

„Dies ist das Schicksal aller, die ihre Seelen dem Bösen verschreiben", sagte er, seine Stimme dröhnte durch den Waggon. „Wer sich dem Satan hingibt, wird auf ewig leiden."

Dann wandte er sich ab und trat zurück in die Dunkelheit. Die schwarzen Engel folgten ihm, und die Waggontür schloss sich mit einem dumpfen Knall. Die Kälte, die mit dem Dämon gekommen war, verblasste langsam, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung, als ob nichts geschehen wäre.

Lara atmete tief durch und spürte, wie ihre Hände zitterten. Sie hatte Angst, aber sie wusste, dass sie stark bleiben musste, für sich selbst und für Anna. Die Schattenwelt war unbarmherzig, und sie wusste nicht, was als Nächstes kommen würde. Doch eines war sicher: Sie würde weiterkämpfen, bis sie einen Weg nach Hause gefunden hatte. Egal, wie dunkel und gefährlich der Weg auch sein mochte.

Der Geisterzug „Schattenreise"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt