Kapitel 7: Müdigkeit

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Der Zug ratterte gleichmäßig über die Schienen, und die Dunkelheit draußen vor den Fenstern schien undurchdringlich. Lara lehnte sich zurück und spürte, wie die Erschöpfung allmählich Besitz von ihr ergriff. Die vergangenen Stunden – oder waren es Tage? – hatten sie ausgelaugt. Jede einzelne Prüfung, die sie durchlebt hatte, jede Begegnung mit dem Unbekannten, hatte ihre Kraft weiter und weiter erschöpft.

Das einfache Kleid aus Leinen, das sie trug, kratzte auf ihrer Haut, aber es fühlte sich dennoch sicherer an als die Bedrohung, die von ihrer alten Kleidung ausgegangen war. Lara spürte die dumpfe Kälte des Stoffes auf ihrer Haut und wickelte sich enger darin ein, versuchte, so viel Wärme wie möglich zu speichern.

Die anderen Passagiere schlummerten noch immer in ihren Sitzen, als wären sie aus einer anderen Zeit und Welt herausgeschnitten worden. Ihre reglosen Körper wirkten beinahe wie Statuen, die in einem bizarren Museum ausgestellt waren. Lara fragte sich, wer sie waren und ob sie je aus diesem Albtraum erwachen würden. Aber gerade jetzt war sie zu müde, um sich weiter darüber Gedanken zu machen.

Ihre Augenlider wurden schwer, und ihr Kopf neigte sich langsam nach vorn. Sie versuchte, wach zu bleiben, wissend, dass die Schattenwelt gefährlich war und keine Gnade kannte. Doch die Müdigkeit überwältigte sie; sie hatte keine Kontrolle mehr über ihren eigenen Körper. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie versuchte, sich zusammenzureißen, doch es gelang ihr nicht.

„Lara..."

Die Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, ein sanfter Hauch, der durch den Waggon zog und sich in ihr Bewusstsein schlich. Sie war so müde, dass sie sich nicht sicher war, ob sie sich die Stimme nur einbildete. Doch da war sie wieder, diesmal etwas lauter, drängender.

„Lara... du musst stark bleiben."

Es war die Stimme des Mannes im schwarzen Mantel, aber sie klang anders als zuvor. Weicher, beinahe fürsorglich. Sie wusste nicht, woher er sprach – ob aus der Dunkelheit des Waggons oder direkt aus ihren Gedanken. Aber seine Worte erreichten sie dennoch, und sie versuchte, sich zu konzentrieren.

„Ich... kann nicht...", murmelte sie, ihre Worte kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Ihre Augenlider flatterten, und sie fühlte, wie ihre Gedanken in einen wirren Nebel abdrifteten.

Die Müdigkeit war wie eine schwere Decke, die über ihr lag, sie nach unten zog und jede Bewegung zu einer schmerzhaften Anstrengung machte. Ihre Muskeln schmerzten, und ihr Kopf pochte. Sie wollte einfach nur schlafen, wollte für einen Moment die Augen schließen und alles vergessen. Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass das nicht sicher war.

Die Welt um sie herum begann zu verschwimmen. Der Zug, der Waggon, die Schattenwelt – alles schien sich in einen wirbelnden Nebel aus Dunkelheit zu verwandeln. Sie konnte die Grenze zwischen Traum und Realität nicht mehr klar erkennen.

„Lara, wach auf!", drang die Stimme des Mannes erneut an ihr Ohr, diesmal lauter, eindringlicher.

Sie blinzelte und versuchte, ihren Kopf zu heben, aber es fühlte sich an, als wäre er aus Blei. Ihr Körper war so schwer, dass sie ihn kaum bewegen konnte. Ihr Geist kämpfte gegen den Sog der Erschöpfung, doch sie verlor den Kampf. Die Dunkelheit um sie herum wurde dichter, und sie spürte, wie ihr Bewusstsein allmählich zu schwinden begann.

Plötzlich hörte sie ein lautes Krachen, und der Waggon erzitterte. Lara riss die Augen auf, und ihre Müdigkeit war mit einem Mal wie weggeblasen. Das Geräusch kam von weiter vorne im Zug, als ob etwas oder jemand gegen die Wände schlug. Der Zug ruckelte und zitterte, und sie klammerte sich an die Armlehne ihres Sitzes, um nicht zu fallen.

„Was ist das?", fragte sie laut, aber es gab keine Antwort.

Der Lärm verstummte so plötzlich, wie er begonnen hatte. Eine unheimliche Stille legte sich über den Zug, als ob die Schattenwelt selbst den Atem anhielte. Lara konnte ihren eigenen Herzschlag hören, ein schnelles, hartes Pochen, das in ihren Ohren widerhallte.

Sie wusste, dass sie wieder wachsam sein musste. Die Müdigkeit war immer noch da, nagte an ihren Knochen und ließ ihre Gedanken träge werden, aber sie konnte es sich nicht leisten, nachzulassen. Irgendetwas lauerte da draußen, etwas Dunkles und Gefährliches, das auf ihre Schwäche wartete.

Lara stand vorsichtig auf, ihre Beine zitterten unter ihrem Gewicht, und sie ging langsam durch den Waggon. Ihre Augen suchten in der Dunkelheit nach einem Zeichen, nach irgendetwas, das ihr erklären konnte, was vor sich ging. Doch alles, was sie sah, waren die schlafenden Passagiere und die flackernden Schatten an den Wänden.

Der Zug fuhr weiter, und Lara spürte, wie die Kälte der Schattenwelt durch die Waggonwände kroch, in ihre Knochen drang und ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sie wusste, dass sie stark bleiben musste, dass sie nicht aufgeben durfte. Die Dunkelheit war noch nicht vorbei, und die Prüfungen der Schattenwelt hatten gerade erst begonnen.

Langsam setzte sie sich wieder hin und atmete tief durch, versuchte, ihre Nerven zu beruhigen. Die Müdigkeit war noch immer da, schwer und lähmend, aber sie wusste, dass sie nicht aufgeben durfte. Sie musste einen Weg finden, um weiterzumachen, um der Dunkelheit zu entkommen.

Lara schloss die Augen für einen Moment und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Sie wusste, dass der Zug sie weiter in die Schattenwelt führte, tiefer in das Unbekannte, und dass sie stark bleiben musste, egal, was noch kommen mochte. Die Müdigkeit war nur eine weitere Prüfung, eine weitere Herausforderung, die sie überwinden musste.

Der Zug ratterte weiter, und Lara öffnete die Augen. Sie würde nicht zulassen, dass die Dunkelheit sie besiegte. Nicht jetzt. Nicht je. Sie würde weiterkämpfen, würde stark bleiben, egal, was die Schattenwelt ihr noch entgegensetzen würde. Sie wusste, dass sie keine Wahl hatte – sie musste weitermachen, bis sie einen Weg fand, nach Hause zurückzukehren.

Der Geisterzug „Schattenreise"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt