Kapitel 28: Die Grenze des Unbekannten

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Der Zug ratterte leise weiter durch die unendliche Dunkelheit. Lara saß still auf ihrem Platz, ihre Gedanken noch immer bei dem intensiven Traum, den sie gerade erlebt hatte. Die Emotionen und Bilder des Traums verblassten allmählich, aber ein Gefühl der Verbundenheit und eine leise, unbestimmte Hoffnung blieben in ihrem Herzen zurück. Neben ihr saß Aaron, schweigend und wachsam, als ob er spüren konnte, dass etwas in der Dunkelheit um sie herum begann sich zu verändern.

Lara bemerkte es zuerst an den kleinen Veränderungen, die nur ein geübtes Auge wahrnehmen konnte. Die dichte, undurchdringliche Schwärze, die den Zug bisher umgeben hatte, begann sich zu wandeln. Sie konnte schemenhafte Umrisse ausmachen, als ob die Dunkelheit selbst in Bewegung geriet. Es war, als ob die Dunkelheit langsam, ganz langsam, Platz machte und etwas Neues enthüllte.

"Aaron," flüsterte Lara, ihre Augen suchten seine. "Siehst du das?"

Aaron nickte ernst. "Ja, ich sehe es. Wir nähern uns der nächsten Weltengrenze. Die Dunkelheit kann die Wahrheit nicht länger verbergen. Etwas kommt auf uns zu."

Lara spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie wusste, dass jede Weltengrenze, die sie bisher passiert hatten, eine Art Prüfung oder Übergang dargestellt hatte. Aber dies fühlte sich anders an. Es war nicht nur ein Übergang, sondern eine Transformation. Eine tiefgreifende Veränderung, die alles, was sie bisher gekannt hatte, auf den Kopf stellen könnte.

Langsam, fast unmerklich, wurde die Dunkelheit vor ihnen heller. Ein schwaches, pulsierendes Licht begann in der Ferne zu leuchten. Es war nicht stark oder blendend, sondern eher wie das Flackern einer Kerze in einem weit entfernten Fenster. Doch es war da, und es wurde mit jedem Meter, den der Zug vorwärtsfuhr, ein wenig heller.

Lara beobachtete fasziniert, wie das Licht allmählich stärker wurde. Es war, als ob die Dunkelheit begann, ihre Macht zu verlieren, als ob sie gezwungen war, Platz zu machen für etwas Neues, etwas Unerwartetes. Sie konnte nun auch vage Formen erkennen, Strukturen, die sich aus der Schwärze herauszuschälen begannen. Es war, als ob sie auf eine Landschaft zufuhren, die sich langsam aus dem Nebel erhob.

Das Licht pulsierte weiterhin, ein regelmäßiges Aufleuchten, das immer heller und dann wieder dunkler wurde, als ob es in einem langsamen, stetigen Rhythmus atmete. Lara konnte ihren Blick nicht davon abwenden. Es war hypnotisch, fesselnd und gleichzeitig beunruhigend.

"Was ist das?" fragte sie leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch.

Aaron antwortete ohne Zögern, als hätte er diese Frage erwartet. "Das ist die Grenze zwischen den Welten, Lara. Wir verlassen die reine Dunkelheit und betreten eine Zwischenwelt, wo Licht und Dunkelheit miteinander ringen. Es ist ein Ort der Transformation, des Übergangs. Hier können wir sehen, was im Verborgenen lag, und erkennen, was wirklich wichtig ist."

Lara nickte langsam, versuchte, die Bedeutung von Aarons Worten zu erfassen. Der Zug schien seine Geschwindigkeit zu verringern, als ob er sich auf die bevorstehende Grenze vorbereitete. Das Licht wurde nun heller, seine Intensität nahm zu, und die Dunkelheit, die sie umgab, begann, sich endgültig aufzulösen.

Plötzlich tauchten vor ihnen die Konturen einer Landschaft auf. Lara konnte Bäume sehen, deren Umrisse sich gegen den pulsierenden Hintergrund abzeichneten, und einen Fluss, der sich wie ein silbernes Band durch die Dunkelheit schlängelte. Die Welt um sie herum war still und friedlich, als ob sie in einen Raum eingetreten wären, der für einen Moment außerhalb von Zeit und Raum existierte.

Das Licht wurde weiter heller, und Lara konnte nun auch Gebäude erkennen, die aus der Dunkelheit auftauchten. Es waren keine modernen Strukturen, sondern alte, fast vergessene Bauten, die wie Schatten der Vergangenheit wirkten. Sie waren verfallen und verwittert, als ob sie schon seit Jahrhunderten hier standen, unbeachtet und verlassen.

Lara wandte sich wieder an Aaron. "Was bedeutet das alles? Wohin führt uns diese Reise?"

Aaron sah sie an, seine Augen waren voller Mitgefühl und Weisheit. "Es ist eine Reise in das Unbekannte, Lara. Wir überschreiten eine Grenze, die uns in eine neue Welt führen wird. Aber bevor wir dorthin gelangen, müssen wir uns dem stellen, was hinter uns liegt, und erkennen, was vor uns liegt. Nur so können wir wirklich verstehen, wohin wir gehen und warum."

Lara nickte erneut und schaute wieder nach draußen. Das Licht, das zuvor noch schwach und flackernd gewesen war, erstrahlte nun in voller Pracht, und die Dunkelheit wich endgültig zurück. Es war, als ob der Zug durch einen Vorhang aus Schatten brach und in eine neue Realität eintrat. Eine Welt, die sowohl Licht als auch Dunkelheit kannte und beide in einem seltsamen, aber wunderschönen Gleichgewicht hielt.

Der Zug fuhr weiter, die Räder klackten gleichmäßig auf den Schienen, und Lara fühlte, wie sich ein neues Gefühl in ihr regte – eine Mischung aus Vorfreude und Ehrfurcht. Sie wusste nicht, was sie jenseits dieser Grenze erwarten würde, aber sie war bereit, es herauszufinden. Mit jedem Atemzug fühlte sie, wie sie sich auf diese neue Welt einließ, neugierig auf die Geheimnisse, die sie verbarg, und bereit, den nächsten Schritt auf ihrer Reise zu tun.

Der Geisterzug „Schattenreise"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt