Endlich Gewissheit

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So fuhren Mayson und ich schweigend zum Krankenhaus. Dort angekommen parkte ich den Wagen. Ich habe nicht einmal den Motor ausgeschaltet, da rann Mayson schon raus zum Eingang. Dir Autotür knallte er hinter sich zu, sodass ich nun alleine im Auto saß.

Als der Wagen stand und ich den Motor ausgeschaltet habe, wurde mir auf einmal alles zu viel. Ich nahm meine Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.

Wie konnte ich damals nur auf die Idee kommen Mum mit meinen leiblichen Vater zu verkuppeln, nach allem was er für unsere Familie getan hat. Er hat Mayson und ich mich aufgenommen als wären wir seine eigenen Kindern. Eigentlich dürfte ich es nicht sagen aber mein Dad hat mit seiner Rückkehr einfach alles kaputt gemacht. Früher waren wir eine richtige Familie und nun wohne ich bei ihm, Mayson ist fast täglich bei seinen Freund und Nick kommt erst spät abends nach Hause, um ja nicht Mum über den Weg zu laufen. Zwar reden sie nicht wirklich mit uns Kinder aber wir wissen natürlich das irgendwas nichts stimmt.

Bei der Geburt der Zwillinge muss irgendwas vorgefallen sein. Aber natürlich erzählt mir niemand was los ist, obwohl ich schon volljährig bin. Noch immer behandeln mich alle wie eine 10 jährige.

Heute hat Mum uns versprochen, dass alles wieder so wird wie vorher. Sie hat sich richtig aufgestylt. So habe ich meine Mutter schon lange nicht mehr gesehen. Für ihr Alter sah sie wirklich Bombe aus. Man könnte wirklich meinen, dass sie meine große Schwester ist.

Ich habe ihr nie gesagt, dass sie gut aussieht und eine gute Mutter ist. Wenn ich überlege habe ich ihr vieles nicht gesagt. Sie hätte sicher gerne gehört, dass ich ihr schon lange verziehen haben, als sie mich damals als Kind weggeben hat. Auch habe ich ihr schon lange nicht mehr gesagt, dass ich sie liebe.

Kann jetzt alles vorbei sein?

Werde ich meine Mutter nie wieder sehen?

Ich kann mir ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen. Ihre Anwesenheit habe ich immer für selbstverständlich gehalten. Nie habe ich das geschätzt, was sie jeden Tag für unsere Familie leistet. Sie geht arbeiten und macht den ganzen Haushalt.

Ich selber bin schon erledigt wenn ich von der Arbeit komme. Dann noch den Haushalt zu machen, hätte ich wirklich keinen Bock zu.

Als ich mich wieder einigermaßen gefangen habe, wischte ich mir meine Tränen weg und stieg aus. Mit zitternden Beinen lief ich zum Eingang. Im Moment war ich wirklich froh, dass Mayson nichts von meinen kleinen Zusammenbruch mitbekommen hat.

Im Krankenhaus angekommen, taumelte ich zur Info und fragte eilig nach, wohin ich muss. Nun lief ich langsam die Treppe hoch. Zwar gab es einen Fahrstuhl aber ich will mir so viel Zeit lassen wie möglich. Auch wenn es sich doof anhört, will ich auf das Schlimmste gefasst sein und dazu brauche ich nun einmal Zeit.

Nach einiger Zeit kam ich dann auf Stadtion 6 an. Über die Tür stand dick "Intensivstation". Ein wenig mulmig war ich zu mute. Noch nie zuvor war ich hier und eigentlich habe ich gehofft auch niemals hierher zu müssen. Aber das kann man sich nun einmal nicht aussuchen. Leider.

"Hope!", hörte ich jemand meinen Namen rufen. Augenblicklich drehte ich mich und sah in das erschöpfte Gesicht von Nick. Es scheint so als wäre er innerhalb weniger Stunden um das doppelte gealtert. Als er direkt vor mir stand, schlung ich meine Arme um ihn und weinte in sein Hemd.

Meiner Meinung nach ist man nie zu alt um zu weinen. Jeder muss mal einmal alles raus lassen. Nur so kann man alles verarbeiten und seine Gedanken wieder klar ordnen.

"Shhh, es wird alles wieder gut", versuchte mich Nick zu beruhigen. Dabei strich er mir behutsam über mein Haar. Ich war wirklich froh ihn an meiner Seite zu haben. Bei meinen leiblichen Vater fühle ich mich so fehl am Platz und ich denke auch, dass er nicht weiß wie er mit mir umzugehen hat.

Ob auch alles wieder gut wird? Ich bin mir nicht sicher ob ich ihm diese Worte glauben kann. Aber ich denke, dass er es selber glauben möchte. Ich schluchzte mir die Seele aus den Leib.

"Kann ich zu ihr?", fragte ich schluchzend.

"Sie wird noch immer operiert. Ich weiß selber nichts Neues", hörte ich ihn sagen. Das kann doch nicht wahr sein. Das alles hier kann doch nur ein Alptraum sein.

"Aber wie lange dauert denn so eine Op?", fragte ich eher zu mir selbst, da ich genau wusste, dass auch Nick sie nicht beantworten kann. Die Verletzungen meiner Mutter müssen schwer sein, dass sie so lange operieren müssen. Diese Erkenntnis beruhigte mich in diesen Moment keines Wegs.

Zusammen setzten wir uns ins Wartezimmer, wo auch schon Mayson saß, der hypnotisiert die Wand anstarrt. Ihm scheint es gar nicht gut zu gehen. Also setzte ich mich neben ihn.

"Ist alles okay bei dir?", fragte ich ihn vorsichtig.

"Ob alles okay ist? Ist das jetzt eine ernst gemeinte Frage? Natürlich ist nichts okay. Mum bangt um ihr Leben und du sorgst dich um meine Wohl", hörte ich ihn aufgebracht sagen. Erschrocken von seiner Reaktion zuckte ich zusammen. So habe ich meinen Bruder noch nie zuvor erlebt. Immer ist er die Ruhe in Person.

"Tut mir Leid", nuschelte ich. Dann herrschte nur noch Stille. Jeder war in Gedanken. So ging es noch eine Stunde weiter, bis plötzlich ein Arzt im grünen Kittel eintrat.

"Familie Garner?", fragte er sichtlich erschöpft in die Runde. Sofort standen wir alle auf.

"Ich rede alleine mit ihm", entgegnete Nick und verschwand in den Flur. Das kann doch jetzt nicht sein ernst sein. Schon wieder fühle ich mich wie ein kleines Kind. Wann werde ich endlich als Erwachsene akzeptiert? Ich glaube Eltern behandeln ihre Kinder immer wie ihre kleine Schützlinge.

Vorsichtig öffnete ich die Tür des Wartezimmers und versuchte zu lauschen. Alles was ich mitbekam waren einige Schluchzer von Nick und ein Wort, das alles aussagt "Koma".

Ich war geschockt. Mum im Koma? Das ist unmöglich. Ein Koma kann Monate sogar Jahre dauern. Aber natürlich kann es auch sein, dass sie niemals wieder aufwacht.

Das kann nicht möglich sein. Ich muss mich verhört haben.

"Kannst du irgendwas verstehen?", fragte Mayson mich neugierig. Leise schloss ich die Tür und drehte mich zu ihm. Seine Augen sind so traurig und strahlen nicht mehr so wie vorher.

"Ne gar nichts. Sie standen zu weit weg", log ich. Ich konnte ihm einfach nicht die Wahrheit sagen, wenn es überhaupt die Wahrheit ist. Sicher bin ich mir da nämlich nicht und bevor ich was falsches sage, bleibe ich lieber dabei und verletze ihn nicht noch unnötig. Zusammen setzten wir uns also wieder hin und warteten ungeduldig auf Nick.

Nach einigen Minuten wurden wir erlöst. Erwartend sahen wir Nick an.

"Hmm wie soll ich es euch jetzt sagen", sagte er nachdenkend. Das heißt schon nichts Gutes.

"Sag einfach was los ist", forderte Mayson ihn auf.

"Also eure Mutter liegt im Koma. Der Arzt meinte so könne sie sich am besten erholen. Es sah wohl ziemlich schlimm aus", gab uns Nick eine Kurzfassung. Es jetzt aus seinen Mund zu hören, war noch viel schlimmer.

Das Leben danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt