Lynns Sicht:
Ein halbes Jahr später war es dann soweit. Ich wurde entlassen. Eigentlich sollte ich mich freuen aber das war nicht der Fall. Seit ich aus den Koma erwacht bin, bin ich wie ein anderer Mensch. Ich kann es selber nicht erklären aber ich will nicht zurück nach Hause. Auch wenn dort meine vier Kinder warten, graut es mir dorthin zurück zu gehen. Ich habe 2 Jahre meines Lebens verloren, die ich nicht nachholen kann. Aber eins kann ich. Ich kann mein Leben in vollen Zügen genießen. Mein Unfall hat mir gezeigt wie schnell es vorbei sein kann.
Zwar habe ich an Anfang gedacht, dass ich lieber tot wäre. Aber nun weiß ich, dass mir ein anderes Leben bevor steht.
Viel zu schnell musste ich damals erwachsen werden. Schon mit 16 wurde ich das erste Mal Mutter und nun habe ich vier Kinder. Ich konnte mein Leben nie genießen, viel zu schnell musste ich Verantwortung übernehmen und war schlichtweg überfordert mit allem.
Nun will ich alles ändern. Jetzt bin ich noch jung also wenn man knapp 40 noch als jung bezeichnen kann. Aber ich bin zufrieden mit meinem Alter. Mit 40 fängt das Leben doch richtig an. Jetzt kann mich keiner mehr aufhalten.
Meine Familie wird ohne mich klarkommen, das haben sie auch schon zwei Jahre geschafft.
Ich packte also meine Sachen in meine Reisetasche, unterschrieb die Entlassungspapiere und verließ das Krankenhaus. Natürlich wusste ich, dass Nick mich in einer Stunde abholt. Aber ich kann noch nicht wieder zurück. Zurück in mein gewohntes Umfeld.
Das Taxi, was ich im Krankenhaus gerufen habe, wartete wie besprochen eine Straße weiter. Ich bin wirklich froh, dass ich Physiotherapie hatte und nun gut auf den Beinen bin. Meine anfänglichen Ängste haben sich glücklicherweise nicht bestätigt.
Ich nannte ihn mein Ziel und sofort setzte sich das Taxi in Bewegung. Ein schlechtes Gewissen hatte ich schon, meine Familie erneut im Stich zu lassen. Aber irgendwann bin auch ich mal an die Reihe.
Ich will endlich richtig leben. Sowie ich es geträumt habe. Im Koma hat man genug Zeit zum nachdenken und träumen. Ich habe viel geträumt und weiß jetzt was ich wirklich will. Ich will leben ohne auf andere achten zu müssen.
Je weiter ich meinen Zuhause kam, desto freier fühlte ich mich. Ich konnte mich endlich wieder entspannen. An meinen Ziel angekommen, bezahlte ich mein Taxi und zog mir ein Bahnticket.
Es ist schon lange her, das ich das letzte Mal mit der Bahn gefahren bin. Ich glaube, da war ich nicht einmal volljährig. Nun stand ich am Bahnhof mit einem fettem Grinsem im Gesicht. Einige Leute sahen mich schräg an aber mir war es egal.
Es muss bestimmt komisch aussehen. Ich als Frau mittleres Alters steht am Bahnhof und grinst vor sich hin. Sie müssen denken, dass ich nicht mehr richtig im Kopf bin. Schon seit langer Zeit ist mir egal, was andere von mir denken.
Als ich mit 16 schwanger wurden haben sich alle Menschen in meinem Umfeld sich von mir entfernt. Niemand wollte noch etwas mit mir zu tun haben. Lange Zeit dachte ich wirklich, dass ich selbst schuld bin aber heute weiß ich, dass ich den Leuten egal war. Sie hatten meine Freundschaft, Nachbarschaft und Verwandtschaft nicht verdient.
Seit knapp 24 Jahren ist mir also egal was andere von mir halten und das ist auch gut so, denn sonst würde ich wahrscheinlich hier gar nicht stehen.
Mit meinem Monatsticket kann ich einen Monat lang durch ganz Europa fahren. So setzte ich mich in den ersten Zug der kam und war gespannt wo dieser hinführte. Ab nun an werde ich nichts mehr Plan. Ich lasse den Zug entscheiden wo hin es geht. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich spontan handeln.
Als sich der Zug nach einer Weile in Bewegung setzte, krammte ich mein Handy aus meiner Handtasche. Sofort fiel mir das rote Blinken auf, was mir vermittelte, dass mich jemand angerufen hat.
Ich gab meinen Code ein und sah 11 verpasste Anrufe und 5 neu eingegangene Nachricht. 9 Anrufe von Nick und die restlichen von Taylor. In den Nachrichten stand lediglich wo ich bin und ob es mir gut geht.
Aber ich wollte einen Monat lang nicht an meiner Familie denken. Ich will leben also überlegte ich nicht lange und schmieß mein Handy und jedlichen Bedenken einfach aus dem Fenster. So kann mich niemand mehr in meinen "Urlaub" stören.
Ich fuhr und fuhr Stunden lang bis ich mein Ziel endlich ereicht habe. Eilig stieg ich aus den Zug. Begrüßt wurde ich von einer ungewohnten Wärme. Mein erstes Ziel war Frankreich. Schon immer wollte ich ein Foto von mir vor den Eifelturm. Jetzt kann dieser langersehnter Traum endlich in Erfüllung gehen.
Aber bevor ist dies machen kann, muss ich vorher meine Familie anrufen. Ich will auf keinen Fall, dass sie sich unnötig Sorgen machen oder sogar als vermisst melden.
Schnell krammte ich mein Portmonai aus meiner Tasche. Als ich nach einer endlosen Suche endlich mal eine Telefonzelle gefunden habe, verfluchte ich mich dass ich mein Handy einfach so aus den Zug geworfen habe. Natürlich gibt es in der heutigen Welt fast keine Telefonzellen mehr, da jeder normale Mensch ein Handy besitzt. Ich warf also Kleingeld rein und wählte unsere Telefonnummer. Nach nur zwei Mal klingeln, ging auch schon jemand dran.
"Lynn?", hörte ich Nick besorgt sagen.
"Hey Nick", fing ich an aber wurde sofort von ihn unterbrochen.
"Wo bist du um gottes Willen? Geht es dir gut? Warum können wir dich auf einmal nicht mehr erreichen und von welchen Telefon rufst du an?", löcherte er mich mit Fragen. Am liebsten würde ich einfach auflegen aber ich bin meiner Familie einer Erklärung schuldig.
"Ich bin in Frankreich und jetzt lass mich erst einmal ausreden", entgegnete ich als er mich wieder unterbrechen wollte.
"Mir geht es besser denn je. Das Wetter ist hier einfach fantastisch und zum ersten Mal in meinen Leben werde ich den Eifelturm sehen. Für mich geht dann ein großer Traum in Erfüllung. Nick ich verlasse mich auf dich, dass du noch einen Monat lang auf die Familie aufpasst. Ich brauche noch etwas Zeit für mich. Hoffe du verstehst mich. Aber mir wurden zwei Jahre meines Lebens geraubt. Dieser Unfall hat mir gezeigt wie schnell das Leben doch vorbei sein kann. Ich will endlich Leben sowie ich es schon immer wollte", sagte ich schließlich und atmete erst einmal tief ein und aus. Nick hörte ich laut aufatmen.
"Du bist einfach alleine nach Frankreich gefahren? Lynn du bist vor kurzer Zeit erst aus den Koma erwacht, du bist solch eine Fahrt noch gar nicht gewachsen", hörte ich ihn sagen. Das reichte mir vollkommen aus.
"Du weißt jetzt bescheid also brauchst du dir keine Sorgen zu machen", erwiderte ich noch bevor ich einfach auflegte. Vielleicht war es nicht gerade nett aber Nick macht sich einfach zu viele Sorgen. Er wollte immer eine Familie aber mir wird erst jetzt bewusst wie viel ich doch in meinem Leben verpasst habe. Nun ist meine Zeit. Jetzt kann ich endlich das machen was ich nie machen konnte und zwar die Welt sehen!
Nur mit einer Reisetasche lief ich also wie ein Backpacker los. In den ersten Souvenirshop kaufte ich mir eine Karte von Paris. Als ich diese studiert habe, ging es auch schon los zum Eifelturm. Zwar war ich total erschöpft aber mir war es egal. Unbedingt wollte ich den Eifelturm sehen bevor es weiter geht mit dem Zug.
Nach einer halben Stunde Fußmarsch war ich endlich an meinen Ziel angkommen und total erschöpft aber als ich hoch schaute, war ich einfach überwältigt von diesen Anblick. Vor mir erschreckte sich der Eifelturm. Nie habe ich gedacht, dass ich vor ihn aussehe wie eine Ameise. Dieser Trip hat sich auf jeden Fall gelohnt.
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Das Leben danach
Romance16 Jahre später. Neuer Mann. Neues Haus. Neues Leben. Lynn ist glücklicher den je. Endlich hat sie ihr Glück mit Nick und ihren beiden Kindern gefunden. Aber dann kehrt die Vergangenheit mit einen Schlag zurück. Taylor ist wieder auf freien Fuß. Die...