Hoffnungsloser Fall

459 30 1
                                    

Ich will nicht, dass sie geht. Die vielen Durchsagen machen mich ganz verrückt. Alle fünf Minuten hört man ein neues Flugzeug starten. Am Montag hätte ich mich noch tierisch auf diesen Tag gefreut. Dann wäre die versnobte Amber endlich weggewesen. Aber jetzt habe ich meine alte Cousine wieder. Mit schwerem Herzen verabschiede ich mich von ihr. "Pass auf dich auf", flüstert sie mir zu. "Du auch. Mach keinen Mist in Amerika." Lange und feste umarme ich Amber. "Versprochen", lächelt sie, "und du! Vermassel die Sache mit Luca nicht." Lächelnd schüttel ich leicht meinen Kopf. "Vielleicht kannst du zu Weihnachten nochmal hierher kommen." Amber ergreift ein letztes Mal meine Hände. "Bestimmt. Wir telefonieren auf jeden Fall." Eine weitere Durchsage kündigt den letzten Aufruf für die Passagiere des Fluges nach Washington an. Rasch drückt mir meine Cousine einen Kuss auf meine Wange. "Ich bin nicht aus der Welt", versucht sie mich ein letztes Mal aufzumuntern. "Ich weiß", flüster ich ihr hinterher, als sie mit ihrem kleinen Koffer zum Gate rollt. Ich schaue solange aus dem riesigen Panoramafenster bis ich sehe, wie die Maschine startet, bei der ich glaube, dass in ihr Amber sitzt. Zeit nach Hause zugehen. "Come along, my princess", fordert mich mein Dad leise auf. Gib zu, ihn hattest du schon wieder ganz vergessen. Väterlich legt er einen Arm um meine Schulter und führt mich den Weg, den wir vor einigen Stunden gekommen sind, zurück. "Was hälst du davon, wenn Amber über Neujahr zu uns kommt?", schlägt er vor. Aufgeregt nicke ich.
Doch plötzlich halte ich in der Bewegung inne. Ein paar Meter von mir entfernt entdecke ich Phil. Seine Augen scheinen gerötet. Na los, geh schon zu ihm. "Dad? Ich komme später nach Hause, okay?" Dieser folgt meinem Blick und versteht anscheinend. "Good Luck", wünscht er mir. Dann setze ich mich in Bewegung. Was macht Phil am Flughafen? Vorsichtig tippe ich ihm auf seine Schulter. Mit einem fragenden Gesichtausdruck, der sich ganz schnell in einen Undefinierbaren verwandelt, als er mich erblickt, dreht er sich zu mir um. "Phil?", frage ich zaghaft, "was machst du hier?" Verstohlen fährt er sich mit seiner linken Hand durch sein Gesicht. Anscheinend denkt er, ich sehe nicht, dass er geweint hat. Schon komisch. Eigentlich passt das überhaupt nicht zu ihm. "Kann dir doch egal sein." Das war nicht sein Ernst. Ich schüttel bestimmend den Kopf. "Komm schon. Können wir nicht wie zwei normale Menschen miteinander reden?" Hoffnungsloser Fall. Erneut versuche ich etwas aus Phil heraus zu bekommen. "Also? Warum bist du am Flughafen?" Du könntest auch einfach fragen, warum er geheult hat. Sei nicht so unsensibel. "Phil?" Genervt fährt er sich durch seine Haare. "Jawohl. Mit diesem Namen wurde ich getauft." Was soll diese Kinderkacke? "Wo liegt eigentlich das Problem? Ich komme zu dir und du verhältst dich wie der letzte keine Ahnung was." Händeringend stehe ich vor ihm und versuche seine Mimik zu deuten. Lag dort Enttäuschung in seinem Blick? Oder war das Verachtung? Das bringt doch eh nichts. Kopfschüttelnd wende ich mich zum Gehen. Lieber setze ich mich Zuhause auf die Couch und ziehe mir irgendeinen Film rein. "Meine Mum ist gerade auf dem Weg nach Afrika. Für acht Monate." Nehme ich Phils brüchige Stimme wahr. Anscheinend ruft die Ärztepflicht. Leicht geschockt drehe ich mich wieder zu ihm um. "Warum hast du nichts gesagt? Du hättest doch anrufen können?", bringe ich heraus. "Nachdem ich dir gesagt habe, du sollst dich zwischen diesem Luca und mir entscheiden?", lacht er auf. Spott kann man an dieser Stelle immer gut gebrauchen. "Ich habe immer ein offenes Ohr für dich. Egal wie schwachsinnig deine Forderungen sind", bringe ich heraus. Nach einer kleinen Pause setze ich erneut an. "Man Phil! Sowas kannst du nicht von mir verlangen. Können wir das nicht einfach vergessen und an dem Punkt weiter machen, an dem wir vor dieser Streiterei aufgehört haben?" Warum schlägst du jetzt das Versöhnungsangebot vor? Zögernd nickt Phil. Doch da falle ich ihm schon längst um seinen Hals. "Habe dich vermisst, Kleines", flüstert er in meine Haare. "Ich dich auch." Irgendwie.

-----
Yeah, Phil ist wieder da. Extra fürs Kätzchen ;D

Distract me with your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt