Schon zu viel gesagt

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Beinahe falle ich die Treppe runter, als ich sehe wer im Türrahmen steht. "Nächstes Mal sagst du mir einfach Bescheid, wenn du Männerbesuch bekommst. Dann darfst du die Tür selber öffnen", zwinkert mir mein Dad auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer zu. Versteh einmal deinen alten Herren. Im Schneckentempo bewege ich mich auf die Haustür zu. Vor mir stehen Luca und Jonas und neben ihnen jeweils eine große Sporttasche. Was machen die beiden zusammen bei dir? Beide tragen ein Trikot, weiße Hose und dunkelblaues T-shirt. Nicht schlecht, nicht schlecht. Das erinnert mich schmerzhaft daran, was ich trage. Hättest dich wohl lieber umgezogen. Allerdings, denn ich trage nur eine Jogginghose und ein ausgeleiertes T-shirt, welches ich vor langer Zeit mal Connie geklaut habe. Verlegen räuspere ich mich. "Was verschlägt euch hier her?" Verzweifelt versuche ich meine Anziehsachen zurecht zu zupfen. Jedoch nutzt das überhaupt nichts, um mich etwas wohler zu fühlen. "Wir haben gleich ein Handballtunier. Heimspiel. Und du kommst mit", meldet sich Jonas zu Wort. Ungläubig schaue ich zwischen beiden Jungen hin und her. Während Jonas mich breit angrinst, hält Luca seinen Blick gesenkt. "Ich soll mit kommen? Wer hat dich denn auf diese Idee gebracht?" Hinter vorgehaltener Hand deutet Jonas mit seinem Finger auf den Blondhaarigen neben ihm. "Keine Widerrede!", macht er mir immer noch grinsend klar. Schwer schluckend bemühe ich mich mein mulmiges Gefühl weg zu bekommen. "Okay...Dann ziehe ich mich noch schnell um, ja?", frage ich bereits wieder Richtung Treppe rückwärts gehend. Der Braunhaarige nickt mir aufmunternd zu. "Ich warte im Auto, Jo", murmelt Luca und verschwindet, während Jonas eintritt und die Tür hinter sich schließt. "Beeil dich."
Hektisch reiße ich meine Schranktüren und Schubladen auf. Was zieht man bitteschön zu einem Handballspiel an? Da gibt es keine Kleidungsregel. Ich hole also frische Unterwäsche und das erste was mir an Bekleidung in die Hände fällt aus dem Schrank. Damit verschwinde ich im Bad. Als Oberteil ziehe ich ein weißes Tüll Top an und darüber eine weinrote Sweatshirtjacke. Erstaunlich einfach komme ich in meine hellblaue Jeans hinein. Oben am Bund ist sie ziemlich weit. Ich muss abgenommen haben. Nachdem ich mir sporadisch meine Wimpern getuscht habe, renne ich wieder zurück in mein Zimmer. Mit der Bürste, die auf meinem Nachttisch liegt, kämme ich meine braunen Haare, die ich zu einem hohem Zopf binde. Aus meiner Schmuckbox fische ich meine goldene Kette, an der das Wort 'Princess' hängt, heraus und lege sie mir um. "Joy, wir müssen los", vernehme ich Jonas Stimme. "Komme!" Unter meinem Bett ziehe ich noch meinen braunen Ledergürtel hervor und flitze nach unten. Auf der letzten Stufe habe ich es endlich geschafft den Gürtel in die Laschen einzufedeln. "Gut siehst du aus", stupst mich Phils Bruder an. "Schleimer", lache ich. "Warum war Luca gerade so komisch?", frage ich ihn, während ich meine grauen Vans anziehe. "Ich denke, es ist besser, wenn ihr das zwischen euch selbst klärt. Habe wohl eh schon zu viel gesagt." Zerknirscht guckt er mich an. Das hört sich nicht gut an. "Ich muss mich jetzt damit zufrieden geben?", erkundige ich mich mit schief gelegten Kopf. Scheint so. Jonas öffnet lediglich die Haustür und tritt nach draußen. Seine Haare werden von der heftigen Windböe ziemlich durcheinander gebracht. "Es wird Herbst", merkt er an. Rasch schnappe ich mir noch meine schwarze Lederjacke. "Bye, Dad!", rufe ich in das Haus hinein, bevor ich die Tür hinter mir zu ziehe. "Wo geht es hin?", frage ich nach und folge Jonas über unsere Auffahrt. "In die Halle unseres Vereins." Präzise Angabe. "Mein Vater bringt uns."
Er steigt auf dem Beifahrersitz ein und ich auf der gleichen Seite hinten, als wir das matt graue Auto erreichen. "Hi, Rico", begrüße ich Herr Lorenz. Lächelnd nickt er mir zu. Dann startet er den Motor. Hoffentlich unbemerkt lasse ich meinen Blick zu Luca schweifen. Seine angespannten Kieferknochen stehen minimal hervor und sein Blick ist starr auf die Straße gerichtet. Was auch immer die beiden Jungs besprochen haben, es kann nichts Gutes verheißen. Angst überfällt mich. Angst mit Luca zu sprechen. Mach dich nicht so verrückt. Auch wenn wir Beide eigentlich schon wissen, welches Problem aufgetreten ist, du kannst ganz entspannt bleiben. Kaum zu glauben, dass meine innere Stimme auch nett sein kann. Machen wir kein großes Ding raus. Unbewusst seufze ich auf. Bitte, lass diesen Tag schnell enden.

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