Dann wähle ich Option Eins

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Und da sagt man immer, dass Mädchen viel zu lange im Bad brauchen. Eine halbe Ewigkeit warte ich jetzt schon darauf, dass die Jungs aus der Umkleide kommen. Aus lauter Langeweile lege ich mich längst auf die Sitzfläche der Tribüne und strecke meine Beine gerade in die Luft. Von der Decke herab hängen zahlreiche Banner. Auf jedem Zweiten befindet sich das Vereinslogo des Handballclubs. HC 40 Hamburg. Beim Betrachten des Schriftzuges fällt mir siedend heiß ein, dass mein Dad in zwei Wochen seinen vierzigsten Geburtstag feiert. Was schenkt die kleine Joy denn ihrem Daddy? Das wüsste ich auch gerne. Scheint so, als müsste ich jetzt auch noch auf Geschenkejagd gehen. Ohne einen blassen Schimmer was sich der Vater wünscht einkaufen zu gehen ist doch immer lustig.

"Joy? Alles gut bei dir?", erkundigt sich ein lachender Jonas. Mit einem verwirrten 'Hm' richte ich mich wieder auf. Unterhalb der Tribüne steht er und schultert seine Sporttasche. Mein Blick bleibt nicht lange an ihm hängen, da ich Luca erblicke, wie er ebenfalls aus der Umkleide tritt und zu uns hinüber schlendert. Aufmerksam mustere ich ihn, um herauszufinden, ob sich sein Gemütszustand nach einer ausgiebigen Dusche verändert hat. Jedoch schaut er nur konzentriert auf den Hallenboden, als müsste er aufpassen wohin er tritt. "Bist du dort oben festgewachsen oder kommst du auch mal runter?" Leicht lachend und kopfschüttelnd erhebe ich mich und geselle mich unten zu Jonas. "Geht es ihm gut?", flüstere ich leise und deute mit einer leichten Kopfbewegung auf Luca. Du machst dir ernsthaft sorgen um ihn? Im Gegenteil zu dir besitze ich so etwas das nennt sich 'Mitgefühl'. "Bin mir da nicht so sicher", zuckt der Braunhaarige mit seinen Schultern, "ich gehe schon mal ins Auto, okay?" Abwesend nicke ich. "Klar, ich komme auch sofort."

Jonas verschwindet durch die breiten Flügeltüren nach draußen und Luca macht Anstalten einfach an mir vorbei zulaufen. Mach dir nicht in die Hosen, sondern sprich mit ihm. Wie aufbauend.  "Hey, warte mal!", rufe ich ihm hinterher. Schon fast genervt dreht sich Luca zu mir um und sieht mich fragend an. "Ich weiß nicht genau was mit dir los ist, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit mir zu tun hat. Wir können jetzt natürlich auch so tun als ob wir uns überhaupt nicht kennen... Oder du sprichst mit mir darüber was dein Problem ist?", versuche ich ein Gespräch anzufangen. Mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck schaut er mich aus seinen grauen Augen an. "Dann wähle ich Option Eins." Das kann doch nicht wahr sein. Sind eigentlich alle Jungen so kompliziert? Haben wir da gerade ein Déjà-vu? Scheint so. Verärgert verschränke ich meine Arme vor der Brust und hole Luca mit ein paar schnellen Schritten ein. "Warum, Luca? Machen Jungen das immer so? Alle Probleme in sich hinein fressen und bloß keinem erzählen, was einen bedrückt? Sag es mir doch einfach, wenn ich etwas falsch gemacht habe", rede ich mich in Rage. "Keine Angst, du hast gar nichts falsch gemacht", lacht er gekünstelt auf. "Und warum ignorierst du mich dann?", hake ich nach. "Oh, ich ignoriere nicht dich, sondern nur die Tatsache, dass du es anscheinend nicht für notwendig hältst, mir von deinem Freund zu erzählen." Perplex gucke ich den Blondschopf an. Mund zu, sonst kommen Fliegen rein. "Wahrscheinlich stimmt es, was auf deiner Kette steht." Mein Blick fällt auf meinen Hals. Vorsichtig umschließe ich mit meiner linken Hand den 'Princess' Anhänger. "War dir irgendwie langweilig? Hast du gedacht, wenn dich dein Vater schon princess nennt, kannst du dich auch wie eine verhalten?", schnaubt er, "ich hätte echt gedacht, dass du anders bist." Erstaunt hebe ich meine Augenbrauen. "Wie bin ich denn?", frage ich mit kratziger Stimme. "Verwöhnt. Gelangweilt. Gewöhnt, dass du immer alles bekommst, was du willst. Überzeugt davon, dass du zwei Jungs gleichzeitig haben kannst." Als wäre das Gespräch für ihn beendet, zieht Luca seine dunkelblaue Mütze an und macht Anstalten zu gehen. Und ich stehe immer noch mit offenem Mund vor ihm und versuche seine vielen Sätze in die richtigen Schubladen einzuordnen. Doch bevor er sich in Bewegung setzt, dreht er sich wieder zu mir um. "Tut mir leid", durchbricht Luca die Stille, "natürlich hättest du mir nicht von deinem Freund erzählen müssen. Ich meine ich habe kein Anrecht darauf oder so. Wir kennen uns auch gar nicht so lange. Es ist nur... Ich hab dich vom ersten Augenblick an gemocht. Und ich war vielleicht gerade dabei mich in d...", schnell schüttelt er seinen Kopf als müsste er seine Gedanken wieder in Ordnung bringen. "Und es tut mir leid, was ich dir gerade an den Kopf geworfen habe. Das hast du nicht verdient", fügt er etwas leiser hinzu. "Ich komme mir gerade ziemlich dämlich vor. Anscheinend bin ich auch nicht besser als diese ganzen Mädchen, die ihrem Freund eine Szene bereiten, weil sie denken er hätte sie betrogen. Vielleicht wäre es ganz nett von dir, wenn du jetzt auch mal etwas sagst, sonst rede ich noch mehr blödes Zeug." Bittend sieht er mich an. Bin ich der einzige Verwirrte hier? Nein, ich bin es definitiv auch. "Ich...Luca, ich...was...ich meine...wovon redest du? Ich habe keinen Freund. Also keinen festen. Und ich kann mir beim besten Willen nicht erklären wie du darauf kommst", stammele ich vor mich hin. Mit zusammengezogener Stirn ergänze ich etwas schärfer: "Und ich bin weder verwöhnt noch gelangweilt. Es ist doch immer wieder erfreuend wie ehrlich die Menschen sind, wenn sie wütend sind."

"Es war blöd von mir, so etwas zu sagen", entschuldigt sich der Blondhaarige ein weiteres Mal. "Warum streitest du ab, dass du einen Freund hast, wenn ich es jetzt eh schon weiß?", hakt er nach. Lachend schüttele ich meinen Kopf. "Dann muss ich aber Einen haben von dem ich selber noch nichts weiß. Wie heißt denn der Glückliche?" Irritiert schaut mich Luca an. "Phileas oder Philo?", grübelt er nach. Scheint so als meine er Phil. "Das ist ein Scherz. Du meinst aber nicht Jonas Bruder Phil, oder?", rufe ich entgeistert aus. Unsicher nickt mein Gesprächspartner. "Doch. Ich war vor dem Spiel bei Jonas zuhause und als ich gefragt habe...also als wir darüber gesprochen haben, ob wir dich mitnehmen kam dieser Phil die Treppe runter und meinte, dass es sich nicht gehört mit einer vergebenen Frau auszugehen."

"Und dann glaubst du auf Anhieb, dass ich wirklich einen Freund habe?"

"Naja, warum nicht. Außerdem hat sich Jonas über diese Aussage richtig gefreut und hat mir dann erklärt, dass du und Phil schon Ewigkeiten befreundet seid und es schön ist, dass ihr jetzt sogar zusammen seid. Was würdest du dann denken?" Zweifelnd wartet er auf eine Reaktion von mir. Dass Luca ständig an seinen Fingern rumspielt und sie knacken lässt macht mich ganz verrückt. Daher trete ich näher an ihn heran, um seine Hände mit Meinen still zuhalten. Leicht lächelnd schaut er auf unsere Finger hinab. "Okay, ich ziehe jetzt ein Fazit und das lautet, dass ich keinen Freund habe, aber dringend bei Phil ein paar Sachen klarstellen muss", stelle ich fest. "Gehen wir nach draußen? Jonas wartet bestimmt schon Stunden." Mit einem Grinsen beobachte ich den Blondhaarigen. "Wenn jetzt alles geklärt ist", antwortet er mir, während er seine linke Hand löst, die ich immer noch festhalte, und eine meiner losen Haarsträhnen hinter mein rechtes Ohr streicht. Ohne darauf zu achten was Luca vorhat, nutze ich die Ruhe, um mich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihn zu umarmen. Nicht dein bester Einfall, wenn du mich fragst. Dich fragt aber keiner. Sachte legt er seine Arme um meine Taille und zieht mich an sich. "Danke", flüstere ich gegen seine Schulter.

"Wofür?"

"Dafür, dass du mich magst", grinse ich. Und obwohl ich es nicht sehe, weiß ich, dass er ein Lächeln auf seinen Lippen trägt.


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