Arschkalt hier draußen

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"Du bist doch verrückt", rufe ich im Flüsterton. "Ich doch nicht", lacht Phil, "komm schon, Joy!" Erwartungsvoll steht er unter meinem Balkon und wartet darauf, dass ich zu ihm komme. Jedoch zeige ich ihm nur einen Vogel. "Okay, wenn du nicht runter kommst, komme ich eben zu dir", beschließt er daraufhin. "Nimmst du die solange?", streckt Phil mir zwei Becher entgegen. Augenverdrehend greife ich durch die Stäbe meines Balkongeländers, nachdem ich mich hin gekniet habe. Aus dem Stand springt er hoch in die Luft und hängt sich an die Querstrebe. Elegant zieht er sich hinauf, sodass er genau gegenüber von mir steht. So hättest du das sicher auch gemacht. "Ist das ernsthaft ein Caramel Frappuccino?", erkundige ich mich, während ich einen der Becher in meiner Hand drehe. Sich auf die andere Seite des Geländers schwingend, nickt er zur Bestätigung. "Und du willst nicht verrückt sein? Bist du bei Starbucks eingebrochen oder was?", lache ich, "nach Mitternacht hat doch weit und breit kein Starbucks mehr offen."

"Wenn du weißt, wo du hingehen musst, bekommst du auch um halb eins morgens einen Caramel Frappuccino und eine heiße Schokolade." Belustigt schaue ich den Braunhaarigen vor mir an. "Alles klar." Zu Zweit lassen wir uns auf der kleinen Bank, die auf der linken Seite des Balkons steht, nieder. "Erinnerst du dich an die kleine Brünette, die ein paar Mal im gleichen Club wie wir war?", erkundigt sich Phil bei mir. "Ach, Die!", rufe ich, um mir sofort darauf die Hand vor meinen Mund zuschlagen. Ganz hinten in deinem Gedächtnis erinnerst du dich aber an das Braunhaarige Mädchen. "Genau die", streckt er mir die Zunge raus, "jedenfalls hat sie einen total abgedrehten Deal mit ihrem Chef und hängt nachts hinter der Theke im Starbucks rum." Verwirrt blicke ich ihm entgegen. "Verstehe, eure Beziehung ist schon so weit fortgeschritten, dass du zu jeder Zeit willkommen bist", grübele ich. "Wenn du wüsstest", zwinkert Phil mir zu, woraufhin er einen Schlag auf die Schulter kassiert, "auf der gegenüberliegenden Seite im Mc Donalds wartet nur eine weitere Frau darauf, dass sie mir nach Mitternacht noch einen Chickenburger zubereiten darf."

"Und genau dieser Burger klemmt gerade irgendwelche Nerven in deinem Gehirn ein? Oder warum redest du so einen Schwachsinn?", frage ich, erneut meine Augen verdrehend. "Das ist kein Schwachsinn", protestiert er. "Wenn das so ist, musst du mir aber erzählen, wann du zu einem Frauenaufreißer mutiert bist", fordere ich ihn auf. "Das ist eine längere Geschichte", spaßt der Junge neben mir. "Ich habe Zeit", ziehe ich abwartend an meinem Strohhalm. "Scheiße ist das kalt!", entfährt es mir direkt darauf, "generell ist es arschkalt hier draußen." Sofort tauscht Phil seinen Becher gegen Meinen und verschwindet dann in meinem Zimmer. Kurze Zeit später kommt er mit zwei Decken wieder, die er mir liebevoll in mein Gesicht wirft. Nachdem ich mich in den Stoff eingekuschelt habe, nippe ich an meinem diesmal warmen Getränk. "Okay, also es kam einmal die Zeit, in der sich der edle Prinz dachte, dass nun eine neue Ära beginnen muss. Er hatte es zu diesem Zeitpunkt nicht geschafft die tapfere Prinzessin aus den bösen Klauen des Drachen zu entreißen. Darüber war er so entrüstet, dass er sich seinen Gaul schnappte und in den nächsten Saloon ritt. Es gab hervorragende Speisen und Getränke. Doch trank er lieber mehr als etwas zu essen. Um die Geschichte präziser zu erzählen, muss man ergänzen, dass der Prinz lediglich trank. Auf nüchternen Magen. Er traf völlig betrunken auf eine holde Maid und ihm gefiel es doch tatsächlich, dass jede zweite Frau ihm einen Drink spendieren wollte. Ihm kam in den Sinn, dass sich so das Leben viel leichter leben lässt", beendet der Braunhaarige seine kleine Märchenstunde. "So jetzt weißt du, wie ich zu meiner neuen Persönlichkeit gekommen bin", zwinkert er mir zu. "Phil! Nicht dein Ernst. Du beutest eine Frau nach der Anderen aus", haue ich ihm wieder auf die Schulter. "Ich beute sie doch nicht aus. Bis jetzt habe ich jeden Burger und jeden Kaffee bis auf den letzten Cent bezahlt", verteidigt sich der Junge. "Wenn du meinst, dass du damit leben kannst", versuche ich ihm ein schlechtes Gewissen einzureden. "Diese Taktik zieht bei mir nicht, Joy", lacht er, "ich werde nicht einfach aufhören mir Burger bei Mc Donalds zu kaufen." Sein blödes Rumgealbere bringt mich zum Lachen. Eine angenehme Stille entsteht, als mein Lachen abebbt.

Das laute Schlürfgeräusch lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken und signalisiert mir, dass Phil seinen beziehungsweise meinen Caramel Frappuchino ausgetrunken hat. Auch die heiße Schokolade ist leer. Vorsichtig lehne ich mich an die Schulter des großen Jungen. "Weißt du ich habe es echt vermisst, mit dir alleine etwas Zeit zu verbringen und über deine dummen Witze zu lachen", gestehe ich. "Meine Witze sind nicht dumm", lacht der Braunhaarige. "Ich habe es auch vermisst", fügt er nach einer kleinen Pause hinzu. Eine Zeitlang beobachten wir den klaren Nachthimmel.

"Bist du glücklich, Phil?", platzt es aus mir heraus. Erstaunt sieht er mich an und scheint zu überlegen. "Ja, ich bin glücklich. Im Augenblich könnte ich nicht glücklicher sein, Joy."

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Ein bisschen kürzer als sonst, aber Hey! ein neues Kapitel.
Werde jetzt zu einer dieser Autorinnen, die nur nachts an ihren Büchern pfeilen :P

Distract me with your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt