Ein Frühaufsteher

358 23 6
                                    

Da ich gestern schon ungewollt zweimal geduscht habe, spritze ich mir heute morgen nur etwas kaltes Wasser in mein Gesicht und putze mir die Zähne. Über ein einfaches beiges T-Shirt, das ich zu einer ausgewaschenen Jeans kombiniere, ziehe ich den Kapuzenpullover von Luca. Wenn das mal nicht zu aufdringlich rüber kommt. Wieso sollte es? Anziehsachen von seinem Freund zieht man nur an, wenn man in einer offiziellen Beziehung ist. Du, meine Liebe, bist nicht einmal seine Freundin. Ernüchtert werfe ich meinen Kopf in den Nacken. Jedoch kann ich darüber nicht weiter nachdenken. Mal wieder bin ich spät dran. Somit renne ich im Eiltempo die Treppe hinunter, an meinem Dad vorbei, der mir eine Bäckereitüte in die Hand drückt, und mit halb angezogenen Schuhen in die Garage, um kurz darauf mit meinem Motorrad auf die Straße zu fahren. Meine Haare, die unterm Helm hervorgucken, wehen im Fahrtwind durch die Gegend. Die vollen zwanzig Minuten, die ich brauche um zur Schule zu gelangen, grinse ich dümmlich vor mich hin.

Wie es in den letzten paar Tagen zur Gewohnheit geworden ist, treffe ich Zoey an unseren Spinden. "Guten Morgen", zwitschert sie mir entgegen, was ich erwidere. Gemeinsam machen wir uns auf in den nächsten Klassenraum. Als wir über die Türschwelle treten, trifft mich der Schlag. Im ganzen Raum sind hunderte von Blättern verteilt. Wahrscheinlich ist es eher eine Anzahl unter 100 Stück. An der Tafel hängen einige wie Mosaiksteine eng aneinander geklebt. Auf den Tischen und Stühlen liegen auch welche. Die restlichen sind kreuz und quer auf dem Boden verstreut. So als hätte jemand einen ganzen Stapel hoch geworfen und durch die Luft segeln lassen. Muss ein Frühaufsteher gewesen sein. Langsam gehe ich auf meinen üblichen Platz zu. Aufmerksam betrachte ich ein Blatt nach dem Anderen. So wie es alle anderen Personen in diesem Raum machen. Es sind oft die gleichen Bilder abgedruckt. Ich erkenne, dass eins davon das ist, was mir Theo letztens unter die Nase gehalten hat. Ein kleines pummeliges Mädchen in Latzhose und mit schiefer Brille. Der schwarzhaarige Junge, der neben ihr stehen sollte, ist weggeschnitten. Ein Weiteres zeigt das pummelige Mädchen in einer andersfarbigen Latzhose, wie es breit grinst und ihre Zahnlücke entblößt. Stolz streckt sie ihren ausgefallenen Milchzahn der Kamera entgegen. Ganz genau weiß ich, dass auf der rechten Seite des Bildes der schwarzhaarige Junge stehen müsste, der das gleiche macht. Jedoch ist er wieder weggeschnitten. Auf dem nächsten Blatt sitzt das Mädchen mit einem verheulten Gesicht neben einer Pfütze, in der ihr Donut gefallen ist. Dann gibt es noch ein Bild, auf dem das Mädchen mit voll gestopften Wangen und einem ganz verschmierten Gesicht auf einer Tafel Schokolade herum kaut, und Eins, auf dem der schwarzhaarige Junge zu sehen. Er ist dabei, dem Mädchen die Haare abzuschneiden, während dieses nur mit großen Augen erschrocken in die Kamera blickt. Wer kommt auf die Idee von all diesen Situation Fotos zu schießen? Meine Mom.

"Wer ist das?", flüstert Zoey neben mir. "Ich", antworte ich knapp. Erstaunt sieht sie mich an. "Soll ich dir helfen die Blätter zusammen zu suchen?", bietet der Lockenkopf mir an. Verneinend schüttele ich meinen Kopf. Ich habe gar nicht den Drang die Fotos einzusammeln. Sie sind mir nicht einmal peinlich. Noch werde ich davon wütend. Sie machen mich eher traurig. Dumpf landet ein Haufen Jeansstoff auf dem Tisch vor mir. Der Schatten einer Person lässt mich aufblicken. "Du solltest lieber wieder eine Latzhose anziehen. Die verdeckt besser deine Problemzonen." Sprachlos blicke ich Theo an. Mit Nachdruck schiebt er die Latzhose über den Tisch. "Warum?", frage ich. "Warum ich dir helfe einen besseren Kleidungsstil zu finden?", stellt er sich dumm. "Warum die Fotos, Theo?" Ein starrer Ausdruck tritt in seine Augen. "Weil ich will, dass dich deine Erinnerungen leiden lassen."

Brauchst du Zeit?

Ich verschaffe sie dir schon irgendwie.

Lass die Situation erst einmal sacken. 

"Der Einzige, der hier leiden wird, bist du!", ruft Luca in den Raum hinein. Und schon stehen sich die zwei Jungen gegenüber. Streitsüchtig blickt Theo dem Blondhaarigen entgegen. "Dicke Lippe riskieren und dann wieder selber kassieren?", lacht der Schwarzhaarige. "Ich denke, ich muss dich nicht daran erinnern, dass du die gebrochene Nase hattest", packt Luca ihn am Kragen seiner Lederjacke. Beide kommen sich immer näher. Man kann genau erkennen, wie sie sich gegenseitig mit ihren Blicken aufheizen. "Luca, bitte nicht", flüstere ich. Jetzt hast du die Ehre jeglichen Mannes in Frage gestellt. "Genau Luci, hör auf deine Perle. Schlag dich doch bitte nicht mit anderen Leuten", spottet Theo. Kurz darauf landet Lucas Faust im Gesicht des schwarzhaarigen Jungen. Mit einem grunzenden Geräusch spuckt er einfach ein wenig Blut auf den Boden. Wie üblich sind alle Klassenkameraden an ihrem Platz festgefroren und machen nichts anderes als zu zuschauen. Im Gegenzug schlägt nun Theo zu. Er streift jedoch nur Lucas Wange, da dieser rechtzeitig ausweicht und in der gleichen Bewegung seine Schulter gegen die Brust des Schwarzhaarigen rammt. Gemurmel entsteht. "Was zum Teufel!", schallt es durch die Klasse, "Hofmaerz und Eaton sofort auseinander! Und dann Marsch zum Direktor!", brüllt unser Deutschlehrer die zwei Jungen an. Nur widerwillig lösen sie sich von einander. "Aber Herr...", setze ich an, werde jedoch sofort unterbrochen. "Wenn du etwas über diese zwei Chaoten loswerden willst, kannst du direkt mit zum Direktor gehen", fordert mich der grauhaarige Mann auf, "für solche Sachen habe ich in meinem Unterricht keinen Nerv."

Schon alleine um sicher zu gehen, dass die Zwei auf dem Weg zum Direktorat nicht wieder aufeinander losgehen, befolge ich die Aufforderung unseres Deutschlehrers. Ohne anzuklopfen betritt Theo das Büro. "Wen haben wir denn da?", richtet der Direktor seinen Blick auf uns, "ich nehme an, ihr wurdet von einer Lehrkraft hergeschickt?"

"Freiwillig würden wir sicherlich nicht kommen", lacht der Schwarzhaarige. "Nun, dann schildert mal euer Problem", stützt der Mann sein Kinn auf seine verschränkten Hände, nachdem er uns Drei eingehend gemustert hat. "Das ist ganz alleine ein Problem zwischen Joyce und mir. Da haben weder Sie noch der blonde Depp drin herum zu fischen", grummelt Theo. "Warum klärst du es dann nicht mit mir alleine, sondern veranstaltest diese ganze Scheiße?", melde ich mich zu Wort, während Luca schnaufend seine Nasenflügel aufpumpt. "Wie gerne ich es mit dir alleine klären würde. Aber du hast ständig deine beschissenen Wachhunde um dich herum. Selbst dieser Lockenkopf meint, dich verteidigen zu müssen. Und von deinem blonden Bodyguard brauchen wir erst gar nicht anzufangen. Der schlägt doch sowieso lieber zu als zu reden. Also wie um alles in der Welt soll ich an dich heran kommen, damit wir das Problem klären können?", redet sich der schwarzhaarige Junge immer mehr in Rage. "Wie wäre es, wenn ihr in den Raum nebenan geht und miteinander sprecht", schlägt der Direktor vor, "und derweil gucke ich, was wir mit dir machen, Luca. Denn selbst ein Blinder würde sehen, dass die blutige Nase von Theo nicht von alleine gekommen ist."

Unschlüssig blicke ich zu Luca. Jedoch kann ich nichts Hilfreiches aus seiner Miene deuten. Also folge ich dem Schwarzhaarigen in den Nebenraum. Er wird dich schon nicht abschlachten. Außerdem musst du zugeben, dass du neugierig bist.



______

Neugierig auf die folgende Konversation bin ich auch... Mal gucken wann und wie ich sie schreibe...

Distract me with your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt