Trotzdem starrst du

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Mal wieder kaue ich auf meinen Fingernägeln herum. Das sollte ich mir schleunigst abgewöhnen. Jonas Worte schwirren mir ständig im Kopf herum. Es ist besser, wenn ihr das zwischen euch selbst klärt.

Ich richte meinen Blick auf das Feld und versuche mich auf das Spiel zu konzentrieren. Keine allzu schwierige Aufgabe - könnte man zumindestens meinen. Meine Augen huschen immer wieder zu dem blonden Wuschelkopf. Seinen verbissenen Gesichtsausdruck und die Anspannung seines Kiefers hat er beibehalten. Ob das wohl nur an dem Spiel liegt?  Ehrlich gesagt hoffe ich, dass es so ist. Einzelne Schweißtropfen, die sich an seinem Haaransatz bilden, laufen ihm an der Schläfe herab. Obwohl Luca allmählich erschöpft sein müsste, hat sich sein Gesicht kein bisschen rot gefärbt. Während der Schiedsrichter einem der gegnerischen Jungen eine gelbe Karte zeigt, fährt Luca sich mit seiner rechten Hand durch seine Haare, die danach immer noch perfekt liegen. Fang jetzt bloß nicht an zu sabbern. Angewidert schüttele ich meinen Kopf. Ich habe noch nie verstanden, was an verschwitzten Jungs attraktiv sein soll. Trotzdem starrst du ihn an.

Die Jungs in blau-weiß spielen gegen eine Mannschaft in komplett gelber Bekleidung. Und sie scheinen ein ebenbürtiger Gegner zu sein. Gerade läuft Jonas auf die andere Seite des Spielfeldes, um sich an der Verteidigungslinie zu positionieren. Hoffentlich hat er nicht zu viel erzählt. Eine Sekunde bevor Luca ebenfalls den Halbkreis erreicht um die Lücke zu schließen, setzt ein großgebauter Schwarzhaariger in gelben Trikot zum Sprung an und wirft in der Luft den Ball in Richtung des Tores. Im selben Moment in dem der Schlusspfiff ertönt, landet der Ball im Netz. Die allgemeine Anspannung löst sich auf der gegenüberliegenden Tribüne auf. Anstelle von scharfen Atemzügen und leisen Gemurmel tritt ein ohrenbetäubendes Gegröle ein. Ein Blick auf die Anzeigetafel verrät mir, dass die gegnerische Mannschaft ein Tor mehr erzielt hat. Enttäuschung ist in den Stimmen der wieder aufflammenden Gespräche zu hören. Und auch bei mir macht sich die Enttäuschung irgendwie bemerkbar.

"Wäre er nur ein bisschen früher losgelaufen, hätte der Depp aus der anderen Mannschaft gar nicht die Chance gehabt zu einem Wurf anzusetzen", ertönt die Stimme von Marie ein paar Stufen unter mir. Aufgebracht gestikuliert sie mit ihren Händen undefinierbare Sachen. Anastasia, die ebenfalls unterhalb von mir sitzt, versucht geschickt vor Maries Händen auszuweichen, sodass sie keine gewischt bekommt. Fast bringt mich dieses Spektakel zum Lachen. Lärm vom Spielfeldrand lenkt meine Aufmerksamkeit jedoch auf die in blau-weiß gekleidete Mannschaft. Der Coach steht hinter Luca und massiert ihm etwas grob die Schultern. Soll wohl beruhigend wirken. "Reiß dich zusammen, sonst sitzt du beim nächsten Spiel auf der Bank", warnt er den Blondhaarigen etwas gereizt. Mit aufgeblähten Nasenflügeln entwindet sich Luca dem festen Griff des Coachs. Seine Teamkollegen klopfen ihm aufmunternd auf den Rücken. Ich bezweifle, dass ihm  das hilft. Immer weniger Menschen sitzen auf der Tribüne oder laufen auf dem Feld hin und her. Mit einem lauten "Fuck" schmeißt Luca seine Trinkflasche unter die Bank. Das hat der Coach bestimmt nicht mit 'reiß dich zusammen' gemeint.

Unruhig rutsche ich auf meinem Sitzplatz hin und her. Am liebsten würde ich zu ihm runtergehen. Aber du traust dich natürlich nicht. Die Tatsache, dass Marie und Anastasia sich gerade auf den Weg zu ihm machen, reicht mir als Begründung schon völlig aus. 

"K, das war doch nicht deine Schuld." Mitleidig sieht Marie ihren Exfreund an. Da ist einer aber noch nicht über die Trennung hinweg.  Ich würde sagen, da ist einer ganz schön verlogen. "Das macht gar nichts. Lass mich dich auf andere Gedanken bringen. Vielleicht gehen wir einen Erdbeermilchshake trinken?", schlägt sie vor, während sie versucht seine Haare aus seiner Stirn zu streichen. Belustigt schaue ich zu. Ich dachte, sie wäre mit ihm zusammen gewesen. Genervt entwindet sich Luca aus ihren Fingern. Anscheinend steht er nicht auf Erdbeermilchshakes. Oder auf nervige Mädchen.

Eilig läuft er Jonas Richtung Umkleide hinterher. "Halt mir eine Dusche frei, Jo!"

Somit lässt er eine verdatterte Marie zurück. Nachdem sich ihre Gesichtszüge wieder gerichtet haben, geht auch sie mit Anastasia aus der Halle. Alleine bleibe ich auf der Tribüne sitzen und fange wieder an auf meinen Nägeln rumzukauen.






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