Die richtige Frau

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"Wohin fährst du?", frage ich etwas irritiert. Ein wenig über der Geschwindigkeitsbegrenzung braust Phil durch die Straßen. Und es ist nicht der Weg nach Hause. "Zu mir. Ich muss aufräumen. Und jetzt wo nur noch Männer im Haushalt leben möchtest du doch sicher gerne helfen." Überrumpelt lache ich auf. "Anscheinend habe ich keine andere Wahl." Den restlichen Weg lausche ich der Musik aus dem Radio, welche das Schweigen überbrückt. Eigentlich hatte ich mir meinen Nachmittag anders vorgestellt. Die brave Joyce muss schließlich Hausaufgaben machen. In der Tat. Die hatte ich heute in der Mittagspause nicht geschafft. Wegen einem gewissen Rennfahrer neben mir, der mich angerufen hat, um mir vorzuschlagen, mich nach der Schule abzuholen. Dann kam er von Hölzchen auf Stöckchen und die Pause war um. Die Autofahrt auch. Steig aus.

Im Flur sieht es gar nicht mal so unordentlich aus. "Und wo soll ich jetzt mit dir aufräumen?" Belustigt guckt mich Phil an. "Du denkst, mehr Dreck als hier im Flur gibt es nicht?" Ja, das dachtest du. Auf irgendeine Art neugierig folge ich ihm in die Küche. Okay, da sieht es schon schlimmer aus. "Ich werde nicht spülen", warne ich ihn vor. "Aber abtrocknen?" Flehend schaut Phil zu mir. Mit einem knappen Nicken machen wir uns an die Arbeit. "Habt ihr überhaupt noch saubere Teller?", frage ich, überwältigt von dem Geschirrturm. "Vielleicht ein oder zwei. Aber die Pizzakartons dienen hervorragend als Ersatz." Gut zu wissen. Solltest du dir umbedingt abspeichern unter 'effiziente Haushaltsführung'. "Ihr seid echt solche Dreckschweine", rege ich mich auf, "wie kann man drei Tage lang nicht spülen?"
"Es sind eigentlich schon vier", merkt Phil an. Bestimmt ein neuer Rekord von ihm. Nach guten vierzig Minuten, aber gefühlte Stunden, sind alle Schränke wieder fein säuberlich mit sauberem Geschirr befüllt. "Schnapp dir den Besen und feg hier durch. Ich wische solange den Tisch und die Arbeitsplatten ab", gebe ich die Anweisung. Richtig so. Einer muss das Ruder in die Hand nehmen. "Muss das sein?", jammert der Braunhaarige, macht sich aber bereits auf den Weg zur Abstellkammer. Mit einem angewiderten Blick schaue ich umher. "Wenn ich nur einen Schritt mache knirschen die Krümel unter meinen Schuhen. Und du fragst ob das sein muss? Da bekommt jeder doch die Krätze, wenn man hier essen soll." Lachend macht er sich an die Arbeit und auch ich schnappe mir einen Lappen.

Während ich auf dem riesigen roten Sofa sitze, bei dem ich zuvor alle Kissen aufgeschüttelt und jegliche Chipskrümel oder Pizzareste runter gefegt habe, beobachte ich Phil dabei wie er das Wohnzimmer saugt. "Du würdest dich echt gut als Hausmann machen", lobe ich meinen besten Freund lachend. "Da fehlt nur noch die richtige Frau, die auch den Mut dazu hat mir in den Arsch zu treten, damit ich sowas", dabei hebt er leicht den Staubsauger an, "überhaupt mache." Mit einem so liebevollen Blick wie mein Dad immer meine Mom angeguckt hat versucht er Meinen einzufangen. Mystery Moment! Rasch klatsche ich in meine Hände und springe vom Sofa auf. "Welchen Raum des Grauens darf ich als nächstes betreten?", erkundige ich mich überaus motiviert. "Küche und Wohnzimmer haben wir. In das Arbeitszimmer meines Vater darf ich nicht, die Badezimmer sehen ganz in Ordnung aus, im Gästezimmer war keiner mehr seit der letzten Reinigung, um das Schlafzimmer kann sich mein Vater selber kümmern", überlegt Phil angestrengt, "bleibt das Zimmer meines Bruders und meins." Worauf hast du dich da nur eingelassen? Das frage ich mich auch. "Ich putze doch nicht das Zimmer von Jonas", bringe ich aufgebracht hervor. "Nein, da kannst du noch so flehend gucken."
"Was ist gegen mein Zimmer einzuwenden?" Erschrocken drehe ich mich um und stolper ein paar Schritte rückwärts. Genau auf Phils Füße. Überraschung! Die böse Hälfte von Phil ist aufgetaucht. "Du kannst dein Zimmer doch selber putzen. Ich will gar nicht wissen, was man alles unter deinem Bett findet", antworte ich, als ich mich wieder gefangen habe. "Na also keine Leichen falls du das denkst." Grummelnd stapfe ich die Treppe nach oben. Damit ist nicht zu Spaßen. Seit Jonas mir sein totes Kaninchen, das von dem Hund des Nachbarn halb zerbissen wurde, unter die Nase gehalten hat, als ich ein paar Wochen nach meinem ersten Schultag in Deutschland von Phil zu dem neunten Geburtstag seines eben genannten Bruders eingeladen wurde, ist er mir reichlich unheimlich. Selbst noch acht Jahre später. Angewidert schüttel ich dieses Bild von mir ab. Zuerst öffne ich Phils Zimmertür und überwinde mich dazu auch Jonas Zimmer zu begutachten. "Phil, bring den Staubsauger mit hoch", rufe ich nach unten, während ich aus der Abstellkammer im oberen Geschoss alle möglichen Putzutensilien zusammem sammel. "Und Jonas, du bewegst gefälligst auch deinen Hintern hier hoch", füge ich hinzu.

"Wieso behandelst du mich eigentlich immer so abfällig?", erkundigt sich Jonas bei mir, als wir beide zusammen in seinem Zimmer herum werkeln. "Kaninchen", grummel ich, während ich sein Bett neu beziehe. Bitte lieber Gott, lass keine Rotze oder Sonstiges am Laken kleben. Verwirrt sieht mich dieser an. Also Jonas, nicht Gott. "Kaninchen?"
"Ja! Dein bescheuertes schwarz gepunktetes. Obwohl man die Farbe unter der Blutkruste nur erahnen konnte", pampe ich ihn an. "Oh, du meinst Mr. Schuh", kommt es aus der anderen Ecke des Zimmer, die er gerade fegt. "Ich hätte nicht gedacht, dass du dich an ihn noch erinnerst", überlegt der Braunhaarige, "und deswegen magst du mich nicht?" Das sagt er so als ob dies eine Kleinigkeit wäre. "Du hast mir meine Kindheit versaut! Wegen dir hatte ich nie ein Haustier", rufe ich und schleudere meinen Putzlappen, mit dem ich seinen Nachttisch abgeputzt habe, in Jonas Richtung. Geschickt weicht er aus. "Das tut mir leid", teilt er mir ehrlich betroffen mit. Diese Situation ist schon absurd. Wie auf ein unsichtbares Zeichen fangen wir beide gleichzeitig an zu lachen. "Verzeihst du mir? Ich verspreche hoch und heilig dir nie wieder ein totes Tier zu zeigen." Breit grinsend breitet er seine Arme aus und legt den Kopf schief. "Das wäre auch nicht normal", lachen ich. Für einen kurzen Augenblick umarmen wir uns freundschaftlich. So wie man es zur Begrüßung oder Verabschiedung macht. "Versuchst du sie gerade dazu zu überreden, dass sie auch noch deine Unterhosen wäscht?", fragt Phil, der am Türrahmen lehnt. "Das kann er schön selber machen." Zufrieden nickt Phil. "Hast du dann Zeit bei mir im Zimmer vorbei zuschauen?" Ich sammel den Putzlappen aus der Ecke auf und gehe rüber.
"Sieht gut aus. Ich sag doch, dass du als Hausmann taugen würdest", kicher ich. Auch Phils Bett beziehe ich neu. Den Rest hat er ganz alleine erledigt. Zufrieden klatsche ich in die Hände. "Jetzt müsst ihr nur noch eure Wäsche waschen und fertig sind wir." Mit den letzten umher fliegenden dreckigen Anziesachen unter ihren Armen folgen mir die Brüder in die Waschküche. Da liegen mindestens 100 Kilo Wäsche auf dem Boden. "Zieht ihr euch drei Mal am Tag um oder was? Ihr seid schlimmer als Mädchen", lache ich. Nachdem die erste Maschine angeschmissen ist, verkrümel ich mich mit Phil in sein Zimmer.

"Also wenn du später keinen Job bekommst, stelle ich dich als meine Putzfrau ein", teilt er mir auf seinem Bett liegend mit und verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf. Das will doch jede Frau hören. "Was für ein Kompliment." Lachend werfe ich mich neben ihn. "Willst du einen Film gucken?", fragt er mich. "Klar, warum nicht."
Ich entscheide mich für den Film "Verliebt in die Braut". Den habe ich noch nie gesehen. Verwundernd, dass Phil so einen Film besitzt. 101 Minuten lang frage ich mich, ob es sowas wirklich gibt. "Das ist doch irgendwie schwachsinnig", rege ich mich auf, nachdem er geendet ist, "diese Drehbuchautoren müssen mal in die Realität schauen. Wo gibt es denn das, dass dem besten Freund plötzlich bewusst wird, dass er in seine beste Freundin verliebt ist. Nicht wahr?" Ich rolle mich auf meine rechte Seite und schaue zu Phil auf. "Hm..Sicher", brummt er. Ein Blick auf die Uhr verrät mir dass es schon halb Elf ist. So lange hatten wir also das Haus sauber gemacht. Ich bin total erschöpft. So müde, dass ich keine Lust habe nach Hause zu gehen. "Ich schreibe Liam, dass du hier schläfst", sagt Phil. Wahrscheinlich kann er Gedanken lesen. Zufrieden nickend schließe ich meine Augen. "Schlaf gut, Kleines", flüstert er mir ins Ohr. Ich merke nur noch wie er einen Arm um mich legt und mich näher zu sich zieht. Dann bin ich im Land der Träume.

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