Das tut mir aber leid

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Zirkeltraining ist ätzend. Seit 80 Minuten quält uns unser Sportlehrer mit den anstrengendsten Aufgaben. Morgen werden wir alle Muskelkater haben. Bei jedem Sit-up den ich mache, erwische ich mich dabei, wie ich an Lucas Trikot rieche. Mit dir stimmt etwas nicht. Kann ich nur zurückgeben.

"Okay, genug für heute mit den Kraftübungen", ruft unser Sportlehrer durch die Halle und pustet zweimal in seine Trillerpfeife. Vereinzelt schrecken die Mädchen durch die lauten Pfiffe zusammen. Erschöpft lasse ich mich auf die blaue Matte unter mir fallen, während die Jungs noch einige Wiederholungen von ihrer Übung machen. "Wir machen eine kurze Pause von fünf Minuten und dann möchte ich bitte zwei Mannschaften zum Völkerball spielen", ruft er erneut. Ich hasse Mannschaftsspiele. Nur weil du immer als letzte gewählt wirst. Und weil mir fast nie ein Ball zugespielt wird. Selber Schuld. So unsportlich bin ich gar nicht. Darum geht es den Typen auch nicht. Jetzt bin ich verwirrt.

Anstatt etwas zu trinken bleibe ich einfach auf der blauen Matte liegen und warte darauf, dass die anderen Schüler die benutzten Geräte wegräumen. "Fräulein Danzante! Wären sie so freundlich auch beim Aufräumen anzupacken?", schallt die Stimme unseres Lehrers durch die Halle. Seufzend erhebe ich mich und räume, wie von mir gefordert, die benutzten Sachen mit weg.

Nachdem die Teams gewählt wurden und ich überraschender Weise als vorletzte in eins der Beiden komme, müssen wir uns in unseren jeweiligen Feldern aufstellen. Mit einem erneuten unnötigen jedoch lauten Pfiff wirft unser Lehrer die ersten Bälle in die Menge. Prompt sind die ersten paar Schüler draußen. Natürlich spielen wir nicht mit normalen Softbällen wie man es eigentlich machen würde, sondern mit Handbällen, aus denen teilweise schon die Luft entwichen ist. Euer Lehrer gehört in eine Nervenklinik. Meine Rede.

Bevor ich ausweichen geschweige denn meine Arme nach oben nehmen kann, werde ich abgeworfen. Jedoch nicht einfach an der Schulter oder so, sondern genau in meine Magengrube. So hart, dass mir die Luft zum Atmen wegbleibt. Automatisch halte ich meine Unterarme vor meinen Bauch und krümme mich zusammen. Als mich ein weiterer Ball in der Magengegend trifft, sinke ich in mich zusammen und lasse mich einfach auf meine Seite fallen. Was sollen denn jetzt die Leute von dir denken? Das ist mir in diesem Moment sowas von egal. Mein Blick fällt auf die Seite des gegnerischen Teams und meine Augen treffen sofort auf die des Werfers. Der Inhalt in meinem Magen dreht sich um, als ich den abwertenden, fast verächtlichen, Gesichtsausdruck des schwarzhaarigen Jungen wahrnehme. Er hatte es also mit vollkommender Absicht getan. Obwohl ich diesen Menschen eben auf dem Flur das erste Mal in unserer Schule gesehen habe, kommt er mir so unendlich bekannt vor. Zeitgleich mit dem Geräusch der Pfeife, tönt die schadenfrohe Stimme des Schwarzhaarigen zu mir hinüber, "Das tut mir aber leid, Joyce." Den 'sz'-Laut in meinem Namen lässt er zischend in seinem Mund ausklingen. Woher  hat diese Schlange deinen Namen? Darum kann ich mich gerade nicht kümmern, da ich alle Hände voll damit zutun habe, meine Übelkeit hinunter zu schlucken. Zoey, Jonas und sogar Luca stürmen herbei und lassen sich neben mir auf den Boden nieder. Alle drei schauen mich fürsorglich an und wollen wissen, ob sie mir helfen können, während ich einfach nur das Gefühl habe, dass der White Cake von gestern Abend gleich neben mir auf dem Turnhallenboden landet.

"Wärt ihr bereit euch wieder dem Spiel zu widmen, nachdem ihr den strebenden Schwan vom Spielfeld entfernt habt?", erkundigt sich unser Sportlehrer. "Depp!", zischt Zoey. Gleichzeitig schnauben die Jungs auf. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, packt mich Jonas von links und Luca von rechts um meine Hüfte und geleiten mich an den Spielfeldrand. Zoey wirft mir einen mitleidigen Blick zu, bevor sie sich wieder auf ihre alte Position begibt, da unser Lehrer sie mit Adleraugen beobachtet. "Das wird hoffentlich schon wieder", seufzt der Braunhaarige. Sanft knufft er mir mit seinem gekrümmten Zeigefinger gegen meine Wange. Dann läuft auch er zurück zu den anderen Schülern. Als wäre es selbstverständlich lässt sich Luca neben mir auf der Bank nieder. Vorsichtig taste ich meinen Bauch ab. Das gibt sicherlich einen blauen Fleck. "Mein T-Shirt steht dir übrigens hervorragend", zwinkert mir der Blondhaarige zu. Verlegen lache ich auf. Doch bevor ich mich Luca zuwenden kann, kehrt die Übelkeit so stark zurück, dass ich ohne Nachzudenken aufspringe und aus der Halle laufe.

Draußen an der frischen Luft versuche ich mit aller Kraft meinen Brechreiz zu unterdrücken. Joy, atme! Du musst atmen. Ein und aus. Mit zittrigen Armen stütze ich mich an der Mauer des Schulgebäudes ab. Hätte ich dort eine Sekunde länger alleine gestanden, wäre ich wieder auf meine Knie gesunken. "Joyce!", behutsam zieht mich Luca wieder auf meine Beine. Innerhalb weniger Schritte gelangen wir zur nahgelegenen Tischtennisplatte, auf die ich mich erschöpft niederlasse. Als er seinen aufmerksamen Blick über mich schweifen lässt, überkommt mich ein beschämendes Gefühl. "Ich komme mir so erbärmlich vor", flüstere ich, "so schwach und unselbstständig. Ich bin nicht schwach, Luca." In meinen Augen bilden sich Tränen, die ich krampfhaft versuche zurück zuhalten. Unentschlossen hebe ich meinen Blick, der zuvor auf seinen sauberen Turnschuhen geruht hat. Langsam hebt der Blondhaarige seine Hand, während er näher an mich herantritt. Jetzt steht er zwischen meinen Beinen und wischt mit seinem Daumen behutsam über meine Wange. Sein rücksichtsvolles Handeln verleitet mich dazu, die Tränen fließen zulassen. Vorsichtig vergräbt Luca seine linke Hand in meinen Haaren und zieht mich an seine Brust. Still lasse ich einzelne Tränen an meiner Wange herunterlaufen, bis sie auf sein T-Shirt treffen. "Sobald Theo mir über den Weg läuft kann er was erleben", murmelt er in meine Haare. Meine Mundwinkel heben sich ein klein wenig bei dem Gedanken, dass sich Luca für mich gegen Andere stellen würde. Sachte löse ich mich ein Stück von ihm und wische hektisch die Tränen von meinem Gesicht. "Ich bin nicht schwach", wiederhole ich flüsternd und versuche Lucas Blick standzuhalten. "Ich weiß, Joy. Ich weiß", flüstert er eben so leise wie ich, bevor er sich zu mir hinunterbeugt.

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Puh, fertig mit den Nerven. Zwei so schwierige Kapitel an einem Tag. Leo, hoffe der Cut ist fies genug, haha ;)

I hope you enjoyed it <3

Konnte mich nicht entscheiden, welches Lied ich an das Kapitel anhängen sollte. Habe jetzt eins von vielen die ich während des Schreibens gehört habe genommen...

Distract me with your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt