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Meine Augenlider waren schwer, als wären sie aus Stein und doch spürte ich, wie mein Unterbewusstsein mich drängte, sie zu öffnen. Der Impuls war unüberhörbar: Sieh nach ihm.
Liam war die ganze Nacht bei mir gewesen und obwohl mein Körper nach Ruhe schrie, kämpfte etwas in mir gegen das Vergessen des Geschehens.

Schließlich öffnete ich die Augen. Er lag immer noch neben mir. Seine ruhige Atmung erfüllte den Raum mit einem leisen, gleichmäßigen Rhythmus. Es war, als hielte die Zeit ihn fest, in diesem Moment der Stille, während in mir alles zu zerbrechen drohte. Ich hätte ihn ansehen sollen, ihn wirklich ansehen, doch ich konnte nicht. Eine unsichtbare Mauer hielt mich zurück. Es war die Schuld. Es war die Erinnerung an das, was er meinetwegen ertragen musste. Was ich angerichtet hatte.

Aber ich musste es tun. Ich musste wissen, wie es ihm ging, musste mir selbst beweisen, dass er in Ordnung war. Mit einem schweren Seufzen drehte ich meinen Kopf langsam zu ihm.
Mein Blick fiel auf ihn, und für einen Moment war ich erleichtert. Er schlief tief und fest. Es wirkte fast friedlich, zu friedlich, als wäre der Schlaf das Einzige, was ihn für kurze Zeit von der Wirklichkeit abschirmte.

Er war hier, bei mir, und doch fühlte es sich an, als wäre er meilenweit entfernt. Der Raum um uns herum war still. Es dauerte einen Moment, bis ich bemerkte, dass wir nicht in seinem Zimmer waren, sondern in meinem Gästezimmer. Die Möbel, der Geruch, das Licht, alles war vertraut. Und doch wirkte es fremd, als hätte jemand die Luft aus dem Raum gesogen. Ein kalter Hauch der Einsamkeit schwebte in der Stille, obwohl Liam direkt neben mir lag.

Ich setzte mich auf. Mein Blick wanderte ziellos umher, während die Erkenntnis in mir sickerte wie Gift. Liam lag hier, in dieser Ruhe, während ich mich in meinem eigenen Chaos verlor. Der Kloß in meinem Hals wurde größer, und schließlich spürte ich, wie die Tränen mir in die Augen schossen. Alles war zu viel. Seine Erschöpfung. Seine Nähe. Und die Tatsache, dass er mich von meiner Familie fernhielt. Ein Teil von mir wollte schreien, wollte alles herauslassen, doch der andere Teil... der andere Teil konnte nur schweigen.

Liams Atem war das einzige, was mich noch in diesem Moment hielt. Ich sah zu ihm hinüber, während die Tränen lautlos über meine Wangen liefen.

Die Gurke vor mir auf dem Schneidebrett hatte keine Ahnung, was ihr gleich widerfahren würde. Mit konzentriertem Blick und dem Messer in der Hand bemühte ich mich, sie in einigermaßen gerade Scheiben zu zerteilen. Währenddessen lehnte mein Handy gegen die Wand, auf dem Bildschirm Maria, die in ihrer eigenen Küche stand und fleißig an ihrem Essen werkelte.

»Nein, ihm geht's besser. Das Ganze ist schon ein paar Wochen her« sagte ich und schob eine der Gurkenscheiben zur Seite. Eigentlich waren es ziemlich genau drei Wochen, aber wer rechnet bei sowas schon mit ?

»Habt ihr nochmal darüber geredet ?« fragte Maria, während sie Nudeln aus einem Topf fischte.

Ich nickte und wischte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ja«

»Worüber habt ihr gesprochen ?« Natürlich ließ sie nicht locker.

Ich zuckte mit den Schultern und entschied mich, das Thema zu wechseln. »Was kochst du eigentlich ?«

»Nudeln mit Soße«

Natürlich. Nudeln mit Soße. Hätte ich auch machen können, aber nein, hier stand ich mit einer Gurke. Super Entscheidung.

»Worüber habt ihr gesprochen ?« wiederholte sie unnachgiebig und brachte das Gespräch zurück auf das Thema, das ich verzweifelt zu umgehen versuchte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 20, 2024 ⏰

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