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Stille. Dunkelheit. Meine Augenlider fühlen sich tonnenschwer an und es dauert eine ganze Weile bis ich die Augen öffnen kann. Es ist hell. Nicht zu hell, aber so hell, dass ich blinzeln muss, bevor ich klar sehe. Die Sonne scheint und im Zimmer ist es warm. Ich nehme war, dass die Wand weiß gestrichen ist, dass ein kleiner Tisch mit einer Plastikblume an der Wand gegenüber von meinem Bett steht und dass das Bett neben mir frei und mit einer Folie bedeckt ist.

Sofort erinnere ich mich wieder an den Unfall. Sams Worte bevor ich bewusstlos geworden sind hallen in meinem Kopf wieder. "Es tut mir so leid, Chloé." Wo ist Sam? Geht es ihm gut?

Ich setze mich schnell auf; zu schnell, denn im nächsten Moment verspüre ich starke Schmerzen in meiner Seite. Ich stöhne auf , schnalle nach Luft und kneife die Augen zusammen.

"Nicht so schnell.", sagt eine sanfte Stimme und drückt mich wieder auf das Bett zurück. Ich öffne die Augen und entspanne mich wieder, als die Schmerzen wieder abnehmen.

"Sam?"

"Ja.", antwortet er und zeigt mir seine Hand. Erleichtert stelle ich fest, dass auf seiner Hand kein Tattoo ist.

"Wie lange habe ich geschlafen?", frage ich. Mein Körper fühlt sich total erschöpft an und jede kleine Bewegung tut weh.

"Sie haben dir starke Schmerzmittel gegeben. Der Unfall war gestern Abend und jetzt ist es Mittag. Etwas mehr als eine Nacht. Viel verpasst hast du aber nicht."

Ich nicke und Sam beschließt einen Arzt zu suchen. Ich sehe in der Zeit aus dem Fenster.

Immer wieder spielen sich die Szenen von gestern vor mir ab.

"Sam, pass auf!"

"Dieser Bastard!"

"Es tut mir so leid, Chloé."

"Ah, Sie sind wach. Wie fühlen sie sich?"

Ich schrecke auf. Vor mir steht ein älterer Mann in weißem Kittel und lächelt mich an.

"Müde.", antworte ich, weil mir nichts anderes einfällt.

"Okay sie haben ein paar blaue Flecken, Prellungen, eine Quetschung. Also nichts schlimmes. Ich würde Sie gerne bis mindestens übermorgen hier behalten und dann sehen wir weiter. Eine Schwester wird dann gleich den Tropf entfernen. Haben Sie sonst noch Fragen?"

Ich schüttle den Kopf und sehe zur Seite. Der Tropf, dessen Schlauch in meiner Hand endet, war mir noch gar nicht aufgefallen. Der Arzt verlässt das Zimmer und wenig später kommt eine Schwester, die mich von dem Schlauch erlöst. Ich bin so müde, dass meine Augen fast von alleine zu fallen.

"Was ist mit Samuel?", frage ich leise.

"Mach dir darüber jetzt keine Gedanken. Schlaf erstmal etwas."

Tatsächlich kann ich noch etwas schlafen und wache erst am Abend wieder auf. Sam sitzt immer noch neben mir. Ich versuche noch einmal mich aufzusetzen, diesmal aber langsamer. Der Schmerz ist weniger schlimm, aber es ist trotzdem anstrengend.

"Kannst du mir helfen?", frage ich Sam und sofort legt er eine Hand an meinen Rücken und drückt mich leicht nach oben. Als ich einigermaßen sitze, hält er die Hand weiter dort und bedient die Fernbedienung, sodass der obere Teil des Bettes sich an meine Position anpasst.

"Danke."

Es klopft und eine Schwester öffnet die Tür. Sie trägt ein Tablett und stellt es auf dem Tisch neben meinem Bett ab.

"Sie sind sicher hungrig. Die Besucherzeit ist bald vorbei. Sie sollten sich langsam auf den Weg machen.", sagt sie und lächelt mich an.

So schnell wie sie gekommen war, war sie auch wieder gegangen. Nun waren nur Sam und ich im Raum.

"Keine Sorge, ich werde nicht gehen.", sagt er und hebt das Tablett auf meinen Schoß. Das Essen besteht aus einer Suppe und zwei Stücken Baguette. Ich esse so viel wie ich kann, aber wirklich Hunger habe ich nicht.

"Warum können wir nicht einfach zur Polizei gehen und dann kann ich mein normales Leben weiterleben?", frage ich und spiele mit der Suppe rum.

"Du darfst nicht vergessen, dass ich auch jemanden umgebracht habe. Das wäre das, was Samuel erreichen will. Wir sind ihm quasi ausgeliefert."

Dann herrscht Stille und ich versuche etwas von der Suppe zu essen. Sie schmeckt nicht gut, aber es ist besser als gar nichts. Trotzdem habe ich nach kurzer Zeit schon keinen Hunger mehr.

"Sam? Was ist mit meiner Mutter? Samuel wird mich dort suchen.", sage ich leise und muss automatisch an meine Abreise denken.

"Noch nicht. Wenn er erfährt, dass du den Unfall überlebt hast, wird er sich auf den Weg machen."

"Und wenn er nicht erfährt, dass ich.. Dass ich noch lebe?"

"Er wird es spätestens dann erfahren, wenn deine Mutter eine Vermisstenanzeige aufgibt.", erklärt Sam und stellt das Tablett wieder weg, als er merkt, dass ich nicht mehr essen möchte. Ich lehne mich vorsichtig zurück und spiele nachdenklich mit meinen Fingern.

"Und.. Was ist wenn meine Mutter auch denkt dass.. Dass ich den Unfall nicht überlebt habe?"

Es fällt mir schwer diese Worte zu sagen. Ich würde alles dafür tun meine Mutter und Kate zu schützen. Und wenn ich sie und auch mich dafür verletzen müsste, würde ich das in Kauf nehmen. Samuel und seine Leute dürfen nicht in die Nähe meiner Familie kommen. Ich weiß nicht, ob ich zu diesem Schritt, meinen Tod vorzugeben, bereit bin, aber der Gedanke daran, wie Samuel meiner Mutter etwas antut ist schlimmer als der, meine Mutter nicht mehr sehen zu dürfen.

"Bist du dir sicher, dass du das tun willst?", fragt Sam und sieht mich mit weichen Gesichtszügen an.

"Ja."

Meine Schwester, die spielt' an der Linde -
Stille Zeit, wie so weit, so weit!
Da spielten so schöne Kinder
Mit ihr in der Einsamkeit.

Von ihren Locken verhangen
Schlief sie und lachte im Traum,
Und die schönen Kinder sangen
Die ganze Nacht unterm Baum.

Die ganze Nacht hat gelogen,
Sie hat mich so falsch gegrüßt,
Die Engel sind fortgeflogen,
Und Haus und Garten stehn wüst.

Es zittert die alte Linde
Und klaget der Wind so schwer,
Das macht, das macht die Sünde -
Ich wollt, ich läg im Meer!

Die Sonne ist untergegangen
Und der Mond im tiefen Meer,
Es dunkelt schon über dem Lande,
Gute Nacht! seh dich nimmermehr!

DoppelgängerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt