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In Tim's Auto fahren wir zu einem Italiener, der nicht weit vom Supermarkt entfernt ist. Er hält auf dem Parkplatz, stellt die Musik aus und schnallt sich ab. Ich hadere etwas mit dem Gurt, sodass Tim mir, als ich die Tür gerade öffnen will, zuvorkommt.

"Gewöhn dich dran. Man hält Mädchen die Tür auf.", erklärt er, als ich gerade protestieren will.

Schweigend steige ich aus und gehe neben Tim her. Er hält mir die Türe des Restaurants auf und kümmert sich dann um einen Tisch. Wir setzen uns an einen Tisch in der Ecke des Restaurants, sodass wir ungestört sind. Ein Kellner reicht uns die Speisekarten, die ich kurz überfliege.

"Was nimmst du?", frage ich, weil ich mich nicht entscheiden kann.

"Ich weiß nicht. Was nimmst du?"

"Ich glaube ich nehme Spaghetti Carbonara.", verkünde ich und lege die Karte zur Seite.

Tim bestellt für uns beide. Er selbst nimmt eine Pizza. Es dauert nicht lange bis das Essen kommt und als die dampfenden Nudeln vor mir stehen bemerke ich, dass ich wirklich Hunger habe. Während des Essens reden wir nicht viel.

"Hast du eigentlich immer so früh Feierabend?", frage ich, um dem peinlichen schweigen ein Ende zu setzen.

"Ja, ich habe den gleichen Job wie du. Nachmittags beschäftige ich mich meistens mit der Uni. Heute aber nicht.", erklärt er und schenkt mir zum Ende hin ein Lächeln.

"Oh, wenn du noch was für die Uni tun willst kann ich das verstehen. Du musst nicht meinetwegen hier bleiben."

"Ach Quatsch. Dafür habe ich später noch Zeit und außerdem habe ich mich in den letzten Tagen schon mit der Uni beschäftigt. Mach dir keine Sorgen."

"Okay.. Was studierst du denn?", frage ich neugierig und esse weiter.

"Medizin.", antwortet er und schneidet sich ein Stück seiner Pizza ab.

"Wow, das ist doch sicher total schwer oder?"

"Es ist nicht gerade leicht aber ich möchte Menschen helfen."

"Das ist beeindruckend", gestehe ich.

"Was ist mit dir? Was machst du noch so?", fragt er interessiert.

Ich lasse meine Gabel auf meinen Teller sinken. Der Appetit war mir vergangen, denn wir sind schon wieder in meiner Vergangenheit und ich weiß ehrlich gesagt nicht wie ich auf diese Frage antworten soll.

"Ich weiß nicht.. Früher wollte ich Model werden, weil meine Mutter Model war. Und dann bin ich zur Fashionweek nach Stockholm gefahren. Seitdem war ich nicht mehr Zuhause.", sage ich leise.

"Du wärst sicher ein gutes Model. Wieso warst du nicht mehr Zuhause?" Nach einem kurzen Schweigen, in dem ich mir eine Antwort überlege, fügt er hinzu: "Du musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht möchtest."

"Nein, schon okay. Ich weiß nicht, Hamburg war einfach nicht mehr mein Ding. Ich brauchte Veränderung und bin erstmal etwas durch Europa gereist. Stockholm, Marseille, dann Stuttgart. Und hier bin ich geblieben.", erkläre ich.

"Bist du hier glücklich?", fragt Tim und legt sein Besteck ebenfalls weg.

"Ja. Ja, hier bin ich glücklich.", antworte ich ehrlich und lächle ihn an. Er erwidert mein Lächeln.

"Vielleicht solltest du deine Mutter mal anrufen.", schlägt Tim vor.

"Vielleicht." Er weiß ja nicht, dass meine Mutter denkt, dass ich nicht mehr lebe.

"Läufst du eigentlich jeden Tag zur Arbeit?"

Endlich ein Wechsel des Themas. Wenn auch ein komischer. Ich nicke und nehme einen Schluck Wasser.

"Wie wäre es, wenn ich dich abholen komme?"

"Nein, das würde dir doch nur Umstände machen. Ich komme schon klar."

"Das macht mir keine Umstände. Die Fahrt wäre dann nicht so trostlos und langweilig. Ich rede gerne mit dir, Chloé.", sagt er und an seinen Augen sehe ich, dass er es ernst meint.

"Wenn du unbedingt willst.", gebe ich dann nach und Tim lächelt mich zufrieden an.

"Du hast gesagt, dass du deine Mutter lange nicht mehr gesehen hast.. Bei wem wohnst du denn dann? Du bist doch minderjährig oder?"

"Ich bin bei einem guten Freund von mir untergekommen. Und ich werde übrigens nächsten Monat achtzehn."

"Oh okay. Dann bist du immerhin nicht alleine. Bist du fertig?"

Ich nicke und Tim winkt einen Kellner zu uns. Ich will gerade mein Portemonnaie zücken, doch Tim hält mich zurück und bezahlt für uns beide.

"Das war nicht nötig, Tim. Ich kann für mich bezahlen.", sage ich.

"Ich habe dich aber eingeladen, weißt du noch?", erinnert er mich grinsend und hilft mir in meine Jacke.

"Nächstes Mal bezahle ich."

Im Auto gebe ich Tim meine Adresse.  Während der Fahrt hören wir laut Musik und singen mit. Das Armaturenbrett zeigt halb zwei an. Mit Tim vergeht die Zeit wie im Flug und die Tatsache, dass Sam sich wahrscheinlich Sorgen macht rückt in den Hintergrund. Die Zeit mit Tim in seinem kleinen Wagen zählt. Vor dem Haus hält er an.

"Ist das nicht das Haus von Sam Miles?", fragt er.

"Ja. Sam ist ein Freund von mir."

"Also nicht dass ich ein Fan bin aber es gibt doch sicher Millionen von Mädchen die total eifersüchtig auf dich sind, oder?", fragt er.

"Nicht wenn sie es nicht wissen."

"Keine Sorge. Dein Geheimnis ist bei mir sicher."

"Warte.", ergänzt er, als ich gerade aussteigen möchte. Schnell springt er aus dem Auto und öffnet mir die Tür.

"Mädchen öffnet man die Tür.", erinnert er mich.

"Sorry, das hab ich wohl vergessen.", antworte ich lachend und steige aus. Tim zieht mich in seine Arme und ich umarme ihn fest.

"Danke fürs mitnehmen.", flüstere ich und löse mich von ihm.

"Gerne. Ich hole dich morgen um zehn vor acht ab, okay?"

Ich nicke und umarme ihn nochmal schnell. Dann steigt er wieder in seinen Wagen, ich winke ihm kurz zum Abschied zu und gehe dann die Treppen zur Haustür hoch. Ich will gerade aufschließen, als die Tür von innen geöffnet wird und ein verärgerter Sam in mein Sichtfeld tritt.

Mein Leben scheint perfekt. Kein Samuel. Dafür Freunde und eine Familie. Sicherheit. Freiheit. Aber meistens überwiegt der Schein dem Sein und wir wollen uns selbst nicht gestehen, wie verkorkst wir eigentlich sind. Wie verloren man in seinen eigenen Gedanken ist. Keiner kann mich retten. Und wenn ich gerettet scheine, wird das nächste Tief kommen.

DoppelgängerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt