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In den letzten vier Wochen hatten Sam und ich versucht uns ein einigermaßen normales Leben aufzubauen. Ich traue mich wieder alleine vor die Tür und Sam macht wieder YouTube Videos, bei denen ich ihm oft helfen darf. Ich übernehme oft die Kamera oder helfe beim Schneiden. Außerdem können wir uns zusammen in der Öffentlichkeit blicken lassen, da die Presse und Sams Fans ja nie ein richtiges Bild von mir gesehen haben und ich mein Aussehen so verändert habe, dass es keinem mehr auffallen würde. Trotzdem vermeide ich es auf Bildern mit Sam aufzutauchen, da ich trotzdem noch Angst vor Samuel und seinen Anhängern habe.

Im Moment haben wir weder Informationen über Samuels Aufenthaltsort noch über seine weiteren Pläne. Wir haben seit dem Mord nichts mehr von ihm gehört. Auf der einen Seite ist das natürlich positiv aber auf der anderen Seite auch beängstigend, weil er überall sein könnte.

Als ich erfahren hatte, dass ich nicht schwanger bin, war mir ein Stein vom Herzen gefallen und auch Sam neben mir schien erleichtert. Ich war froh, nicht mehr darüber nachdenken zu müssen wie ich mit der Situation umgehen würde. Unserem neuen Leben schien also eigentlich nichts mehr im Wege zu stehen. Eigentlich..

"Chloé? Es gibt schlechte Neuigkeiten."

Sam setzt sich zu mir an den Küchentisch und ich klappe den Laptop zu.

"Es könnte sein, dass wir da ein kleines Detail vergessen haben.", sagt Sam und fährt sich durch die dichten schwarzen Haare.

"Und das wäre?", frage ich skeptisch und streiche mit den Fingerspitzen über das sternförmige Tattoo an meinem Handgelenk.

"Aus Samuels Sicht bin ich für deinen Tod verantwortlich und wie wir wissen rächt Samuel sich dafür, dass ihm etwas genommen wird. Und wir haben dein Aussehen verändert, meins aber nicht und ich stehe wieder in der Öffentlichkeit.."

"Worauf willst du hinaus Sam?"

"Ich glaube, dass Samuel schon lange weiß wo wir sind.", antwortet er und sieht zu mir hoch.

"Du meinst er stalkt uns? Und er weiß, dass ich lebe?"

"Ja, aber..", setzt Sam an, doch ich bin schon aufgesprungen und gehe wie eine Furie in der Küche auf und ab.

"Wir müssen sofort hier weg, Sam!"

"Nein, Chloé. Warte!" Auch Sam steht nun auf und hält meine Oberarme sanft  aber bestimmend fest.

"Worauf, Sam? Worauf? Soll ich darauf warten, dass er dich umbringt und mich wieder zu seiner Sklavin macht? Oder noch besser; Soll ich darauf warten, dass er uns beide umbringt?", fahre ich ihn an und versuche mich aus Sams Griff zu winden.

"Chloé, wir warten. Wir warten bis wir genaueres wissen. Hast du das verstanden?"

Zum ersten Mal erinnert mich die Art wie Sam mit mir spricht an Samuel. Die Art, wie er mich ansieht, sein angespannter Kiefer. Mein Blick fällt auf seine Hand. Sie zittert. Samuels Hand hat auch gezittert, kurz bevor er mich geschlagen hat. Aber seine Hand trägt kein Tattoo. Fassungslos sehe ich Sam an. Er kann nichts dafür aber die Erinnerung an die Zeit bevor Sam mich gerettet hat trifft mich schwer. Eine einzelne Träne rollt über meine Wange, als die Erinnerungen mich wieder einholen.

"Chloé..", flüstert Sam. Seine Stimme ist wieder weich und sein Griff lockert sich wieder. Ungewollt vermehren sich die Tränen, die aus meinen Augen fließen.

Diese Gelegenheit nutze ich um mich von Sam zu lösen und in unser Schlafzimmer zu gehen. Nachdem ich kurze Zeit auf dem Bett gesessen und mir die Seele aus dem Leib geweint habe, teils aus Enttäuschung, teils aus Angst, beschließe ich, dass eine Dusche mir gut tun würde.

Ich fühle mich wieder dreckig und benutzt. Ich betrachte meinen Körper im Spiegel. Jede Stelle, die er berührt hat fühlt sich falsch an. Ich fühle mich in meinem eigenen Körper schon wieder nicht wohl. Und das, obwohl das letzte sichtbare Zeichen von Samuels Tat das Tattoo an meinem Handgelenk ist. Nur das Tattoo an meiner Seite, die Feder, erinnert mich daran, wieso ich stark bleiben muss. Und nachdem ich mir diesen Grund wieder vor Augen geführt habe kann ich endlich aufhören zu weinen und in die Dusche steigen, um den ganzen durch Samuel verursachten Schmutz abzuwaschen und mich wieder wohl zu fühlen.

Tatsächlich geht es mir nach einer Dusche viel besser. Ich föhne meine Haare und stecke sie schnell zu einem Dutt zusammen. Erschöpft lasse ich mich auf dem Bett nieder und schließe die Augen, doch an Schlaf ist nicht zu denken.

"Chloé? Möchtest du etwas essen?", fragt Sam, der in der Tür steht. Er scheint sich nicht sicher zu sein wie er mit der Situation, wie er mit mir umgehen soll.

Ich schüttle nur den Kopf und starre weiter die Wand an. Der Gedanke von Samuel beobachtet zu werden macht mich fertig. Schritte kommen auf mich zu, dann senkt sich die Matratze unter mir. Sam streicht mir ein paar lose Strähnen aus dem Gesicht.

"Es tut mir leid.", murmelt er und seine Hand verweilt auf meiner Wange.

"Schon gut."

"Hast du Angst?"

Ich setze mich auf und sehe Sam in die Augen. Kurz denke ich darüber nach zu lügen, um Sam keine Sorgen zu bereiten, dann fällt mir allerdings ein, dass Sam die Antwort sowieso schon kennt, also nicke ich und senke den Blick. Sam nimmt mich in den Arm und ich lege meinen Kopf auf seiner Brust ab.

Sam und ich waren uns in den letzten vier Wochen etwas näher gekommen. Er war jetzt nicht mehr nur der Mann, der mir das Leben gerettet hatte und mich beschützt. Er war so etwas wie mein bester Freund.

"Ich beschütze dich."

Ich nicke und ziehe Sam noch dichter zu mir. Die Wärme, die von ihm ausgeht und sein vertrauter Geruch beweisen mir, dass ich bei Sam in Sicherheit bin.

Aber war ich wirklich in Sicherheit oder war das nur ein Wunschdenken meinerseits? Hatte Samuel nicht gesagt, dass er mich immer und überall finden würde? Wie konnte ich mich bloß ich Sicherheit wiegen, wenn dieser Mann noch frei da draußen rumläuft? Was war ich doch für ein naives Mädchen.. Ein naives, kleines Mädchen mit Hoffnung auf Sicherheit. Lächerlich.

DoppelgängerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt