43. Kapitel

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43.Kapitel






Über zwei Dutzend Gesichter scheinen mir entgegen zu sehen. Sie allewirken mehr oder weniger fertig, aber im Großen und Ganzenzufrieden.
Es sind nicht nur Erwachsene dort.
Ganz imGegenteil: Hier und da blickt mir ein Kindergesicht entgegen.
Indiesem Moment wird mir klar, dass Alfy mich nicht belogen hat.

Ich hatte also mit meinem Gefühl recht. Er scheint ein sehrehrlicher Mann zu sein.


Etwas unbeholfen stehe ich da, fühle mich ziemlich angestarrt.
Ich weiß nicht so recht, wo ich hinsehen soll.
Doch als ichein kleines, blondes Mädchen entdecke, weiß ich es. Sie rennt mitschnellen Schritten auf Alfy zu. Das mit anzusehen, bricht mirbeinahe das Herz. Ernsthaft.
Die Kleine mit dem abgemagertemGesicht springt in seine Arme. Voller Freude und Erleichterung. Schon vom Weiten sieht man, dass die beiden sich sehr ähnlich sind.


Ich richte meine gesamte Aufmerksamkeit auf diese Szenerie, biseine Frau mit fettigen und zerzausten Haaren mich davon ablenkt. Siekommt so dicht an mich heran, dass ich am liebsten zurückweichenwürde, aber das tue ich nicht.
"Bist du eine Munie?",fragt sie mich, die Augen misstrauisch zusammen gekniffen.
Ichschüttle den Kopf, sehe ihr ins verdreckte Gesicht.
"Nein.",antworte ich, obwohl ich ein komisches Gefühl bekomme, als ich eslaut ausspreche. Am liebsten würde ich losschreien und weinen.

"Ich bin nicht immun."

Die Frau nickt, scheint aber immer noch nicht wirklich überzeugt vonmir zu sein.
"Marie ist in Ordnung.", sagt Alfy, derseine Tochter auf dem Arm hat und näher an uns herankommt. Dasreicht, damit die Frau daraufhin zurückweicht. Na bitte, geht doch.

So ist es schon um einiges angenehmer.


Ich sehe mich um, wobei ich mich ein bisschen unwohl fühle, umehrlich zu sein. Gerade weil mich alle Anwesenden gerade zuanzustarren scheinen.
"Das ist normal.", erklärt derblonde Mann mir mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen. "Vorallem wenn hier jemand neu dazu kommt."
Ich nicke lediglichund versuche mir nichts anmerken zu lassen.
Um ganz ehrlich zusein, fühle ich mich in Alfys Anwesenheit schon viel wohler. Wohlnicht so einsam.


Immer noch ziemlich baff sehe ich mich in der Gegend um. Alfy, derauf mich ein bisschen wie der Anführer der ganzen Gruppe wirkt, gibtmir sowas wie eine kleine Führung.
Wobei es keine wirklich langeTour ist. Schließlich ist es hier auch nicht annähernd so riesig,wie zum Beispiel im Hauptquarier von Angst. Aber das wäre auchübertrieben.


Es sind noch mehr Menschen da, als ich auf dem ersten Blick gedachthabe. Leute im mittleren Alter, junge Leute, sogar welche, die inmeiner Altersklasse zu sein scheinen.
Das Gebäude stellt sichals sehr alte, eingefallene und nicht gerade große Lagerhalleheraus. In den Zeiten, in denen wir leben, könnte es nichts besseresgeben. Es ist für diese Verhältnisse wirklich gut. Meiner Meinungnach.
In der Mitte des Hauptraumes - es gibt auch sowas wie einBadezimmer - gibt es eine kleine Stelle, an der man offenbar Feuermachen kann.

Fast überall liegen Schlafdecken, bisschen abgeranzte Schlafsäckeund Kissen - solche Dinge eben, herum. Es riecht auch nicht soangenehm, wie man es sich wünscht, aber es ist wenigstenserträglich. Und es ist irgendwiefern schön, das ich hieraufgenommen werde. Einfach so.
Trotzdessen komme ich nicht drumherum irgendwie misstrauisch, mit komischem Gefühl, zu sein.
Irgendetwas tief in meinem Innern sagt mir, dass ich hier bleibenwerde.

Zumindest für eine Weile.


Den Tag über - als ich mich versuche einzugewöhnen - halte icherstmal ein wenig Abstand zu all den anderen. Bis ich am Abend vonAlfy zum Feuer gelotst werde.

Gleich nach dem ich mich niedergelassen habe, wird mir etwas zu essenangeboten.
Ich nehme einen Bissen.
Jetzt wo die ganzeAufregung so langsam verfliegt, melden sich die Schmerzen in meinemKörper wieder. Sie sind zu mindestens siebzig Prozent bessergeworden, aber trotzdem noch da.
Wie ich so da sitze, vor demFeuer, und in die heißen Flammen schaue, fühle ich mich als hätteich ein Déjá-vu. All das hier erinnert mich sehr stark an dieLichtung.

Es macht mich sofort irgendwie traurig. Ich versuche den Gedankendaran zu verdrängen, da es mich unglücklich stimmt. Sehr sogar.
Auch wenn ich es am liebsten aus meinem Gehirn löschen würde,vermisse ich die Jungs. Sie alle.



Ich zucke zusammen, als ich merke, dass jemand näher an mich herangerutscht ist. Ich sehe in das Gesicht eines dunkelhaarigen Jungens,der mich anlächelt. Wieso kann ich nicht genau sagen, aber er siehtin irgendeiner Art merkwürdig verrückt aus. Es liegt an seinenAugen, denke ich.

Etwas unsicher erwidere ich seinen Blick kurz, ehe ich ihn abwendeund den Jungen neben mir nicht weiter beachte.


Schweigend und mich möglichst normal benehmend und anpassend,lausche ich den Gesprächen der Anderen. Es überrascht mich völlig,das sie quasi eine Gemeinschaft sind. Stark und sogar irgendwieglücklich. Sie reden ganz normal miteinander.

Bei ihnen scheint Der Brand wohl noch im Anfangsstadium zu sein.
"Ein paar Andere und ich sind oft auf der Suche nach Leuten,die noch nicht völlig über den Berg sind. So können wir unsumeinander kümmern und zusammen schließen.
Allein ist manschwach, einsam. Aber mit anderen hinter sich kann man sich gut undsicher fühlen." Fast hätte ich gelächelt. Denn er hat recht.


Doch umso trauriger ist es, dass ich so etwas nie hatte.
Ichhatte immer nur Chuck und Gally. Sonst niemanden. An meine Elternkann ich mich nicht wirklich erinnern. Und die Jungs auf der Lichtungsind wohl das, was einer Familie am nächsten kam. Zu schade, dasssie alle denken, ich wäre tot, wahrscheinlich schon mit mirabgeschlossen haben. Vermutlich beginnen sie zu vergessen.
Ichbeiße die Zähne zusammen und verspüre unendlichen Hass bei demGedanken daran. Ich will nicht an die Vergangenheit denken. Umehrlich zu sein, will ich an überhaupt nichts mehr denken.


Ich frage mich, was mit den Leuten passiert, die allmählich verrücktwerden. Aber ich stelle sie nicht laut. Alfy schenkt mir ein sanftesschon fast väterliches Lächeln und greift nach meiner Hand, die erdrückt.

"Du gehörst jetzt zu uns. Du kannst dich ruhig gut fühlen,weil wir auf dich aufpassen werden." Nickend sehe ich ihn an,lasse diesmal sogar ein Lächeln durchgehen.

Auch wenn ich mich sonderlich gut fühle - das hat nichts mitdiesem Ort zu tun, er ist nämlich toll - bin ich momentan rechtzufrieden.
Endlich wieder.
Seit einer halben Ewigkeit.





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