Kapitel 15 - Erwachen

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Ein Krater.
Unter meinen Füßen war ein Krater entstanden, welcher etwa ein Durchmesser von drei Metern hatte. Das Zelt hinter mir war zerfallen. Einige gebrochene Schüssel lagen auf dem Boden. Auch Eimer und andere Kleinigkeiten hatten sich breit gemacht. Einerseits trafen mich schockierte Blicke, anderseits Ängstliche. Einige der Wölfe trauten ihren Augen nicht, doch dass was sie sahen war genauso Real wie ich selbst es war. Ich schluckte schwer, doch meine Zähne hielten mich davon ab, meinen Mund gänzlich zu schließen. Es war ein neues Gefühl für mich, doch wichtiger war der Hunger, den ich verspürte. 
Das kranke Verlangen nach Blut. 
Die, die genug Abstand zu mir eingehalten hatten, waren nicht verletzt. Anders als zum Beispiel Jack, welcher hochkant gegen das nächste Zelt geschleudert wurde und im ganzen Krempel zum liegen gekommen war. Meine Augen glühten ohne Mitgefühl. Stilles Schweigen breitete sich unter der gesamten Menge aus, während ich selbst inne hielt. Regungslos lag Jack dort. Milie rief seinen Namen. Sie rief ihn erst fragend, dann erschrocken und schließlich Intensiv. Blut lief über das weiße Leder und bedeckte den grünen Rasen. Es roch nach Metal. Nach verführerischem Blut, welches mich wie einen Zombie anlockte. Meine Schnelligkeit konnte ich nicht mehr einschätzen. Ich war in wenigen Sekunden direkt vor ihm und blickte in das Loch, in dem er lag. 
Seine Augen starrten ermüdet zu mir herüber. Seine Arme waren am Trizeps und unterarm durch Scherben aufgeschnitten, während auch seine Hose und damit die Beine daran gelitten hatten. Auffälliger war der Holzpfahl, der eigentlich als Stütze des Zeltes diente.
Ich weitete die Augen.

Was hatte ich getan?
Was hatte ich ihm angetan?
Seinen Magen mit dem Holzpfahl durchbohrt...

Seine blauen Augen sahen mir entgegen, als wäre er erfüllt mit trauer. Als wäre er Enttäuscht von meinem handeln. Ich blickte in diese endlos tiefen Augen und versuchte meine Kontrolle wieder zu bekommen.
Vergebens.
Der Vampir in mir ergriff überhand und brachte mich dazu, mich hintern zu beugen und direkt in seinen Hals zu beißen. Er zuckte nicht einmal. Nein, er wich nicht davon und machte keinen Mucks. Er hatte seine gesamte Hoffnung auf das Leben verloren. 
Aus seinem Mundwinkel lief warmes, verführerisches Blut. Er sah mich nicht mehr an, sondern wandte seinen Blick hinauf zum klaren Himmel. Mir rangen Tränen über die Wangen, dennoch konnte ich nicht aufhören sein süßes Blut zu trinken und mich damit zu ernähren. Ich fühlte mich unglaublich schrecklich, doch dass Ding, was jetzt führte, war ich nicht. Ich war nicht dieses kaltblütige Monster, dass ihn ansah wie ein niederes Wesen. 
>>MARIE! DAS REICHT!<<, dröhnte die Stimme der eisigen Königin in meinen Kopf. Ich spürte, wie etwas nach mir griff und mich von ihm wegdrücken wollte, doch wie eine Zecke ließ ich seinen Hals nicht los. Ich zwang mich dazu, los zulassen, ich zwang mich dazu, gehorsam zu leisten. 
Hör auf.
Er stirbt.
Nicht jetzt.
Tu das nicht!
Marie!
DAS BIST NICHT DU!

Ich löste mich ruckartig, kroch zurück, zwang mich auf die Beine und stolperte schnell zurück. Auf normalem Erdenboden fiel ich mit dem Hintern voran und sah entsetzt zu dem Geschehen. Überall war Blut. Überall, wohin das Auge reichte. 
Ich verzog das Gesicht. 
Erstens durch Erwiderung und zweitens durch die unglaubliche Trauer, die sich in mir breit machte. Die Wölfe wichen entsetzt von mir. Ich hörte sie flüstern. Ich hörte, wie sich ihr Hass gegenüber mir vergrößert hatte. Nun aber erblickte ich andere Tränen. Tränen der unglaublichen Schönheit. Wie kleine Schneeflocken, rangen sie leuchtend über die Wangen der Meisterin und berührten den Boden. Sie war verärgert, doch gleichzeitig gab sie sich selbst die Schuld. Man sah es in ihrem Blick. Milie währenddessen kümmerte sich bereits um Jack. Sie riss den Holzpfahl aus seinem Körper und rief mehrmals seinen Namen. Ich hörte alles nur noch gedämpft und sah es verschwommen.
Mein gesamter Leib zitterte. 
Ich wollte mich Entschuldigen. Ich wollte auf die Knie gehen und um Gnade flehen, doch mein Körper gehorchte mir nicht.
Meine Hände waren mit dem Blut des Wolfes beschmiert. Auch mein Kinn war voll damit.
Ich hatte versagt.
Ich wollte sterben und nie wieder aufstehen. Weder als Untote, noch als irgend etwas anderes. 
Mein Kopf schüttelte sich schon fast von selbst. Ich wich immer weiter zurück und spürte, wie der Hass der Wölfe nun schon so groß wurde, dass deren Mordlust sich erstaunlich schnell erhob. Viele von ihnen sahen nun empört oder verärgert zu mir. Manche wurden bereits zu Wölfen und bewegten sich knurrend auf mich zu.
>>Du hast unseren Nachfolger getötet. Du hast ihren ersten Sohn getötet.<<
>>Mörderin.<<
>>Du rottest unseren Stamm aus.<<
>>Wir werden dich töten.<<

Ich schluckte. 
Ja, ich war eine Mörderin. Ich hatte nie jemanden getötet, doch für alles schien es ein Erstes Mal zu geben. Ich hatte Angst und gerade das Ding in mir schien im Gegensatz zu mir nicht sterben zu wollen. ich erhob mich auf meine Beine und weinte tragisch. Dennoch trugen sie mich unglaublich schnell aus dem Ort, rein in die tiefe Wildnis des Waldes. Gefolgt, von einem Rudel wütender, knurrender Wölfe. Sie jaulten und riefen dadurch auch noch Verstärkung. 

Wenn jetzt kein Wunder passieren würde, war ich geliefert. 

Doch das war besser, als mit dem Gedanken zu Leben, jemanden umgebracht zu haben.
Jack.
Wieso schmerzte mein Herz so sehr? 


Guilty - Two SidesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt