11. Kapitel: Von alten Damen und Raum 305

183 9 2
                                    


Als glücklichsten Menschen der Welt hätte ich mich gestern definitiv bezeichnet. Es war so unglaublich und atemberaubend gewesen, mit einem seiner Liebsten einfach durch den Regen zu tanzen. Die ganze Zeit hatte ein Lächeln auf meinen Lippen gelegen und meine Augen hatten gefunkelt, wie die Sterne hinter den Wolken.

Doch jetzt saß hier, in einer Wohnung voller Schlafender. Es war ungefähr fünf Uhr in der Früh. Um halb fünf war ich aufgewacht. Ich war zum Briefkasten gegangen und hatte den Brief heraus genommen, der jetzt in meiner Hand lag. Es waren die Ergebnisse der beiden Proben im Krankenhaus. Ich konnte mir nicht erklären, warum, aber ich hatte Angst. Angst, den Brief zu lesen. Und Angst davor, dass ihn jemand anderes lesen könnte.

„Komm schon, Lena. Was soll denn schon sein? Dir geht's doch super!", ich stritt mich mit meinem eigenen Gehirn. Es war Kopf gegen Bauch. Mit zitternden Fingern nahm ich den Brieföffner und öffnete den Brief. Langsam zog ich das gefaltete Blatt heraus. Es roch nach Krankenhaus. Meine Zähne klapperten, als ich das Papier entfaltete und las.

-------------------------------------------------------------------

Sorgfältig legte ich das Blatt wieder zusammen und schob es in den Couvert. Wie in Trance starrte ich durch mein Fenster gegenüber in den dunklen Himmel. Nein. Nein. Nein! Das musste eine Verwechslung sein! Ich konnte doch nicht... Und was...? Das konnte nicht wahr sein! Das durfte es nicht! Fuck! Was sollte ich denn jetzt machen?!

„Bitte melden Sie sich so schnell wie möglich wieder in der Klinik für einen Termin zur Beratung etc. Dr. Maxim Parker, Ihr behandelnder Arzt."

Sollte ich mich melden? Wieder stritt sich mein Kopf mit meinem Bauch. Ich könnte mich auch einfach in meinem Bett verstecken. Ich könnte weglaufen. Dann wäre ich die Einzige mit einem gebrochenen Herzen. Spinnst du?! Was ist denn mit dir kaputt?! Natürlich gehst du zum Arzt. Ich ließ meinen Kopf in meine Hände sinken.

---------------------------------------------------------

Mittlerweile war es halb acht. Ich hatte mir ein Taxi gerufen, um zur Klinik zu fahren. Damit die Anderen sich keine Sorgen machten, hatte ich einen Zettel an den Kühlschrank gehängt. Irgendetwas von Dingen erledigen und einkaufen hatte ich gekritzelt. Zur Sicherheit hatte ich auch den Brief mitgenommen.

Der Wagen hielt auf dem Parkplatz vor dem riesigen Komplex. Ich stieg aus, bezahlte und ging dann ins Gebäude. Hinter der Rezeption lächelte mir eine ältere Frau entgegen.

„Guten Tag Schätzchen. Was kann ich für dich tun?", fragte sie.

Ich freute mich, dass es doch noch jemanden gab, der mich duzte.

„Ich bin hier, da ich mich bei Dr. Parker melden soll."

„Wie heißt du denn?"

„Lena Krüger"

Sie tippte etwas in ihren Computer. Dann bedachte sich mich mit einem nicht eindeutigen Blick.

„Linker Gang, Raum 305. Er erwartet sie bereits." Sie nickte mir noch wissend zu.

Etas verwundert drehte ich mich um, und ging den linken Gang entlang. Bei Raum 305 klopfte ich dann. Dr. Parker öffnete. Er streckte mir seine Hand entgegen.

„Guten Tag ,Frau Krüger. Kommen Sie doch herein."

Ich ging in den Raum und setzte mich auf einen der beiden Stühle im Zimmer.

„Wie geht es Ihnen?", fragte der Arzt.

„Den Umständen entsprechend. Können Sie mir genaueres über die Ergebnisse der Proben sagen? Was ist mit mir?"

„Also. Es ist schwierig, dass verständlich ausdrücken, aber ich werde mein Bestes geben. Wir haben Ihre beiden Proben im Labor untersuchen lassen. Gestern kamen die Ergebnisse, welche wir natürlich auch an Sie weitergeleitet haben. In Ihrer Urinprobe wurde nichts erkannt, in der Blutprobe sah das aber anders aus. Wir haben bei Ihnen eine Krankheit festgestellt. Es handelt sich hierbei um Pankreaskarzinom. Das heißt nichts anderes als Bauchspeicheldrüsenkrebs. Es ist eine äußerst seltene Krankheit. Nur 16 von 100.000 Menschen erkranken jährlich daran. Meistens wird der Bauchspeicheldrüsenkrebs zu spät entdeckt, wenn der Krebs schon gestreut und sich in anderen Organen verbreitet hat. So ist es auch bei Ihnen. Eine Operation kommt nur bei 10 bis 20% der Patienten infrage. Bei Ihnen geht das nicht mehr, da das umliegende Gewebe schon vom Krebs befallen ist. Eine Heilung ist daher ausschließbar."

Ich starrte den Arzt an, als hätte er mir grade erklärt, ich wäre ein Alien. Die ganze Zeit waren durch meinen Kopf die Sorgen und Gedanken gewuselt, doch ganz plötzlich war er leer.

„Atmen Sie tief durch. Sie dürfen erst einmal nach Hause gehen. Bitte essen Sie nur, was Sie gut vertagen, bzw. leicht verdauliches.


23.12.2015



Fade away (Berliner Cluster)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt