57. Von fehlender Kraft

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11. April 07:41

Ich beobachtete vom Bett aus den Sonnenaufgang durch das Fenster hindurch. Rosafarbene Wolken zogen über den orange-roten Himmel, der alles in wunderschönes Licht tauchte. Ein Lächeln schlich sich über mein Gesicht. Das Fester war gekippt und die kalte Frühlingsluft ließ mich frieren, doch ich hatte nicht die Kraft um aufzustehen und es zu schließen. Ich sah hinab auf meine Hände, die reglos in meinem Schoß lagen. Schneeweiße Haut und dünne, knochige Finger. Ich wusste was mit mir passierte. Und es war okay für mich.


11. April 18:17

Max war da. Er hielt eine dampfende Schüssel in der einen, einen Löffel in der anderen Hand. Mit langsamer Bewegung nahm ich beides entgegen und tauchte den Löffel in die Suppe ein. Meine Hand zitterte so sehr, dass ich beinahe den Löffel fallen ließ.

„Warte", sagte Max sanft. „Ich helfe dir." Er nahm den Löffel wieder zu sich und begann, mich zu füttern. Ich kam mir dabei ziemlich bescheuert vor, widersetzte mich jedoch nicht. Die Wärme der Suppe tat unglaublich gut. Machte mich schläfrig und ließ mir schließlich die Augen zufallen.


12. April 01:26

Gänsehaut zog sich über mich. Mir war kalt. Ich hatte Angst.


12. April 21:53

Ich lauschte dem Regen, wie er gegen die Fensterscheibe prasselte. Es war so beruhigend. Trotz des ständigen Geräusches so leise. Begünstigte diese riesige in mir schlummernde Müdigkeit, die so unerklärlich über mir lag.


13. April 19:32

Mit besorgten Minen saßen Max und Flo auf der Bettkante. Fast einen Tag hatte ich durchgeschlafen und damit alle samt in Alarm versetzt. Meine Eltern waren in diesem Moment auf dem Weg nach Berlin, das wusste ich. Schwach hob ich die Hand und strich mir über den kahlen Kopf. Die Haarstoppeln unter meinen Fingerkuppen lösten ein seltsames Gefühl in mir aus.


14. April 11:02

Gedämpfte Stimmen drangen zu mir hindurch, mitten in meine Traumwelt. Es waren bekannte Stimmen, jedoch unverständlich und weit weg.


14. April 23:52

Meine Mutter hielt meine Hand, gab mir Wärme. Ich sah meine Eltern nicht, hörte sie nicht und wusste doch, dass sie da waren. Spürte ihre Anwesenheit. Wusste um ihre Sorge. Wie gerne ich einfach aufstehen würde, um meine Arme und sie zu schließen.


15. April 15:49

Ich schaffte es meine Augen wieder zu öffnen. Wie lange sie geschlossen gewesen waren, konnte ich nicht sagen. Auch nicht, wie viel Zeit seit meinem Ausflug in die Küche verstrichen war.

Mama saß an meinem Bett, blass und mit eingefallenen Augen.

„Mama...", krächzte ich und erschrak mich dabei vor meiner eigenen Stimme.

„Lena, wie geht es dir, Schatz?", schon jetzt waren es zu viele Worte für mich. Mit Mühe schüttelte ich den Kopf.

„Mama...", begann ich erneut. „Br...Briefe", krächzte ich und deutete kraftlos in Richtung des Schreibtisches, auf dem sich ein Stapel Briefe befand. Ich hatte geschrieben. Noch nicht an jeden, für manche meiner Freunde fehlten mir schlichtweg die Worte. 

Meinem begonnenen Satz setzte ich noch ein „Noch nicht fertig..." hinzu. Es machte mich wahnsinnig, dass ich keine Kraft hatte, um die fehlenden Briefe fertigzustellen.

Meine Mutter schien zu verstehen, erhob sich und nahm den Stapel samt Füller vom Tisch. Mein Versuch, ihr in meinem Bett Platz zu machen scheiterte jämmerlich.

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Ich hoffe ihr hattet alle wunderbare Weihnachten. Und ich hoffe ihr habt 'nen guten Rutsch ins neue Jahr. Und ich hoffe dieses Kapitel hat euch gefallen... Auch wenn es ziemlich heftig ist...

29.12.2017


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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 29, 2017 ⏰

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