Kapitel 1/3

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Lina stand auf, ihre Knie wackelten und ihr Kopf tobte wie eine Welle, die gegen eine Brandung läuft. Das Gelächter der Klasse wurde nur langsam wieder leiser. Sie schämt sich so sehr für ihren Körper, sie will nichts mehr, als dünn sein. Als sie endlich vorne an der Tafel stand, war sie wie erstarrt. Als sie das letzte Mal eine Aufgabe vor der Klasse vorrechnen musste, war sie 12. Mit zitternden Händen nahm sie die weiße Kreide zur Hand. Kurz schielte sie zur Klasse und sah ihre Freundinnen lästern, sie fühlte sich alleine. In diesem Moment wollte Lina am liebsten im Erdboden versinken. "Hätte ich doch nur aufgepasst, als die Aufgabe erklärt wurde", sagte sich Lina in Gedanken. Langsam schrieb sie die erste Zahl an die Tafel, der Strich war ungleichmäßig, sie zitterte zu stark. Lina konnte sich nicht konzentrieren, ihr Kopf tobte noch immer von dem Sturz.
In diesem Moment schossen ihr tausende Fragen durch den Kopf: "Warum gibt es mich?", "Warum ist mein Vater nicht mehr bei mir?", "Kann ich nicht einfach sterben?" Nachdem sie kurz weggetreten war, holte sie ein Schrei ihrer Mathelehrerin wieder zurück in ihr Leben. "Lina! Fang' endlich an!", schrie sie mit tosender Stimme. Lina rollten Tränen über ihr Gesicht, welches neben dem rechten Auge eine Wunde hatte. "Ich muss hier raus", sagte sie. Schnell rannte sie zu ihrem Platz, packte ihre Hefte in ihre schwarze Tasche und rannte auf die Toilette. Während sie rannte, brachen die Tränen nur so aus ihren Augen heraus, als wäre ein Damm in ihr gebrochen. Auf der Toilette angekommen, sperrte sie sich in einer der freien Kabinen ein und weinte. Sie vermisste ihren Vater, seine beruhigenden Worte am Abend vor dem Schlafen gehen, sie liebte ihn und das tut sie auch jetzt noch.
Linas Mutter, Tamara, arbeitet sehr viel, sie hat kaum Zeit für ihre Tochter. Lina versteht das, dennnoch wünscht sie sich nichts mehr als eine Mutter, die sie in solchen Momenten in den Arm nimmt. Doch plötzlich klopfte es an der Toilettentür. "Besetzt!", sagte Lina laut. "Ich weiß, dass du nicht auf der Toilette bist, Lina", ertönte es von daußen. "Wer auch immer du bist, bitte lass mich alleine", sagte Lina. Es vergingen 20 Minuten, bis sie wieder zurück in ihre Klasse gegangen ist. Als sie vor der Tür stand, atmete sie tief durch und klopfte. Sie klopfte nicht fest, in der Hoffnung, dass niemand die Tür öffnet, doch dies war leider nicht so. Die Lehrerin der nächsten Stunde, Frau Griesbeck, öffnete die Tür. Lina ging mit gesenktem Kopf zurück an ihren Platz, sie hörte leises Gelächter aus der Klasse. Sie wünschte sich einfach nur, endlich nach Hause gehen zu können.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war es dann endlich soweit: Der Gong der letzten Stunde ertönte aus dem Lautsprecher, der über Lina hing. Schnell liefen alle aus dem Raum, um einen Platz im Bus zu erwischen. Nur Lina musste sich nicht beeilen, ihr Zug fährt erst in 25 Minuten.

Wenn eine Sucht zur Sucht wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt