Kapitel 7/2

81 2 3
                                    

Der Wecker musste heute nicht klingeln, Lina war auch so wach. Sie hatte keine Minute mehr geschlafen und ihre Augen brannten wie Salz in einer Wunde. Sie konnte den Gedanken daran, in die Schule zu gehen nicht ertragen. Sie weckte Jo, er schlief tief und fest und nur langsam wachte er auf. "Guten Morgen Schatz", flüsterte er. "Morgen", sagte Lina traurig. "Ist alles okay?", fragte Jo neugierig. Lina wusste nicht, ob sie ihm erzählen soll, dass sie nicht in die Schule gehen will. Doch dann erinnerte sie sich wieder an ein Zitat ihres Vaters: "Ehrlichkeit ist das oberste Gebot einer Beziehung". Lina hatte schon so viel gelogen, dennoch war sie unentschlossen. Sie wollte nicht, dass er schlecht von ihr denkt, dass er sein Vertrauen in sie verliert. Sie entschloss sich, ihm anzuvertrauen. "Du Jo? Ich kann heute nicht in die Schule gehen.. Ich hab' die ganze Nacht wach gelegen und Schmerz gefühlt", sagte Lina mit zitternder Stimme. "Man Schatz.. Warum hast du mich denn nicht einfach geweckt?", fragte Jo. "Ich will nie eine Belastung für jemanden sein, ich will perfekt sein", sagte sie. "Sagst du mir dann wenigstens jetzt, warum du nicht schlafen konntest?", forderte Jo. "Ich weiß nicht, mir ging es plötzlich schlecht, diese negativen Gedanken haben mich überrascht", erklärte sie. "Soll ich auch bei dir zu Hause bleiben? Du bist mir wichtiger als Schule", fragte Jo. "Es wär wunderschön, aber ich will nicht das du nur wegen mir die Schule schwänzt", sagte Lina. Jo erwiderte:"Es ist wirklich okay, ich habe ja selbst keine Lust auf diese langweilige Schule. Ich verbringe viel lieber Zeit mit dir."
Sie zogen sich an und machten sich fertig. Sie wollten wieder zum Wasserfall gehen und bis zum Überlauf hochklettern. Draußen scheinte die Sonne, sie stieg gerade über die Wiesen und Wälder hervor, Nebelschwaden bedeckten den noch gefrorenen Boden. Lina musste diesen Sonnenaufgang einfach mit ihrem Handy festhalten. Jeder einzelne Sonnenstrahl spiegelte sich in den kleinen Wassertropfen des Nebels, es war schon fast magisch. Sie gingen weiter, wieder über die Brücken und durch den Wald bis sie endlich am Wasserfall ankamen. Die Sonne spiegelte sich im Wasser und zauberte ein kleines Kunstwerk an die Felsvorsprünge und -wände. Zusammen wollten sie bis oben an den Überlauf klettern, doch zuerst mussten sie einen Weg nach oben finden. Sie liefen um den See, am Wasserfall vorbei, als sie endlich einen leichteren Weg nach oben fanden. Die Steine waren schon fast wie Treppen angeordnet, zehn Meter hoch. Stufe für Stufe gingen sie sie hoch. Als sie oben am Überlauf ankamen, trauten sie ihren Augen nicht. Das Wasser kam nicht von einem Bach, der von dem Gebirge nach unten fließt. Nein, das Wasser sprudelte direkt aus einer Quelle aus dem Felsen. Es bildete eine kleine Fontäne. Je näher sie sich an das Becken stellten, desto lauter wurde das beruhigende Rauschen des Wassers. Lina sah sich um, sie konnte ihr Dorf von hier oben sehen. Sie sah Vögel wie sie Kurven an den Himmel zeichneten und Hasen, die über die Felder hüpften. Doch als sie auf den Boden schaute, sah sie viele verschiedene Sprüche auf dem Felsboden geschrieben. Sie waren um das ganze Becken verteilt. "Wir sind wohl nicht die Ersten, die hier oben stehen", sagte Jo. "Hast du einen Stift?", fragte Lina Jo aufgeregt. "Ja hier." Jo gab ihr den Stift und Lina schrieb ihr Lieblingszitat neben die anderen. "When communication hurts more than silence; that's when it's time to leave." Sie saßen sich genau neben den Wasserfall und ließen ihre Beine nach unten hängen. Das Wasser ergießt sich neben ihnen zehn Meter nach unten, die Sonne erwärmte die Felswand. Lina konnte kaum glauben, dass sie früher nie auf die Idee kam, hier hoch zu gehen. Früher saß sie immer unten am Wasser und beobachtete die Forellen und Enten im Wasser. Das hier ist einfach tausend mal schöner als Schule, es ist Freiheit.

Wenn eine Sucht zur Sucht wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt