Anstrengende drei Tage hatte Lina jetzt in diesem Krankenhaus verbracht. Doch obwohl sie Tabletten und Spritzen gegen ihr Monster im Kopf bekommen hat, ging es ihr kein Stück besser. Zusammen mit Tamara und ihrer Reisetasche gingen sie aus dem Haupteingang hinaus in die Welt. Sie war kalt und grau, ziemlich eintönig eben. "Es fühlt sich alles so unecht an..", sagte sie ihrer Mutter. "Ich weiß, aber auch wenn du jetzt denkst, dass dir das Leben nie wieder Spaß machen wird, musst du diese Zeit überstehen. Danach geht es wieder bergauf, glaub mir", sagte Tamara. Doch das konnte Lina einfach nicht glauben. Sie konnte es deswegen nicht glauben, weil ihre Mutter noch immer nichts von ihrer Depression weiß. Doch Lina weiß auch, dass ihre Mutter denselben Trennungsschmerz wie sie erleben musste. Sie war sich über ihre Laufbahn ihres Lebens so unsicher. Am liebsten würde sie sich einfach für den Rest ihres Lebens in ihrem Zimmer verkriechen.
Lina konnte einfach nicht fassen, wie viel in so kurzer Zeit kaputt gehen kann. Zuerst hat man alles und im nächsten Moment nichts. Lina glaubte noch nie wirklich an dieses "für immer", denn jetzt musste sie wieder schmerzhaft erleben, dass nichts für immer ist. Die Schmerzen, welche Lina jetzt fühlte, waren dieselben, die sie nach dem Tod ihres Vaters gefühlt hat.
Jede Nacht war für Lina eine Qual. Sie muss immer wieder an ihre Klinge denken, immer wieder wurde ihr bewusst, dass sie nicht stark genug sein wird, um diese Zeit zu überstehen. Sie war allein, sienwar einsam. Es war niemand mehr da, der ihr jetzt noch helfen kann. Niemand, der sie versteht. Und dieser Trennungsschmerz ruiniert sie innerlich bis auf ihre Schutzmauern. Es vergeht kein Tag mehr, an dem sie nicht vor schluchzen versucht, Luft zu bekommen. Es war, als würde ihre Seele sterben wollen, ihr Herz aber versuchen sie am Leben zu halten. Lina war so depressiv, dass sie nicht mehr fähig war, überhaupt etwas zu tun. Ihr Körper starb und sie konnte nichts mehr dagagen tun. Sie ist endgültig am Ende.
Lina stand auf, alles war verschwommen, ihre Augen brannten wie Feuer, ihr Herz raste und sie konnte kaum stabil stehen. Sie ging zwei qualvolle Schritte und öffnete ihre Schublade, in der eine kleine schwarze Schachtel lag. In ihr war eine neue Klinge, die Lina einmal dort versteckt hat. Ihre Hand zitterte, wie Wackelpudding auf einem Löffel. Doch dieses Mal verletzte sich Lina nicht wieder selbst. Dieses Mal legte sie die Klinge mit eingetrockneten Bluttropfen auf das Bett. Sie holte sich ein Blatt Papier aus dem Drucker und einen Stift vom Schreibtisch.
Nun saß sie vor einem weißen, leeren Blatt Papier. Eine Träne rollte über ihr Gesicht und tropfte hinunter auf das Papier. Sie nahm den Stift und schrieb als Überschrift dick "Abschiedsbrief". Immer mehr Tränen flossen über ihre Backen, Lina versuchte sie wegzuwischen, bevor sie auf das Papier tropften.
Nachdem sie sich ein wenig beruhigen konnte, fing sie an zu schreiben: "Liebe Mama, ich bin's, Lina. Ich schreibe dir diesen Brief, weil ich nicht will, dass du dir irgendwelche Vorwürfe machst.
Weißt du, seit Monaten fühle ich mich immer so leer und kaputt, als würde der Boden unter meinen Füßen all die Lebensfreude aus meinem Körper saugen. Die Welt wurde langsam zu einer grauen, leblosen Postkarte und egal was ich versucht habe, um sie wieder bunter zu machen, klappte nicht. Doch eines Tages kam Jo in mein Leben und plötzlich wirkte alles so viel schöner, so bunt und lebhaft wie schon lange nicht mehr. Er war der Grund, warum ich nicht schon viel früher diesen Schritt gegangen bin. Doch jetzt, jetzt ist wieder alles grau, obwohl, jetzt ist alles pechschwarz. Es tut mir so unglaublich leid, dass ich dich alleine lassen muss, doch ich bin am Ende meines Lebens angekommen. Meine Kraft ist verbraucht, mein Herz aber trotzdem gebrochen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Ich bin als deine Tochter verdammt stolz auf dich und ich liebe dich. Ich liebe sich, Mama. Ich werde dich immer lieben und ich verspreche dir, ich passe auf dich auf. Bitte sei nicht traurig, denn im Himmel geht es mir besser als hier. Und irgendwann werden wir uns wiedersehen und ich verspreche dir, ich erkläre dir alles noch genauer."
Lina holte einen Briefumschlag, faltete das Briefpapier zweimal in der Mitte, schob ihn hinein und legte den Brief auf ihr Kopfkissen.
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Wenn eine Sucht zur Sucht wird
Teen FictionLina ist 15 und geht an eine Realschule in Bayern. Sie ist übergewichtig und entspricht somit nicht dem Schönheitsideal der heutigen Gesellschaft. Oftmals wird sie ausgegrenzt und verspottet, Freunde hat sie keine. Ihre Gedanken und Taten bringen si...