Kapitel 2/2

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Die dunkle Stimme kam immer näher, Lina wurde immer nervöser und dann war es endlich soweit. Es war wirklich Jo, der durch die Tür in das Klassenzimmer kam. Lina erhoffte sich, dass er sie auf gestern anspricht. Doch so kam es nicht. Jo sagte ihr nicht mal "Hallo" oder fragte sie, wie es ihr denn geht. Er ging sofort wieder zu ihren Freundinnen, die für Lina mittlerweile keine Freundinnen mehr sind. "Warum mag mich keiner? Warum kann ich nicht einmal Glück in meinem Leben haben?", fragte sie sich. Sie war enttäuscht, sie dachte, sie hätte endlich jemanden gefunden, dem sie vertrauen könnte. In Kunst zeichnete sie ein Herz, ein Herz das in der Mitte eine Narbe zeigt. Ihr Kunstlehrer, Herr Grau, fragte sie:"Für was steht diese Narbe denn?" Lina antwortete:"Dieses Herz wurde gebrochen und verheilte wieder. Narben zeigen Stärke. Sie zeigen, dass man gekämpft hat." Herr Grau sah sie verwundert an und ging, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Lina wusste nicht, ob es nun gut oder schlecht war, aber ehrlich gesagt, interessierte sie das auch garnicht. "Menschen sind doof", sagte ihre Oma immer zu ihr. "Sie kommen nur dann, wenn sie Hilfe brauchen."
Stundenwechsel. Mathe. Lina wollte Frau Müller jetzt einfach nicht sehen, ihr ging es schlecht, ihr komplettes Leben hat sich verändert. Tag für Tag fühlt sie sich hoffnungsloser und trauriger. Sie wollte einfach nur nach Hause und bloggen. Sie wollte ihr ganzes Leid, den ganzen Schmerz wieder rauslassen. Somit entschied sie sich, sich beim Direktor als krank zu melden und nach Hause zu fahren. Normalerweise macht Lina das nicht, aber mittlerweile hat diese Traurigkeit all ihre Hoffnungen zerstört. Ihr wurde allmählich alles egal. Es interessierte sie einfach nicht mehr.
Zu Hause angekommen fragte Lina's Mutter verwundert:"Warum bist du schon zu Hause und nicht in der Schule? Hattet ihr Freistunden?" Lina antwortete emotionslos:"Mir geht es nicht gut, ich leg mich etwas hin." Ihre Mutter fragte nicht länger nach und Lina ging in ihr Zimmer. Erschöpft griff sie nach ihrem Laptop, schaltete ihn ein und legte sich in das Bett. Ihr Blog war noch vom Vortag geöffnet, sie las sich die Postings ihrer Follower durch und sah etwas, was ihr komplettes Leben noch mehr aus der Bahn werfen wird: Bulimie. Lina scheint die Lösung für ihr Gewichtsproblem gefunden zu haben. Bis zu diesem Moment wusste sie nicht, dass es so etwas wie Essstörungen überhaupt gibt. Dadurch hatte sie wieder Hoffnung, sie sah sich selbst in schönen Kleidern und im Klamottenladen in der Kinderabteilung. Und das Beste ist, dass niemand etwas davon mitbekommen wird, denn ihre Mutter ist ja so gut wie nie zu Hause. Noch am selben Tag, nach dem Abendessen, verschwand sie auf der Toilette. Lina schaltete das Radio an und erbrach sich. Nach zehn Minuten war sie fertig. Sie fühlte sich gut, sie empfand so etwas wie Glücksgefühle und schwörte sich, das alles durchzuziehen. Sie wollte um jeden Preis dünn sein. Vielleicht zeigt Jo dann auch mehr Interesse an ihr und nicht nur an ihren Freundinnen.

Wenn eine Sucht zur Sucht wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt