Kapitel 4/4

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Als Lina zu Hause angekommen war, schaltete sie sofort ihr Handy an und speicherte Jo's Nummer ein. Sie klickte auf den Messenger und schrieb ihm ein einfaches "Hallo" und er antwortete noch in der selben Minute. Sie unterhilten sich über alles, über ihre Familien, ihre peinlichsten und schönsten Momente, ihre traurigsten Momente und über ihr Leben. Lina erzählte ihm ausführlich von dem Tod ihres Vaters. Während sie die Nachricht verfasste, rollten ihr Tränen über ihr Gesicht. Doch es tat ihr gut mit jemanden darüber zu sprechen. Jo verstand sie, er verstand jedes Wort, auch wenn die Situation noch so kompliziert war. Es kam ihr beinahe so vor, als hätte er alles miterlebt. Auch Jo erzählte viel von sich selbst. Er erzählte ihm von seiner Schlafstörung und seinem selbstverletzendem Verhalten. Er erzählte ihr, wie es war, als seine Eltern herausfanden, dass er sich selbst Schmerzen zufügte. "Zuerst waren sie schockiert und entsetzt", schrieb er. "Doch dann hatten sie in Ruhe mit mir gesprochen und alles wurde gut", fügteber hinzu. Lina hatte Hoffnung, dass ihre Mutter es auch im Zweifelsfall so gut auffassen könnte. Ja so langsam entstand eine richtig gute Freundschaft zwischen ihnen. Ihre Gefühle für Jo verdrängte Lina aber. Sie wollte diese Freundschaft nicht schon wieder verlieren.
Noch bis tief in die Nacht schrieben sie sich Nachrichten. Am Ende folgte von beiden ein liebevolles "Schlaf schön.✨". Doch richtig glücklich war Lina trotzdem nicht. Sie war immer noch dick und auch ihr Arm war noch mit Wunden übersät. Außerdem war sie schrecklich müde. Doch es war nicht diese körperliche Müdigkeit, die nach dem Schlafen wieder verschwindet. Es war diese psychische Müdigkeit, diese verschwindet nicht wieder einfach so. Sie ist immer da, man fühlt sich immer kraftlos und erschöpft. Lina lag in ihrem Bett und zählte die Bretter der Holzdecke, 49 Stück waren es genau. Zur Sicherheit zählte sie sie ein zweites Mal, doch auch beim zweiten Mal zählen waren es 49 Stück. Das atmen fiel ihr besonders schwer, in der Nacht, wenn man alleine ist, ist der Schmerz besonders schlimm. Er drückt auf ihr Herz und auf ihre Seele. Er färbte beides schwarz. In drei Stunden muss Lina schon wieder aufstehen. Sie hatte keine Lust aufzustehen. Am liebsten würde sie den ganzen Tag mit Jo in ihrem Bett verbringen, zusammen weinen und zusammen lachen. Doch sie musste in die Schule gehen, sie hoffte, dass sich Jo wieder neben sie setzt. Sie liebte es, heimlich von der Seite in seine Augen zu sehen. Augen verraten so unglaublich viel, sie verraten dir, wie es einem Menschen wirklich geht. Denn manchen Augem fehlt dieses glitzern und funkeln, es ist einfach nicht mehr da. Stattdessen herrscht Dunkelheit in diesen Augen und genau an dieser Dunkelheit kann man erkennen, dass dieser Mensch schon mehr Schmerz ertragen musste, als er ertragen konnte. Jo's Augen waren Schwarz wie die Nacht, er musste viel zu viel Schmerz ertragen, das Funkeln und das Glitzern verschwand allmählich aus seinen Augen. Es starb und kam nie wieder.

Wenn eine Sucht zur Sucht wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt