Kapitel 7/4

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Gegenseitig föhnten sie sich die Haare, Lina bekam ihre großen Locken, die Jo immer so an ihr liebte. Doch irgendwie konnte Lina nicht mehr lachen, nicht einmal ein kleines Grinsen brachte sie mehr zustande. Es war als würde eine ungeheure Leere Lina's Körper durchziehen. Sie merkte, wie ihre Brust anfing zu schmerzen, wie ihre Augen anfingen, die Welt wieder farblos zu sehen. Warum passierte das? Sie war den ganzen Tag doch so glücklich, es ist nicht einmal etwas passiert. "Depressionen sind unberechenbar, Schatz.", sagte Jo. "Sie kommen immer dann, wenn sie etwas haben, dass sie dir wegnehmen können", fuhr er fort. Lina verstand langsam immer mehr, warum sie immer dann im diese Traurigkeit verfiel, wenn sie doch glücklich war. "Du kannst nichts dagegen tun, du kannst nur hoffen, dass dich deine Liebsten so akzeptieren, wie du bist", erklärte Jo. Lina fragte:"Akzeptierst du mich denn so, wie ich bin?" "Voll und ganz!", sagte Jo. Diese Worte gaben Lina im Moment so viel Halt. Doch sie merkte, dass sie die nächsten Tage wieder diese Leere verspüren wird, dass sie in dieses tiefe, dunkle Loch fallen wird.
Noch am selben Tag, nachdem Jo von seinem Vater abgeholt worden war, kramte sie nach ihrem Laptop. Sie wollte mehr über die genauen Ursachen und den Verlauf einer Depression erfahren. Nur kurze Zeit später fand sie einen Artikel, dessen Überschrift sie ziemlich neugierig machte: 'Die fünf Phasen der Depression' lautete sie. Sie lies weiter in den Text hinein, bis sie endlich zu den einzelnen Phasen kam. Lina war gespannt, was es mit diesen sogenannten "Phasen" wohl auf sich hat. Absatz für Absatz wurden sie behandelt und näher erklärt. Zum Schluss folgte folgende Zusammenfassung:

Die fünf Phasen der Depression
Phase Eins: Vermehrt Kopfschmerzen und das Gefühl von Traurigkeit
Phase Zwei: Das Gefühl von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit, Sehnsucht nach geliebten Menschen
Phase Drei: Schlaflose Nächte durch zu vieles Nachdenken, Angst vor dem Versagen, Lustgefüle verschwinden, Drang, den Tag zu verschlafen
Phase Vier: Häufiges Schlafen, das Distanzieren von der Außenwelt, das Bedürfnis, sich selbst zu verletzten, ansteigender Druck, Zukunftsängste, Angst vor der Außenwelt
Phase Fünf: Selbstverletzung, suizidale Gedanken, Albträume, der Abbruch von sozialen Kontakten, Lustlosigkeit, andauerndes Leeregefühl in der Brust, man verschließt sich der Außenwelt komplett

Lina wurde beim lesen der Zusammenfassung mulmig. Laut dieser Gliederung einer professionellen Psychologin müsste sie sich nun also zwischen Phase Vier und Phase Fünf befinden. Doch was passiert danach? Was wird mit ihr nur passieren, wenn sie am Ende der fünften Phase steht? Wird sie sich dann aufgeben und zu ihrem Vater zurückkehren? Was passiert mit ihrer Mutter dann? Sie kann sie nicht auch noch alleine lassen. Das würde Tamara nicht noch einmal verkraften, sie liebt ihre Tochter. Lina schwirrten so viele Gedanken durch den Kopf, er drängte schon fast zu zerplatzen. Sie will nicht wieder zurück in dieses tiefe Loch aus Schmerz und Ängstlichkeit. Sie will endlich wieder oben im Licht und der Schönheit der Welt bleiben. Sie will das Leben endlich wieder leben und nicht davon weglaufen. Sie will einfach nur glücklich sein. So wie all die anderen auch.

Wenn eine Sucht zur Sucht wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt