Kapitel 10

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Ich spürte weiche, warme Lippen auf meinem Mund. "Hey Schatz..." flüsterte es an meinen Lippen. Die Stimme und den Geruch erkannte ich sofort. Mein Mund verzogen sich zu einem Lächeln. Blinzelnd öffnete ich meine Augen und blickte direkt in Emily's schönes Gesicht.
Sie strich mir durch die Haare und ich seufzte.
"Du bist beim lernen eingeschlafen..." sagte sie leise und gab mir einen Wangenkuss. Tatsächlich-unter meinen Armen lag das Medizinklausuren Buch. Verwirrt sah ich mich um. Ich saß am Esszimmertisch und Emily lächelte mich an. Ihre Haare glänzten wunderschön in der Sonne. Ich blinzelte ein paar mal und rieb über die Augen. "Ich...ich hatte einen schrecklichen Traum..." nuschelte ich und meine Augen weiteten sich entsetzt als ich daran dachte, wie Emily und ich getrennt wurden und ich auf einer Insel alleine strandete.
"Achja..? Naja, jetzt bin ich ja da....diese Gedanken können wir gleich auslöschen..." Verschmitzt zwinkerte sie mir zu, drückte sich an meinen Körper und legte sanft ihre Lippen auf meine. Ihre Hand streichelte meinen Nacken und ich stöhnte. Es fühlte sich an als hätte ich sie Ewigkeiten nicht mehr geküsst.
Ich legte eine Hand auf ihre Hüfte, zog sie noch näher zu mir und öffnete ihren Mund mit meinen Lippen. Sofort ließ sie meiner Zunge Einlass. Sie beugte sich näher zu mir und flüsterte in mein Ohr. "Ich lie..."

Ich schreckte auf.

Eine Möwe neben mir pickte auf einer Kokussnussschale herum. Ungläubig starrte ich sie an und sah mich panisch um.
Nein.
Nein!
NEIN!
Das war nicht nur ein Traum! Das kann nicht sein!!!! Es hatte sich so echt angefühlt...
"NEEEEEIIIN!!!!!" Ich erkannte nicht einmal mehr meine eigene Stimme.
Ein wimmern stieg meiner Kehle hoch und meine Augen begannen zu tränen. "Nein....ich bin nicht hier...Emily..."
Ich versteckte mein Gesicht in meinen Händen und versuchte die Enttäuschung zurück zu halten. Frustriert raufte ich mir die Haare und schrie all meine gesamte Wut heraus.

Die Möwe flog aufgeschreckt von meinem Schrei davon.
Ich sah ihr neidisch zu wie sie der aufgehenden Sonne entgegen flog.

Ich kickte alles was vor meinen Füßen war weg und reagierte mich ab, indem ich auf den Boden trommelte und meine Faust immer wieder gegen den Stamm einer Palme schlug.
Das konnte nicht wahr sein.
Ich musste hier weg!
Ich hielt das hier nicht länger aus....vielleicht sollte ich mich einfach selbst umbringen?
Schnell verwarf ich den Gedanken wieder und hörte auf mit meiner Faust auf den Stamm einzuschlagen, als meine Knöchel aufplatzten. Ich hatte nicht umsonst so lange überlebt. Ich musste weiter machen.

Gestern hatte ich den toten Fisch versucht roh zu essen, aber dabei musste ich fast kotzen. Also hatte ich ihn im Sand vergraben und buddelte ihn jetzt wieder aus und probierte nochmal ein Feuer zu machen. Nach meiner Zornattacke war ich überraschend ruhig und fühlte mich nur noch hohl. Gefühlslos.

Die Sonne stieg höher und höher, aber ich gab nicht auf. Konzentriert und ohne an etwas zu denken versuchte ich Hitze zu erzeugen. Als die Sonne schon wieder tiefer sank dachte ich schon, es würde wieder nichts werden. Meine Hände waren wund und sahen schlimm gerötet aus. Plötzlich stieg aber etwas Rauch unter dem Ast hervor. Ich machte weiter und ich konnte es kaum fassen als sich tatsächlich eine kleine Flamme entzündete und das trockene Gestrüpp anfing zu brennen.
Jubelnd sprang ich auf. Ich habs geschafft!
Zwar hatte ich dafür einen Tag gebraucht, aber das war egal. Ich hatte ein Feuer entzündet!!
Lachend hüpfte ich herum.
"Habt ihr das gesehen??? Ha!"
Schlagartig hielt ich inne, mein Lachen verstummte und ich sackte in mich zusammen.
Es war niemand da, der sich dafür interessiert, was mit mir hier auf der Insel geschah. Alle gingen bestimmt davon aus, das ich tot bin. Kein Wunder, so lange wie ich hier schon lebte. Den Felsen, den ich für meine Tagesstrichliste ausgewählt hatte, war schon zur Hälfte voll. Und ich hatte nicht einmal jeden Tag hinein geritzt.

Meine Euphorie war so schnell abgeebbt, wie sie gekommen war.
Ich wusch den Sand von dem mir plötzlich ziemlich klein vorkommenden Fisch im Meer ab und spießte ihn auf meinem angespitzten Stock auf. Dann hob ich ihn übers Feuer und wartete, bis er angebraten war.
Als ich in ihn hinein biss fühlte ich mich wie im Himmel. Seit Monaten hatte ich nichts so köstliches mehr gegessen.
Ich schloss genüsslich die Augen und kostete jeden Bissen aus.
Viel zu schnell war er verputzt, aber dafür fühlte sich mein Magen angenehm gefüllt an. Ich wusch mir die Hände im Meerwasser und blickte auf den Horizont. Emily was machst du nur gerade?

Emily's Sicht

Ich war nun schon seit 3 Wochen Zuhause und fühlte mich noch kein Stück besser.
Die Wohnung sah noch unordentlicher aus als bei meiner Ankunft. Ich bewegte mich praktisch nur zum Essen und sonst ließ ich alles einfach stehen wo es lag. Ich sah keinen Sinn mehr hinter irgendwas. Wahrscheinlich wäre ich schon an dem Schmutz erstickt, wäre meine Mutter nicht vor ein paar Tagen vorbei gekommen und hätte bei mir durchgewischt.
Und nur dank der aller besten Freundin dies gab, namens Lisa, ist überhaupt etwas essbares in der Wohnung zu finden.
Alle unterstützten mich so toll, aber es half alles nichts. Ich weinte fast durchgängig. Meine Standardposition war auf unserem Sofa, zusammen gekrümmt, mit rot angeschwollenen Augen. Mir war selbst klar, dass ich wie ein Zombie aussehen musste, aber mir war alles egal.
Ich brauchte meinen Dave!!!

Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass er tot sein sollte. Tot.
Ohne ihn schien alles so aussichtslos.
Alle versuchten mir klar zu machen, dass ich keine Hoffnungen haben sollte und endlich eingestehen, dass Dave nie wieder zurück kommen wird.
Aber das wollte ich nicht hören.
Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Mein Dave....

Es klingelte an der Tür.

Erst überlegte ich gar nicht aufzustehen. Als der Klingelsturm aber nicht abnahm, hiefte ich mich genervt auf. Egal wer es war, er sollte mich in ruhe lassen!

In Zeitlupe öffnete ich die Tür und entdeckte eine gut gelaunte Lisa vor mir. Das genaue Gegenteil von mir.
Ich freute mich, dass sie vorbei schaute, aber niemand konnte mir helfen. Das konnte nur die Zeit.
Lisa wartete gar nicht, bis ich sie herein bat, sondern ging einfach an mir vorbei. In der Küche stellte sie eine Einkaufstüte ab und räumte die Sachen in den Kühlschrank.
"Danke..." murmelte ich und setzte mich auf einen Barhocker.
Sie warf mir einen Blick zu. "Du siehst schrecklich aus."
Ich zuckte nur desinteressiert mit den Schultern.
Während sie den Rest einräumte erzählte sie mir was gerade so bei ihr los war und ich war ihr dankbar, dass sie mich ablengte, auch wenn ich nicht wirklich zuhörte.
Als sie es bemerkte, kam sie zu mir und drückte meine Hand. "Ach süße....du musst los lassen..."
"Will ich aber nicht" murmelte ich wie ein trotziges Kind.
"Du musst mal wieder raus kommen. Auf andere Gedanken kommen. Wie wäre es mit einer Party?" schlug sie begeistert vor. Sofort schüttelte ich den Kopf. "Auf keinen Fall. Lisa mir ist gerade echt nicht nach feiern zu mute."
"Ach komm schon, das wird toll!" versuchte sie mich dazu zu begeistern.
Entschieden schüttelte ich den Kopf.
"Nein. Dazu ist es einfach noch zu früh..." flüsterte ich kraftlos.
"Ach Süße..." seufzte meine beste Freundin mitfühlend und umarmte mich. Ich erwiderte ihre Umarmung und war froh, dass sie für mich da war. Auch wenn ich mich gerade wirklich nicht sehr ansprechbar fühlte.

Sie blieb noch eine Weile und wir sahen zusammen einen Film, dann ging sie. Kurz darauf klingelte das Telefon.
"Ja..?" ging ich mit brüchiger Stimme ran.
Es war Dave's Mutter. Sie wollte mit mir über seine Beerdigung sprechen. Entsetzt hörte ich gar nicht mehr hin. "NEIN! " Was sollte das?!
"Dave ist NICHT tot!!" schrie ich und legte auf, bevor mich der nächste Weinkrampf schüttelte. Davon wollte ich nichts hören.

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