Kapitel 19

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Dave's Sicht

Über 10 Minuten wühlte ich im Sand herum und sah in der Umgebung nach, ob das Armband, dass Emily mir geschenkt hatte, irgendwo herunter gefallen war. Schließlich ist es nach der ganzen Zeit, wo ich es hier getragen hatte, schon ziemlich abgenutzt gewesen, aber das konnte trotzdem nicht sein. DURFTE nicht sein!!
Wie oft hatte ich mich doch wieder aufgerappelt, als ich nicht mehr konnte und wollte und wie oft war ich kurz vor dem Durchdrehen. ...
Das Armband war immer wie mein Rettungsanker für mich und jetzt war es weg, nur weil ich nicht richtig aufgepasst hatte.

Ich vermutete, dass es vielleicht abgegangen war, als ich im Meer stand. Also tauchte danach und suchte den Grund des Meeres im seichten Wasser ab, bis ich nicht mehr konnte. Meine Wunde machte mir immer noch zu schaffen und die Puste blieb mir weg. Es war aber auch total hoffnungslos auf dem Meeresboden etwas finden zu wollen...

Entkräftet schleppte ich mich wieder aus dem Wasser, lies mich in den Sand fallen, rollte mich zusammen und weinte. Meine Schluchzer übertönten die Geräusche der Wildnis und mein Körper zitterte unkontrolliert. "Es tut mir so leid Emily....ES TUT MIR LEID!!" heulte ich.
"Es tut mir so leid..." wiederholte ich immer wieder wie ein Mantra.

Mir war sogar noch das letzte minimale Fünkchen Zuversicht und Hoffnung genommen worden. Jetzt hatte ich nichts mehr.

*

Ich hatte keine Ahnung wie lange ich so herum lag, weinend, wie das letzte Häufchen elend, dass ich auch war. Vermutlich waren es Stunden und wahrscheinlich wäre ich auch gar nicht mehr aufgestanden, hätte ich nicht ein komisches Röcheln gehört. Es klang fast schon wie ein Klagelaut und kam von außerhalb der Höhle.
Verwirrt stand ich auf und ging nach draußen und folgte dem leisen Geräusch.
Nur ein Meter neben dem Höhleneingang war eine etwa 60 Zentimeter tiefe Vertiefung im Stein, in der ein verletztes Tier lag. Ich beugte mich näher heran und erkannte eine verletzte Baby Schildkröte. Sie musste wohl in der letzten Nacht, als sie mit ihren Geschwistern nach der Geburt ins Meer wollte, vom Weg abgekommen und hier hinein gefallen sein.
Sie war sogar noch kleiner als meine Handfläche und nach kurzem Begutachten erkannte ich, dass einer ihrer Füße gebrochen sein musste.
"Na, du arme kleine...." Mitfühlend strich ich ihr über den hübschen Panzer. Für mich war es einfach automatisch eine Sie.
Als erstes untersuchte ich ihr komisch verdrehtes Bein.
Obwohl ich nur Medizin studiert hatte, erkannte ich schon so viel, dass man da nicht viel machen konnte. Irgendwie einrenken konnte man das Bein auch nicht, vermutlich musste man einfach hoffen, dass die Knochen wieder gut zusammen wuchsen. Aber ins Meer lassen würde ich sie auf keinen Fall. Mit dem beschädigten Bein könnte sie schnell gefressen werden. Also entschied ich sie zu behalten.
Ich vermutete, dass sie seit ihrer Schlüpfung gestern Nacht nichts zu sich genommen hatte, also überlegte ich, was sie zu essen oder trinken brauchen könnte. Ob sie Salzwasser trinken würde? Oder Süßwasser?
Ich probierte es einfach aus und hielt sie an ihrem Panzer so fest, dass sie wenn sie wollte, das seichte Salzwasser vor ihrem Kopf trinken konnte.

Mein Magen knurrte und ich hatte schon wieder keine Ahnung, wie lange meine letzte Mahlzeit her war. Eigentlich konnte ich es mir nicht leisten, noch ein Maul mehr zu füttern und mich um jemanden zu kümmern, aber ohne mich, würde diese hilflose Schildkröte sterben. Außerdem war es eine willkommene Ablenkung zu meinem Frust, weil ich das Armband von Emily verloren hatte. Außerdem konnte die kleine Schildkröte mir Gesellschaft leisten. In den letzten Monaten wäre ich vor Einsamkeit wortwörtlich fast gestorben.

Als ich der Meinung war, dass die kleine Baby Schildkröte hätte trinken können, wenn sie gewollt hätte, nahm ich sie auf meinen Arm und ging den üblichen Trampelpfad Richtung Bach im Dschungel.
Als ich etwas Abseits etwas gelbes an einem Baum aufblitzen sah, schlängelte ich mich durch die Urwald Pflanzen und entdeckte etwa 2 Meter über mir einen Bananenstrauch.
Mein Magen knurrte noch lauter und mir lief fast das Wasser im Mund zusammen.
Nur wusste ich nicht wohin mit der kleinen Schildkröte und setzte sie einfach kurz unter einem großen Blatt versteckt auf dem Boden ab. Sie konnte mit ihren drei Beinen sowiso nicht so schnell irgendwo hin und ich würde ja gleich auch wieder fertig sein.

Tatsächlich hielt ich nur kurze Zeit später mehrere fantastisch lecker aussehende Bananen in der Hand und ließ die Schildkröte auf meinen Arm krabbeln.
Anscheinend roch sie mehr oder weniger das Fressen in meiner Hand und streckte ihren Kopf vor und sah mich aus ihren kullerrunden, schwarzen Augen an.
"Mmmh, willst du auch was?" murmelte ich und hielt ihr ein Stückchen Banane hin, ob sie es fressen würde.
Sie probierte etwas, schien dann aber desinteressiert. Vielleicht war sie aber auch nur voll, schließlich hatte sie noch einen kleinen Magen.

Dann machte ich mich weiter auf den Weg zum Bach und probierte dort ebenfalls, nachdem ich hastig getrunken hatte, ob die Schildkröte Süßwasser trank. Anscheinend reichte Salzwasser aber völlig, weswegen ich dann auch wieder zurück zum Strand ging.
Als der Himmel in rotes Licht getaucht wurde und bald die ersten Sterne heraus kommen würden, saß ich im Sand und beobachtete das Schildkrötenbaby mit einem komischen Gefühl der Zuneigung, während sie ihren kleinen Panzer in der Sonne badete. Ich überlegte kurz und strich ihr über den Kopf. "Ich nenne dich Sunny."

Emily's Sicht

Fünf Wochen später war Jakob offiziell mein fester Freund. Als ich ihn meinen Eltern vorstellte, waren diese froh,dass ich einigermaßen über Dave hinweg gekommen bin und mir meine Zukunft wieder wichtig war. Nur dass ich keineswegs über Dave hinweg gekommen war. Mit der Zeit wurde es nur erträglicher.

Ich kannte Jakob nun schon seit einer kleinen Ewigkeit und in einer Beziehung sagte man sich eigentlich alles, aber über Dave hatte ich mit Jakob noch nie gesprochen. Er wusste nicht, dass es ihn überhaupt gab und ich hielt es auch nicht für nötig, ihm davon zu erzählen, schließlich war es Vergangenheit. Dave würde immer ein Platz in meinem Herzen haben, aber ich wollte nicht, dass Jakob davon erfuhr und nur alles unnötig kompliziert wurde. Nur so konnte ich alles vergessen und vielleicht doch irgendwann mal mit der Vergangenheit abschließen. Außerdem wollte ich nicht Jakobs Mitleid. Er sollte mich so sehen, wie er mich kennen gelernt hatte und nicht wegen den früheren Ereignissen ein anderes Bild von mir haben. Natürlich hatte er von meinen Eltern und Freunden mit bekommen, dass vor ein paar Jahren etwas schlimmes passiert war und dass ich heute immer noch sehr traurige und depressive Phasen hatte, wo mir Daves Tot wieder nur allzu schmerzlich bewusst wurde. Mindestens einmal die Woche besuchte ich auch immer regelmäßig sein Grab und Jakob war nicht dumm und wusste von meiner schlechten Zeit vor etwa einem Jahr und das ich nie Alkohol mehr trank. Er hatte öfters mich vorsichtig drauf angesprochen, aber ich hatte geschwiegen. Ich liebte ihn und er musste nicht wissen, was mir wieder fahren war und das ich selbst auch fast gestorben wäre. Ich wollte nicht, dass er wegen mir Kummer hatte, denn bis jetzt lief alles super in unserer Beziehung.
Er war total einfühlsam und süß zu mir und wir unternahmen trotz unserer Arbeit viel zusammen.
Einmal war Lisa gerade bei mir Zuhause, als Jakob kam und als sie erfuhr, dass wir ein Paar waren, freute sie sich riesig für mich. Im Gegensatz zu Dave's Schwester Fiona.
Sie meinte ich hätte Dave hintergangen und aufgegeben und es war nicht zu übersehen, das sie sauer auf mich war. Aber ich hatte Dave nicht aufgegeben. Ich dachte täglich an ihn und war mir sicher, dass er gewollt hätte, dass ich glücklich wurde. Und mit Jakob war ich glücklich. Nicht so wie mit Dave, aber Jakob hatte meinem Leben wieder einen wundervollen Sinn im Leben gegeben.

Als er diesen Abend von der Arbeit kam und ich ihm geschrieben hatte, dass er heute ja bei mir übernachten konnte, hatte ich schon essen gemacht und auf dem Tisch standen 2 Kerzen und für ihn Wein, für mich Orangensaft.
"Mmmh....das sieht wunderschön aus..." sagte er mit leuchtenden Augen, umschlang meine Hüfte und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Ich erwiderte ihn, bis er sich von mir löste um hinzuzufügen: "...so schön wie du..."
Ich lachte nur verlegen und setzte mich nach Jakob an den Tisch. Er erzählte mir von seiner Arbeit und lächelte mich dabei die ganze Zeit glücklich an.
Zugegeben, es war schon sehr komisch, Jakob in Daves und meiner Wohnung zu sehen und ich hatte noch immense Schuldgefühle das ich so einen tollen Mann wie Jakob gefunden hatte, nachdem Dave nicht mehr da war. Ich hoffte einfach, dass Dave mich verstand, wenn er von dort oben auf mich herab sah.
Ich sehnte mich einfach nach Liebe. Seit Dave nicht mehr bei mir war, hatte ich mich immer so einsam wie nur möglich gefühlt. Wie als wenn ein riesiges, schwarzes Loch in meinem Inneren sein würde. Und Jakob füllte es ein winziges Bisschen aus.

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