Kapitel 12

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Emily's Sicht

"Bist du dünn geworden! " Mit diesen Wörtern begrüßte mich Lisa.
"Komm, ich koch dir gleich mal was! Wann hast du denn das letzte mal eine anständige, warme Mahlzeit zu dir genommen? "
"Keine Ahnung...."murmelte ich. Ich hatte gerade einfach keinen Appetit mehr.
"Aber du musst doch etwas essen!" Mitfühlend sah meine beste Freundin mich an.
"Ich muss gar nichts."
Ich war ihr dankbar, dass sie mich so unterstützte, aber ich war gerade einfach schlecht drauf. So wie die letzten Wochen.
"Dave hätte nicht gewollt, dass du..."
"Du weist nicht was er gewollt hätte oder nicht!!" schrie ich wütend und unterbrach sie.
Erschrocken sah sie mich an, während bei mir sich schon wieder Tränen in den Augen auf stauten.
Gleich darauf bereute ich meinen Ausbruch auch schon wieder.
Die Tränen verließen meine Augen und ich umarmte Lisa. "Es tut mir leid..." schniefte ich.
"Ist schon okey.." sagte sie besänftigen und strich mir über den Rücken.
Seufzend lehnte ich mich an sie.
"Das war so nicht gemeint, es ist gerade einfach alles zu. ...viel."
"Kein Problem. Ich verstehe das. Du musst aber wissen, dass ich immer für dich da bin."
Schwach nickte ich.
Das hatte Dave auch immer zu mir gesagt.

Ich fragte Lisa noch, ob sie nicht bei mir übernachten wollte und als sie einwilligte, war ich mehr als erleichtert. Es war nachts immer grausam, wenn die Wohnung so totenstill da lag. Deshalb war ich ab und zu über Gesellschaft froh und fand es auch gut, dass Lisa heute da blieb.

*

Ein paar Tage später bekam ich wieder Besuch. Von Dave's Schwester Fiona.
Sie wollte eigentlich nur vorbei kommen, um mir den Termin für Dave's Beerdigung zu sagen, aber stattdessen hangen wir uns gegenseitig heulend in den Armen. Wir teilten einfach den Schmerz, denn sie war die einzige, die meine Gefühle für Dave nachvollziehen konnte. Lisa vermisste Dave natürlich auch, aber sie hatte nie so eine enge Verbindung wie ich zu ihm oder Fiona zu ihrem Bruder.

Mittlerweile hatte ich eingesehen, dass Dave nicht mehr zurück kommen würde. Es brachte ja doch nichts, sich wie an einem winzigen, dünnen Strohalm an die Hoffnung zu klammern.

"Wie geht's dir und deinen Eltern?" fragte ich Fiona mit tränenerstickter Stimme und bot ihr einen Wein an, den sie dankend an nahm. In letzter Zeit trank ich öfters, da es einfach beruhigte und einen nicht mehr so nach denken ließ.
Mit einem Zug hatte ich das halbe Glas geleert.
"Es geht...Mit Zac zusammen zu wohnen ist das beste, was ich machen konnte, er unterstützt und tröstet mich total. Aiden hat das mit Dave am besten von uns allen verkraftet. Er zeigt seine Trauer nicht so und versucht sich abzulenken, aber ich bin mir sicher, dass er zutiefst traurig ist, wenn er alleine ist.
Letztens hat er Dave's Ratschlag angenommen und diese Daria aus der Uni angesprochen...."
Bei seinem Namen schluchzte ich erneut auf. Auch Fionas Selbstbeherrschung schien wieder zu bröckeln und sie weinte ebenfalls los.
"Noch ein Wein?" krächzte ich.
Sie nickte zustimmend.

*

Ich schwankte schon leicht, als ich 6 Tage später die Kellertreppe nach unten ging, um mir noch ein Bier zu holen. Daraus wurden dann doch noch zwei, mit denen ich mich wieder auf das Sofa plumpsen ließ und versuchte dem Fernsehrprogramm zu folgen. Ich hörte aber gar nicht richtig zu, denn alles um mich herum wackelte schon und war verschwommen. Ich fühlte mich wie in einer warmen, ruhigen und geborgenen Blase, die mich umgab.
Irgendwann hatte ich so viel Alkohol intus, dass ich nicht einmal die Wirklichkeit und die Traumwelt unterscheiden konnte.

Als mich irgendetwas aus dem Traum riss, war ich verwundert, dass ich überhaupt geschlafen hatte. Mein Kopf brummte wie verrückt und ich fühlte mich wirklich dreckig. Blinzelnd öffnete ich die Augen und schloss sie schnell wieder, da mich das helle Tageslicht blendete. Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich realisierte, dass mein Handy klingelte und ich mich aufrichten konnte. Vor mir stapelten sich schon fast die Bier Flaschen und irgendwo darunter lag mein Handy.
Ich entsperrt es und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Erinnerung, die ich mir gestellt hatte.
Beerdigung 14:30 Uhr.

Oh gott!!
Ich hätte es fast verpasst! Es war zwar erst 12 Uhr, aber die restliche Zeit, bis die Beerdigung anfing, brauchte ich auch.
Ich schluckte mehrere Aspirin, trank mindestens ein Liter Wasser und duschte, bis es meinem Kopf besser ging. Dann föhnte ich meine Haare, bürstete sie und schlüpfte in mein schwarzes, langes Kleid. Danach überschminkte ich noch die tiefen Ringe unter meinen Augen. Eigentlich hätte ich noch etwas essen sollen, da ich heute noch nichts zu mir genommen hatte, aber es wäre vor Übelkeit bestimmt sowieso nicht in meinem Magen geblieben.

Ich fühlte mich einigermaßen okey, als ich die Kirche betrat, aber als ich ein Bild von Dave vorne am Altar sah, hatte ich das Gefühl gleich ohnmächtig zu werden.
Da es kein Sarg mit einer Leiche gab, wurde nur ein Bild von ihm aufgestellt, rechts und links davon zwei schöne Blumenkränze. Ich war wirklich froh, dass ich mich nicht um diesen ganzen Kram der Beerdigung kümmern musste und Dave's Eltern das in die Hand genommen hatten.
Langsam, wie in Zeitlupe ging ich durch die Kirchenreihen und versuchte gerade zu laufen. Alles um mich herum schwankte, aber dieses mal nicht wegen dem Alkohol. Dave fehlte mir so sehr.
Ich wusste nicht, wie ich die ganze Beerdigung durchstehen sollte.

Mich überraschte, wie viele Leute gekommen waren. Die meisten kannte ich nicht- vermutlich Freunde, Bekannte oder Verwandte von Dave. Nur in der vordersten Reihe entdeckte ich seine Eltern, Fiona und Aiden. Und....Daria!! Sie saß dicht neben Dave's Bruder und drückte mitfühlend seine Hand. Ich versuchte meine Überraschung zu verbergen und setzte mich in die zweite Reihe. Während der Pfarrer eine Ansprache hielt, starrte ich die ganze Zeit in die blauen Augen des Bild-Daves. Unaufhörlich flossen Tränen über meine Wangen und der erdrückende Schmerz breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Das Schlimmste war, dass es keinen Sarg gab. Wir hatten nichts, was wir später draußen auf dem Friedhof in die Erde lassen konnten. Die Reste von Dave's Körper waren einfach für immer irgendwo verschollen. So war es einfach nicht richtig. Die Welt war nicht gerecht und ich musste zugeben, dass ich froh sein musste, dass ich hier überhaupt stehen konnte, aber manchmal fragte ich mich, ob es nicht vielleicht auch mit meine Schuld war. Ich hätte ihn vielleicht retten können. Hätte ich doch nur mehr darauf bestanden, dass er auf das Rettungsboot kam und nicht ich!

Nachdem mehrere Gäste seiner Familie und mir ihr Beileid ausgesprochen hatten, unterhielt ich mich noch etwas mit Aiden.
Er fragte mich, wie es mir zurzeit ging und ich antwortete, wie es einem halt in so einer Situation gehen konnte. Dann erzählte er mir, dass Daria zur Unterstützung für ihn mit gekommen sei und das sie aber nicht zusammen waren, Aiden es sich aber wünschte.

Völlig fertig kam ich ein paar Stunden später endlich wieder nach Hause und fiehl weinend auf mein Bett.

GestrandetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt