Kapitel 11

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Dave's Sicht

Vorsichtig löste ich den behelfsmäßigen Verband an meinem Fuß und hängte mir den Kamera Gurt um den Hals. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass meine Wunde an der Fußsohle gut verheilt war, machte ich mich wieder auf den Weg in den Dschungel. Ich musste nochmal dort rein und eine andere Wasserstelle finden.
Den alten See, wo ich Bekanntschaft mit dem Krokodil gemacht hatte, würde ich vermutlich nicht mehr finden. Außerdem trieben sich dort Krokodile rum.
Also lief ich planlos durch den Wald. Den angespitzten Stock in meiner rechten Hand.

Leider fand ich nirgends Süßwasser. Als es dämmerte, entschied ich nur noch ein paar Meter zu gehen und suchte mir einen Platz zum Schlafen. Es gab keinen Baum, auf den ich hätte klettern können, also zwängte ich mich in einen Busch und rollte mich zusammen. Die Dunkelheit war mehr als beängstigend und ich konnte lange nicht schlafen. Ständig auf der Hut lauschte ich auf Geräusche und sah zwischen den Farnwedeln durch.
Trotzdem wäre ich fast weg genickt, als ich aus dem Augenwinkel leuchtende Augen wahr nahm. Runde, gelb glühende Katzenaugen.
Vor Schreck blieb ich erstarrt in meinem Versteck und versuchte so flach wie möglich zu atmen. Aber der Tieger konnte auch im Dunkeln hervorragend sehen. Wahrscheinlich roch er mich auch. Als er nur noch etwa 6 Meter entfernt war, verabschiedete ich mich schonmal von meinem Leben und tat das einzige, was mich noch retten könnte. Ich sprang auf und rannte so schnell wie ich konnte. Mir war klar, dass ein Tieger deutlich schneller sein würde und sich auch gelenkiger durch den Dschungel bewegen konnte.
Ranken zerrten an meinen Füßen, Lianen peitschen mir ins Gesicht und mein Herz raste vor Angst. Ich hörte hinter mir, wie der Tieger die Verfolgung aufnahm und rannte noch schneller um mein Leben.

Alles war dunkel um mich herum, ich strauchelte mehrmals und ich hatte keine Ahnung, wo ich hin rannte. Nur weg.
Aber das Raubtier war schneller. Ich hörte sein keuchenden Atem sehr nah hinter mir und kniff die Augen zusammen. Er hatte mich fast eingeholt.
Niemals hätte ich gedacht, dass ich durch das Maul eines Tieger sterben würde.
Zuerst bohrten sich lange, gebogene Krallen in meine Seite und hinterließen eine tiefe Kratzspur von meinem Unterarm bis zur Hüfte.
Der Schmerz durchzuckte mich.

Plötzlich verknackste ich mir das Bein und viel in die Tiefe. Ich wusste nicht mehr wo oben oder unten war und schmeckte Erde.
Mit einem Schlag, der die Luft aus meinem brennenden Oberkörper presste, landete ich auf dem Boden. Was war passiert?
Blinzelnd wischte ich mir den Dreck aus den Augen und sah etwa 5 Meter über mir die leuchtenden Augen des Tiegers. Er fauchte und knurrte. Dann streckte er eine Pfote nach mir aus, machte aber einen Schritt zurück, da er nicht abrutschen wollte.
Ich fühlte die erdigen, wurzeligen Wände um mich herum mit den Handflächen ab.
Es war so eng, dass ich mich nicht einmal liegend ausstrecken konnte.
Ich musste in ein Loch gestürzt sein.
Ob das jetzt gut oder schlecht war, wusste ich nicht. Einerseits wurde ich nicht von einem Tieger zerfleischt, andererseits saß ich in diesem dunklen, tiefen Loch fest.
Mein Bein tat weh, aber ich musste es mir bei meinem Sturz nur leicht verdreht haben. Dafür brannte meine ganze linke Seite. Meine Haut war aufgeschlitzt und ich konnte die kühle Luft an meinem freigelegten Fleisch spüren.
Ich atmete einmal tief durch, rutschte in eine Ecke des Lochs und beäugte das Tier über mir misstrauisch. Der Tieger lief noch mehrmals an der Kante hin und her und verzog sich dann.
Erleichtert atmete ich aus. Ich war mir nicht sicher, ob er für ein Fressen hier herunter gesprungen wäre.
Dieses verfluchte Loch hatte mich gerettet.

Prüfend betastete ich die Fleischwunde an meiner Seite und zog scharf die Luft ein. Dort war rohes Fleisch. Es konnte sich schnell entzünden, vorallem weil die mächtigen Krallen von dem Tieger auch nicht die saubersten gewesen sein konnten. Ich biss mir fest auf die Zähne und legte mich in so eine Position, dass nichts meine aufgeschnittene Wunde berührte. Die Schmerzen waren unerträglich.
Eigentlich müsste ich es verbinden und auswaschen, aber in diesem Loch konnte ich vorerst gar nichts tun. Meine Glieder wurden schwer und erschöpft ließ ich den Kopf auf die Erde sinken. Morgen würde ich mich damit befassen hier raus zu kommen, vorerst war ich hier sogar sicherer, für den Fall das der Tieger zurück kommen würde.

Ich versuchte zu schlafen, bis die Morgendämmerung einsetzte, aber die Schmerzen waren zu schlimm. Meine Seite brannte und es fühlte sich so an, als ob mein ganzer Körper in flammen stehen würde. Seufzend starrte ich nach oben, konnte aber durch das Blätterdach des Dschungels keine Sterne entdecken.
Ohne das ich es bemerkte huschte meine Hand zu dem silbernen Armband an meinem Handgelenk und vergewisserte sich, dass es noch da war. Ich lockerte etwas meine steifen Glieder und schloss die Augen.
Ich befand mich in einem Halbschlaf Zustand, als ich mir vorstelle, wie Emily und mein Wiedersehen aussehen würde.

Ich verließ gerade den Flughafen und blieb wie angewurzelt stehen, als ich Emily weinend vor mir entdeckte. Sie saß in etwa 20 Meter Entfernung auf einem der Wartestühle. Als auch sie mich entdeckte, sprang sie sofort auf und rannte auf mich zu.
Meine Augen glänzten ebenfalls verräterisch feucht. Ich rannte ihr entgegen und sie schloss ihre zierlichen Arme um mich. Ihr vertrauter Geruch hüllte mich ein und ich schloss die Augen. Tränen flossen durch meine geschlossenen Lieder.
"Endlich hab ich dich wieder..." murmelte ich in ihr Haar.
"Ich liebe dich" schluchzte sie an meinen Hals.
"Ich liebe dich auch....für immer" murmelte ich zurück.

Echte Tränen rannen mir über die Wange und ich wurde mit harter Wucht in die grausame Wirklichkeit zurück katapultiert.
Emily war nicht da. Ich saß hier ganz alleine fest.

*

Mühsam versuchte ich irgendwo an der Wand halt zu finden. Aber es war einfach zu rutschig. Erde prasselte auf mich herab, als ich meine Füße in die Wandseite des Loches stemmte und versuchte mich nach oben zu ziehen.
Aber ich war einfach zu schwach.
Frustriert keuchend ließ ich mich wieder zurück auf den Lochboden sinken.
Ich wischte mir den Dreck aus dem Gesicht und hörte die leicht gedämpften Urwald Geräusche über mir.
Ich rollte mich zusammen, umschlang meine Beine mit den Armen und versuchte an einfach nichts mehr zu denken.

Obwohl ich nichts tat, ging die Zeit trotzdem vorüber. Mein Magen schmerzte schon, so leer war er und meine Kehle brannte vor Trockenheit.
Das konnte doch nicht wahr sein!
Sollte ich jetzt etwa wirklich hier, in einem Loch, verhungern?
So wollte ich nicht sterben.

Von neuem Kampfgeist gepackt stand ich auf, suchte an den Wänden nach Halt für meine Füße und packte mit der Hand eine Wurzel, um mich hoch zu ziehen.
Meine Füße rutschten ab, aber sofort stand ich wieder auf und versuchte es erneut. In meinem Kopf spukte nur ein Gedanke. Raus hier.

Abermals bekam ich die Wurzel zu fassen und erreichte eine weitere, oberhalb meiner anderen Hand. Zum Glück war sie fest in der Erde verankert und ich konnte mich mit den Armen hoch ziehen. Nur ein paar Zentimeter über mir erblickte ich schon die Kante des Lochs. Ich mobilisierte die letzten verbliebenen Kräften und zog mich mit aller Kraft nach draußen. Schwer keuchend blieb ich außerhalb des Lochs auf dem Bauch, schmutzverschmiert liegen. Aber das war egal.
Ich war wieder draußen!

Lange Zeit konnte ich mich aber nicht über meinen Erfolg freuen, denn ich musste endlich Wasser finden. Also machte ich mich auf den Weg.

Die Abenddämmerung setzte ein und ich konnte mich kaum noch auf den Füßen halten. Die Versuchung, sich hin zu setzten, war groß, aber ich musste weiter. Mir war klar, dass wenn ich mich jetzt ausruhen würde, ich nicht mehr aufstehen könnte.
Also schleppte ich mich weiter. Mittlerweile hatte ich keinen Plan mehr, wo ich eigentlich war, der Dschungel schien sich ewig zu ziehen. Nur kein Wasser in Sicht.
Aber irgendwo mussten die Tiere doch auch trinken!

Mein ganzer Körper war so schwer wie Blei, mein Herz klopfte und meine Atmung ging unregelmäßig. Wie sich wohl verdursten anfühlen würde?
Dazu kam noch, dass meine offene Fleischwunde sich glühend heiß anfühlte und unglaublich schmerzte.
Ich konnte einfach nicht mehr.

Meine Knie machten zuerst Bekanntschaft mit dem Boden, dann folgte der Rest des Körpers. Keuchend vor Anstrengung lag ich auf dem feuchten Urwald Boden und musste die Augen zusammen kneifen, denn um mich herum drehte sich alles.
Ein leichtes Übelkeitsgefühl machte sich in mir breit. So gut es ging, verdrängte ich es.
Meine Lieder flatterten, aber ich zwang meine Augen, offen zu bleiben.

Dann tat ich das einzige, was ich jetzt noch konnte. Das einzige, was ich seit Jahren nicht mehr getan hatte.
Ich betete.

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