Kapitel 3

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POV Lukas
Berlin, November 2011
„Wie bitte?"
„Julian, jetzt schrei hier doch nicht so rum."
„Ich kann so viel schreien wie ich will!"
„Deshalb wollte ich dich ja auch bei dir zuhause treffen." Er starrte mich nur wütend an. Ich sah traurig auf den Boden und scharrte mit dem Fuß im Kies.
„Ist es ein anderer?", fragte er mich mit bedrohlicher Stimme.
„Was? Nein!" Das heißt, eigentlich nicht. Bis ich den Mann von vorhin kennengelernt hab. Ich weiß noch nicht mal seinen Namen, dachte ich traurig.
„Ist es doch! Du lügst mich doch an. Verdammte Scheisse, Lukas, ich dachte du liebst mich – nur mich!"
„Das hab' ich auch, aber...können wir das bitte woanders besprechen? Die Leute gucken schon." Mir war das so unangenehm, in der Öffentlichkeit zu streiten; generell mochte ich es nicht, grundlos im Mittelpunkt zu stehen. Julian sah sich genervt um und ging dann ein paar Schritte, in Richtung seiner Wohnung. Ich blieb stehen, wusste nicht, was er denn eigentlich wollte, wohin er gehen wollte, ob ich mitkommen sollte.
„Kommst du jetzt mit, oder nicht?", keifte er mich an.
„Ähh...ja, klar." Ich folgte ihm schweigend, bis wir an seiner Wohnung ankamen. Gut, dann kann ich wenigstens flüchten, wenn das hier aus dem Ruder läuft.

Julian bot mir nichts zu trinken an, schloss einfach nur seine Tür auf und ging direkt ins Wohnzimmer, wo er seinen Mantel auf den Boden fallen ließ und sich auf die Couch mit überkreuzten Armen setzte, linkes Bein auf dem rechten überschlagen. So eine Tunte, ey. Zögernd folgte ich ihm und setzte mich vor ihn. Meine Jacke behielt ich an – ich wusste ja nicht, wie lange ich hierbleiben würde.
„Also?", zickte er mich an.
„Ja, also...schau mal. Das ging doch schon seit Längerem nicht so gut und..." Ich stockte, als ich sah, wie sich Julians Augen mit Tränen füllten und eine nach der anderen seine Wangen herunterkullerte. Ich rutschte zu ihm vor und wischte ihm über die Augen.
„Bitte, wein' doch nicht!"
„Wieso?"
„Weil...wir streiten uns doch nur noch", antwortete ich leise. Er starrte mich an. Er wusste, dass ich recht hatte. Die letzten Monate waren unausstehlich gewesen. Jede Kleinigkeit kochte sofort über, wir schrien uns zum Teil nur noch an, hatten seit Wochen keinen Sex mehr gehabt, ich hatte oft – obwohl wir noch nicht mal zusammenlebten – auf der Couch geschlafen. Ein Jahr hatte ich es mit ihm ausgehalten. Er wusste, dass ich viel zu tun haben würde, sobald ich meine Musikkarriere starten würde. Und ich wusste, dass er sehr emotional war. Doch irgendwie ging das nie in unsere Schädel hinein. Oder wir ignorierten es einfach.

„Ich will nicht, dass du gehst." Ich seufzte.
„Das geht doch nicht mehr so weiter."
„Lukas, bitte. Ich lieb' dich doch!" Ich weiß.
„Ich kann das einfach nicht mehr. Wann haben wir das letzte mal miteinander geschlafen? Kannst du dich noch erinnern? Ich nämlich nicht mehr." Er starrte auf den Boden, schien nachzudenken. Es war schon viel zu lange her gewesen. Und das war nicht das einzige Problem: er kam mit meinen Terminen nicht klar, dass ich Zeit für mich, für meine Musik brauchte, dass ich gerne mal alleine war.
„Das kann man doch wieder richten", murmelte Julian. Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Nicht bei uns. Es gibt doch viel zu viel zu richten, Julian."
„Kannst du nicht...können wir nicht noch einmal..."
„Was?"
„Noch ein letztes mal...miteinander..."
„Nein." Er warf den Kopf zurück und fing wieder an zu weinen.
„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre", fügte ich hinzu.
„Aber..."
„Ich würde dir noch mehr wehtun." Ich hasste es, Schluss zu machen. Ich hasste es, als das Arschloch dazustehen. Doch ich musste das jetzt tun. Ich konnte einfach nicht mehr. Julian und ich stritten uns täglich, er hatte mir nicht selten irgendwelche Objekte entgegengeworfen und ich wollte das nicht mehr mitmachen.
„Ich geh jetzt besser." Als Antwort bekam ich nur ein Schniefen und mir brach das Herz. Ich beugte mich wieder zu ihm, strich ihm über die Wange und sagte dann:
„Pass auf dich auf", bevor ich mich auf den Weg machte.

Als ich die Treppen runter stieg, dachte ich an den Mann, den ich heute kennengelernt hatte. Ich wusste nichts über ihn, gar nichts. Traurig machte ich mich auf nachhause. Ich war dennoch erleichtert – auch wenn ich Julian das Herz gebrochen hatte, war es endlich vorbei. Meine Gedanken hörten irgendwann auf, um Julian zu kreisen. Zuhause angekommen holte ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank und dachte wieder an meine neue Bekanntschaft.
„Was für ein fuckup." Ich war so sauer, dass ich ihn nicht nach seinen Namen oder seiner Nummer gefragt hatte. Er kam mir noch nicht mal bekannt vor – sollte er überhaupt bekannt sein. Schön war er ja. Hör auf, Lukas, du hast vor zwanzig Minuten mit deinem Freund Schluss gemacht! Vielleicht solltest du erstmal einige Zeit lang Single bleiben. Ich setzte mich auf meine Couch und versuchte mir ein Bild von dem Mann, den ich heute kennengelernt hatte, zu machen. Schwarze Haare, braune Augen, große Brille, ein Lispeln...ansonsten fiel mir nichts mehr ein. Ach, doch. Seine Lippen. Dünne Lippen. Nee...dünne Oberlippe. Wieso fällt mir so ein banales Detail ein? Ich schüttelte den Kopf und sah auf mein Handy. Zehn Nachrichten von Julian. Alle gleich.

Julian, 15:12: Bitte, Lukas! Wir können das wieder richten!
Julian, 15:17: Schatz, ich liebe dich doch!
Julian, 15:30: Lukas, wir können das wieder richten!
Julian, 15:45: Du bist ein richtiges Arschloch! Weißt du eigentlich, was du an mir hattest?

Ich schüttelte mich und löschte jede seiner Nachrichten. Jede einzelne. Auch die alten, auch die Lieben, auch die Fotos.

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