Kapitel 72

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POV Lukas
Berlin, jetzt
„Basti, was soll ich denn tun?"
„Jemand anders anrufen. Ich kann es echt nicht mehr hören."
„Ja, aber..." Basti schnaubte genervt und atmete dann hörbar aus.
„Nichts, aber. Meine Fresse, Lukas, das musst du jetzt echt mal alleine hinkriegen. Ich glaubt's ja wohl nicht, dass ein erwachsener Mann seine Beziehungsprobleme nicht alleine hinkriegen kann." Daraufhin legte er auf und ich fühlte mich unglaublich alleine. Abgesehen davon, dass ich natürlich immer noch sehr traurig war und nun schon seit drei Tagen nichts von Tim gehört hatte. Frustriert warf ich ein Kissen in die Ecke und fühlte mich nicht viel besser. Außerdem konnte ich spüren, wie mein Hals immer trockener wurde und das Schlucken immer mehr wehtat.
„Auch das noch...", murmelte ich. Ich wurde zwar selten krank, jedoch hatten emotionale Probleme immer einen großen Einfluss auf meinen Körper. Stand ich unter hohem Stress (vor allem emotionalen Stress), würde ich kurz darauf mit einer Grippe im Bett liegen. Und so war es auch diesmal. Das Einzige, was mir zu helfen schien, war, dass ich immer noch mitten in der Festivalsaison war, wodurch ich mich auf etwas Anderes konzentrieren konnte und mir ausnahmsweise einmal nicht Sorgen machen musste, wie oft ich Timi sehen konnte. Das zwischen uns war ja nun mal...naja, vorbei war es nicht, auch wenn es sich so anfühlte. Ich schlurfte in die Küche, wo ich mir ein Käsebrot machte und ging dann wieder zurück auf die Couch, wo ich mich in meine Decke einwickelte und auf mein Handy starrte. Seitdem ich Tim erzählt hatte, dass ich ihm fremdgegangen war, hatte ich keinen Kontakt zu Matthias gehabt. Und wenn ich Matthias schreibe? Dass es mir schlecht ginge? Würde er vorbeikommen?

Ich überlegte noch eine halbe Stunde lang, ob ich Matthias wirklich schreiben sollte, bis ich mich kurzerhand entschloss, es tatsächlich zu tun. Irgendwie wäre es ja auch fairer ihm gegenüber, wenn er von der Gesamtsituation wusste. Ich öffnete also den WhatsApp-Chat mit ihm und fing an zu tippen.

Ich, 20:39: Hi, können wir reden?

Dann wartete ich. Und wartete. Und wartete. Es war echt kaum auszuhalten: als ich nach einer Stunde immer noch keine Antwort bekommen hatte, stand ich seufzend auf, ging in die Küche und machte mir eine Heiße Zitrone. Das soll ja angeblich gegen (bevorstehende) Erkältungen helfen. Und gegen Liebeskummer? Wen kann man eigentlich anrufen, wenn man Liebeskummer hat? Beziehungsweise, wer würde einen nicht verurteilen, wenn man fremdgegangen ist und plötzlich Liebeskummer hat? Während ich weiterhin grübelte und mit dem Löffel in meiner Tasse rührte, hörte ich plötzlich meinen Nachrichtenton. Ich angelte mein Handy aus meiner Hosentasche raus und sah, dass Matthias mir geschrieben hatte. Mein Herz fing an zu pochen, als ich mein Handy entsperrte und die Nachricht öffnete.

Matthias, 21:57: Klar. Soll ich dich anrufen?
Ich, 21:58: Ja, bitte.

Daraufhin klingelte mein Handy, welches ich mit zittrigen Fingern beantwortete.

„Hi."
„Hallo."
„Ähh...wie geht's dir, Lukas? Habe schon lange nichts von dir gehört. Hast du...habt ihr gesprochen?"
„Ja, ich...ich hatte ein Interview und...war da nicht ganz ehrlich." Ich biss mir auf die Unterlippe, ehe ich noch mehr preisgeben konnte. Interessierte das ihn überhaupt?
„Ja? Inwiefern?"
„Naja...die hat mich halt gefragt, wie das mit einem Partner ist, mit der der Liebe, und ich habe halt so geheimnisvoll getan und nichts von meiner Beziehung oder meiner Homosexualität preisgegeben."
„Und Tim war dann sauer", stellte Matthias fest.
„Ja, genau." Er seufzte und räusperte sich dann.
„Was willst du denn machen? Ich meine, klar, du bist zwar nicht der Einzige, der eine Entscheidung treffen kann, aber trotzdem würde es mich interessieren, was du willst."
„Ich...ich...liebe Tim aber ich mag dich halt auch und..." Matthias stöhnte laut auf bevor er mir das, was ich hören sollte, jedoch nicht hören wollte, sagte.
„Schau mal, Lukas. Das mit dir war sehr schön, es hat mir wirklich gut gefallen, aber Gefühle sind da keine. Meinerseits zumindest nicht. Ich...ich dachte, es wäre nett, dich mal wieder zu sehen, und es war ja auch toll, aber mehr als Ficken ist bei mir einfach nicht drin. Außerdem...bist du ja noch mit Tim zusammen und es bringt ja auch nichts, wenn du dann weiterhin mit mir schläfst, oder?"
„Ja, schon..."
„Was willst du denn machen?"
„Keine Ahnung."
„Schau mal, du hast drei Optionen: erstens, du redest mit Tim, versuchst, eure Beziehung wieder zu richten und lässt ihm Zeit, dir wieder zu vertrauen. Es kann aber sein, dass er nicht will, dass du weiterhin Kontakt zu mir hast. Zweitens, ihr macht Schluss und du schläfst weiterhin mit mir. In dem Fall muss ich dich aber eben beziehungsmäßig enttäuschen, weil ich dafür einfach keine Zeit habe und keine Energie verschwenden will. Oder, drittens – und dass könnte dir am schwierigsten fallen – du vergisst uns beide, verlässt Tim und siehst mich entweder nur als Freund oder wir brechen den Kontakt komplett ab. Das ist zwar die härteste Option, sie könnte aber am besten für dich sein. Ich weiß es einfach nicht."

Drei Optionen. Eine Entscheidung, die nicht nur mein Liebesleben, sondern auch meine Karriere mit Trailerpark beeinflussen wird.
„Ich...ich weiß nicht genau, was..."
„Liebst du ihn?"
„Ja, ich denke schon."
„Du denkst schon?"
„Ich...ja, ich liebe ihn."
„Dann kämpfe für deine Beziehung. Du hast Scheisse gebaut, das kann schon mal passieren, aber wenn du jetzt aufgibst, dann wirst du diese Entscheidung womöglich bereuen. Beziehungsweise, ich bin mir sehr sicher, dass du sie bereuen wirst."
„Ja, ich weiß schon. Aber er lässt mich ja auch nicht ran!"
„Das ist immer deine Ausrede, Lukas. Lässt Tim dich wirklich nicht ran, oder hast du es bisher nicht richtig versucht? Oder hast du dann das Falsche gesagt?" Alle drei.
„Schau mal, ich bin gerne für dich da, aber wie gesagt: solltest du dich für Tim entscheiden, dann wäre es besser, wenn wir den Kontakt runterschrauben. Sonst wird es immer und immer wieder Streit zwischen euch geben und dann wird eure Beziehung endgültig in die Brüche gehen."

POVTim
Bielefeld, jetzt
Ich hatte noch nie Liebeskummer erlebt. Ich kannte es gar nicht, wenn manim Bett liegt, immer wieder weint, oder einfach nicht mehr weinen kann, wennman sich zukifft oder betrinkt, damit man seine Liebe vergisst, wenn man sichnicht mal mehr zum Duschen aufraffen kann, weil einem alles wehtut, wenn mankeinen Bissen runterkriegt, wenn man nach Schlaftabletten und Rotwein sucht,nur um zu vergessen. Nein, das kannte ich nicht. Und jetzt war ich diese Person geworden, die genau dasalles tat. Seufzend streichelte ich Heisenberg und entschied mich dann dochaufzustehen. Drei Tage rumliegen waren nun wirklich genug. Jeder Muskel tatunglaublich weh, als ich mich aus dem Bett hievte und ich musste michanstrengen, nicht wieder zurückzugehen. Ich streckte mich dennoch und machtemich dann auf in mein Studio. Wie in Trance setzte ich mich an meinen Computer,fuhr ihn hoch und öffnete die Datei „Zwei Zimmer, Küche, Bong", an der ich dienächsten Tage fast ununterbrochen arbeiten würde.    

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