Kapitel 44

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POV Tim
Bielefeld, jetzt
Es ging mir kein bisschen besser, nachdem Lukas und ich telefoniert hatten, was vermutlich durch meinen derzeitigen Alkoholkonsum verstärkt wurde. Lukas war wie immer so verfickt ruhig gewesen. Wie kann der immer so ruhig bleiben? Und als er sagte, dass er doch nur bei einem Kumpel war...stimmte das dann wirklich? Ich zerbrach mir den Kopf, führte die Flasche immer wieder an meinen Mund, bis ich sie schließlich leertrank und mich am Ende wieder über die Toilette gebeugt fand. Heute wieder nichts gegessen, sondern nur getrunken? Wunderbar, Tim, wirklich wunderbar. Genau das wollte Lukas erreichen – dass du dich mal wieder abschießt, dass du immer dünner wirst. Er macht sich doch schon genug Sorgen. Je mehr du dich so benimmst, desto weniger wird er dich lieben. Weil er sich immer um dich kümmern muss. Irgendwann wird ihm das zu viel werden und er wird sich jemanden anderen suchen. Während ich alleine in meinem kalten Badezimmer mir die Seele aus dem Leib kotzte und mich nicht nur physisch, sondern auch mental total beschissen fühlte, erinnerte ich mich an letztes Jahr, als Lukas an Triebwerke arbeitete, wozu er eine Woche bei mir verbracht hatte, weil es da ruhiger war...

Bielefeld, Juli 2013
„An was arbeitest du?"
„An Wer Weiß."
„Und wie geht's voran?"
„Hmm, geht so."
„Wo hängst du denn fest?"
„Keine Ahnung, irgendwie...weiß ich nicht, ob ich den Sinn des Liedes gut herüberbringe."
„Was ist denn der Sinn?"
„Liebe."
„Aha. Und...meinst du nicht, dass ich dir da behilflich sein könnte?" Ich grinste ihn an, während ich eine Tomate biss, dessen Saft ungeeigneterweise über Lukas' Laptop ging. Ich schluckte nervös und blickte Lukas schuldbewusst an.
„Oh fuck...sorry...äh...ich mach das wieder..." Ich zog mir mein Hemd aus und versuchte umständlich mit dem T-Shirt Lukas' Bildschirm wieder saubermachen, während er mich schweigend beobachtete.
„Da...ist doch wieder...geht doch wieder." Ich sah ihn unschuldig an und wartete auf eine Reaktion seinerseits, die hoffentlich nicht allzu schlimm sein würde.

Lukas seufzte, holte Luft, bis sich seine Augen weiteten.
„Was ist...?" Er hob nur den Finger, bedeutete mir, dass ich ruhig sein solle, und schrieb dann hektisch ein paar Zeilen nieder.
„Sorry, Schatz, ich habe nur gerade..." Ich entzog ihm den Laptop und sah mir die Zeilen an.
Damn, girl, weil du hinreißend bist,
tättowier' ich dein Gesicht in mein Gesicht.

Mir ist alles scheißegal, ich würde Kinder erschießen.
Was blind? Ich bin geistig behindert vor Liebe.
„Ha! Ist doch gut. Ich weiß gar nicht, was du hast. Aber 'girl'? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll." Ich küsste ihn auf die Wange und er sah lächelnd auf die Bettdecke.
„Danke...Ja...muss halt so sein, weißt schon, Image und das alles. Aber meinst du...dass denen das gefällt?"
„Hmmm, naja, wenn du meinst. Lukas, ich glaube, dass dein Album richtig wunderbar wird. Das wird ein Erfolg. Das spür ich im Urin."
„Na dann", lachte er. Ich lächelte ihn aufmunternd an und beobachtete, wie sich seine Wangen rötlich färbten. Schmunzelnd strich ich ihm mit dem Daumen über die rechte Wange und drückte ihm kurz darauf einen Kuss auf die Stirn.
„Ich bin stolz auf dich, dass du das so durchziehst. Und ich weiß, dass dir noch ganz viele, ganz tolle Sachen einfallen werden. Wer weiß? Vielleicht schreibst du ja auch mal einen Song über mich." Ich lachte und Lukas stimmte mit ein.
„Der hier ist doch irgendwie für dich."
„Nee, ich mein einen, bei dem es etwas subtiler ist."
„Einer, wo du drauf featurest?"
„Vielleicht." Ich legte den Laptop zur Seite und zog Lukas zu mir, sodass er auf mir lag. Er lächelte mich an, gab mir einen langen Kuss und legte dann seinen Kopf auf meine Brust, während ich seinen Rücken streichelte. Diese Momente waren meine liebsten: wenn wir beide zusammen im Bett lagen und nichts taten, außer einander zu streicheln und einfach die Zeit miteinander genossen.

POV Lukas
Berlin, jetzt
Ich hätte Tim nie als eifersüchtig eingeschätzt, jedoch wusste ich, dass ihm das mit mir und Matthias ganz und gar nicht gefiel. Im Grunde genommen lag mein Freund ja nicht ganz falsch – irgendwie waren da schon Gefühle für Matthias (und ich würde ihn vermutlich auch nicht von der Bettkante stoßen, käme es dazu, dass er wortwörtlich überhaupt auf meine Bettkante säße) – und doch würde ich Timi nie betrügen. Ich hoffte, dass er das wusste. Und ich hoffte, dass Tim wusste, dass er das Wichtigste in meinem Leben war (außer der Musik natürlich), dass ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte und dass ich ihn trotz seinen Drogeneskapaden abgöttisch liebte. Deshalb schrieb ich ihm auch eine Nachricht, bevor ich schlafen ging, die vielleicht als manipulativ gesehen werden konnte, sie jedoch unvermeidbar war. Ich wollte lediglich nur jegliche zukünftigen Konflikte etwas runterschrauben, wenn sie nicht vermeidbar waren – ich wusste ja auch nicht, wie Tim reagieren würde, wenn er wirklich wüsste, dass ich Matthias unheimlich attraktiv fand.

Ich, 02:13: Timi, ich liebe dich, mein Süßer. Vermiss dich. Schlaf gut.
Tim, 02:20: Ich dich auch.

Er war definitiv immer noch eifersüchtig. Ein paar Tage später hatte er sich wieder eingekriegt, vor allem da wir uns wirklich mal auf die neuen Albumaufnahmen konzentrieren mussten und Basti sonst einen Koller bekommen hätte, da er ja keinerlei Krach in der Band duldete (auch wenn er nicht gerade der Streitschlichter schlechthin war). Ob Timi endgültig über die ganze Sache hinweg war, wusste ich nicht. Und es machte mich wahnsinnig. Er konnte manchmal wirklich so schwierig sein, war immer so schnell eingeschnappt und eben auch eifersüchtig, auch wenn es keinerlei Gründe gab (obwohl...Matthias sah echt gut aus. Außerdem nahm er keine Drogen). 

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